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Frieder Otto Wolf Globalisierung von Unten Vom Autor durchgesehene Mitschrift eines Vortrages in der Seidl-Villa am 9.10.2002
Inhalt:
Als ich in der S-Bahn hierher fuhr, sprach ich mit jemandem über den Titel dieser Veranstaltung. Da wurde ich von einem Dritten darauf angesprochen: Globalisierung von unten - wie geht denn das? Der Markt kennt doch kein Oben und kein Unten. Auf dem Markt ist jeder Euro oder jeder Dollar gleich und ob die nun von Daimler-Chrysler kommt oder ob sich ein Mensch in einer Hütte am Rande des Regenwaldes diesen Dollar zusammengekratzt hat, das macht doch keinen Unterschied.
Ich glaube aber, der Titel macht doch sehr viel Sinn. Weil er sich darauf bezieht, natürlich mit allen Möglichkeiten zu Missverständnissen, die solche räumlichen Metaphern immer haben, dass es im Prozess dieser Globalisierung immer auch um Herrschaft geht. Dieses Oben und Unten ist nicht einfach Norden und Süden auf dem Globus, sondern das ist Hinweis auf ein Herrschaftsverhältnis.
Mit dieser Metapher, die in 'Globalisierung von unten' steckt, wird zum Ausdruck gebracht, dass es so etwas wie marktvermittelte Herrschaftsverhältnisse gibt. Dass es jenseits der formellen Freiheit und Gleichheit der MarktteilnehmerInnen, wo jeder Euro wie jeder andere Euro ist, jeder Dollar wie jeder andere Dollar, doch Strukturen gibt, die Herrschaft begründen und reproduzieren. Und da, denke ich, steckt ein - gesellschaftstheoretisch kann man fast sagen - ganz wichtiges Element drin. Nämlich dass es einen Unterschied gibt, ob jemand Märkte als Gelegenheit nutzt, dass heißt, wenn er irgendetwas übrig hat statt es wegzuwerfen oder aufzubewahren, es gegen etwas, das er jetzt brauchen könnte zu tauschen und sich dadurch vielleicht auch zu bereichern, wenn er etwa im Fernhandel tätig ist und zwischen Gebieten in denen der Wein leicht herzustellen und billig ist, und Gebieten, in denen der Wein fast gar nicht herzustellen und teuer ist, dann per Fernhandel profitabel handelt.
Das alles ist noch der Markt als Gelegenheit. Und sofern natürlich der Markt Gelegenheit ist, ist natürlich der Gedanke, dass es dadurch Herrschaftsverhältnisse gibt, schwer zu begreifen. Denn wenn es eine Gelegenheit ist, und ich soll darüber beherrscht werden, dann wäre es gar keine Gelegenheit, sondern eine Falle. Und wenn ich das erst einmal verstanden habe, dann halte ich mich von dieser Art von Gelegenheit in Zukunft fern. Denn derjenige, der den Markt als Gelegenheit benutzt, der kann ohne weiteres, ohne Schaden auch von dieser Gelegenheit Abstand nehmen, wenn er feststellt, dass die Gelegenheit doch nicht so günstig ist, wie sie auf den ersten Blick ausschaut. Der Markt als Gelegenheit - kann man sagen - das gibt es etwa so lange wie die Geschichte der Menschheit. Jedenfalls seit der späten Altsteinzeit gibt es solch einen Handel, auch einen Fernhandel. Und es gibt auch so etwas wie Globalisierung schon sehr lange.
Möglicherweise ist das dann in die Jungsteinzeit zu verlagern, aber jedenfalls Fernhandel mit Produkten aus Feuersteinvorkommen, mit abgeschlagenen oder rohen Feuersteinen, hat man schon vor Zehntausenden von Jahren betrieben. Und man weiß mindestens seit dem Römischen Reich, das Handelsbeziehungen mit dem chinesischen Reich hatte, dass diese Beziehungen wirklich (fast) weltweit waren. (Byzanz hat dann den Seidenwurm stehlen lassen und die Seidenherstellung als Staatsmonopol errichtet, also das chinesische Monopol gebrochen und sein eigenes Monopol an die Stelle gesetzt). In diesem Sinne gibt es auch schon sehr lange einen globalen Markt als Gelegenheit.
Der entscheidende Punkt ist aber: Das ist in einem bestimmten Punkt der Geschichte dann Strukturen gibt, in denen der Handel nicht Gelegenheit ist, sondern lebensnotwendiges Erfordernis, faktischer Zwang: In dem ich nur noch überleben kann, wenn ich meine Produkte zu Markte trage und dort etwas - und zwar auch ein definiertes Quantum - für sie erlöse. Das ist eine ganz anderer Struktur. Und derjenige, der von Handel als Erfordernis lebt, der ist nicht in der Situation dessen, der manchmal vom Handel als Gelegenheit lebt und sich auch wieder daraus zurückziehen kann, wenn die Gelegenheit sich als weniger günstig erweist. Sondern der ist dann darauf angewiesen, dass er sich auf diesem Markt behaupten kann und wie der Philosoph Thomas Hobbes das, wie ich finde sehr plastisch formuliert hat in seinem "De Cive", in seinem Buch über den Staatsbürger: Das ist ein ewiges Wettrennen. Da kann man immer nur vorübergehend vorne sein. Die anderen sind einem immer auf den Fersen. Sich auf dem Markt behaupten ist kein statischer Zustand, den man irgendwann einmal erreicht hat und dann kann man sich zurück lehnen, sondern das ist eine beständige Anstrengung, wo alle ständig befürchten müssen, zurückzufallen, von den anderen überholt zu werden und damit "das Rennen des Lebens zu verlieren". Dieser Markt als Erfordernis, Ellen Meiksins Wood, auf die ich mich in meiner Argumentation gestützt habe, spricht von "Markt als Imperativ", darüber gibt es manchmal etwas Verwirrung, indem diese Situation allzu sehr eng geführt wird auf die Lohnarbeit. Natürlich ist es richtig: Derjenige, der darauf angewiesen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, der steht unter dem Markt als Erfordernis, als unbedingtem Imperativ. Für den ist der Markt keine Gelegenheit, wo er sozusagen das, was er an freier Zeit übrig hat, zum Erwerb irgendwelcher zusätzlicher Genüsse und Luxusgüter verausgabt, sondern es ist eine Existenznotwendigkeit.
Genau deswegen ist auch die Arbeitslosigkeit solch ein Problem. Die Arbeitslosen haben ja nicht das Problem, dass nichts zu tun hätten und nicht wüssten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Das kommt wohl auch vor, aber die allermeisten haben dieses Problem nicht. Sondern sie haben das Problem, dass sie niemanden finden, der ihnen gegen eine existenzsichernde Bezahlung ihre Arbeitskraft abkauft und sie für eine bestimmte Zeit beschäftigt.
Zwischenfrage: Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben sind, das heißt, wenn Investoren angelockt werden, dann entstehen doch Arbeitsplätze. In unserem Land ist es zum Beispiel so, dass die Investoren sich fernhalten, weil wir die nationalökonomischen Vorstellungen des 19ten Jahrhunderts in Deutschland haben.
Ich bin jetzt eigentlich noch bei einem viel einfacheren systematischen Punkt. Was Sie sagen ist natürlich noch viel komplizierter. Sie haben schon in gewissem Sinne Recht, wenn es auch eher um Vorstellungen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts geht: Aber eben nur unter der Voraussetzung, dass das, was ich gerade versuche auseinander zu legen, gewissermaßen gesellschaftlich dominant geworden ist. Wenn in einer Gesellschaft nicht nur die Arbeitnehmer - soweit folge ich Ihnen -, sondern auch die InvestorInnen darauf angewiesen sind, sich auf dem Markt zu behaupten um als Investoren zu überleben, dann haben wir das, was man gewöhnlich Kapitalismus nennt. Also, wir haben eine Marktwirtschaft - so heißt es ja auch ganz offiziell, d.h. eine Wirtschaftsform, in der Markt als Erfordernis, als Imperativ, funktioniert, d.h. dass in ihr ökonomische Subjekte nur überleben können, wenn sie sich auf dem Markt behaupten. Nur in einer solchen Gesellschaft kann es marktvermittelte Herrschaftsverhältnisse geben.
Unter der Bedingung von Markt als Gelegenheit kann es das nicht geben. Aber in einer Marktwirtschaft, wo der Markt zum überlebenswichtigen Imperativ wird, da gibt es das. Und die angesprochene Engführung war mir deswegen so wichtig, weil vollkommen richtig ist: Das gilt auch für die Investoren. Das gilt auch für die Unternehmer. Als Unternehmer kann er aber individuell eine Exit-Option wahrnehmen. Er kann sein Unternehmen verkaufen, wenn er jemanden findet, der es ihm abkauft und sich irgendwo zur Ruhe setzen. Ananas züchten, wie das hier ein berühmter bayerischer Politiker mal angekündigt hat. Wobei ich nicht weiß, ob er gedacht hat er könne die Ananas dann auf dem Markt verkaufen oder ob er sie selber essen wollte, jedenfalls wollte er nicht ein Ananas-Unternehmer werden, für den das bestehen in der Konkurrenz eine Existenzfrage ist, sondern auf den Markt nur als Gelegenheit zurückgreifen.
Der zentrale Punkt, den ich hier klar machen möchte, ist der, dass "Globalisierung von unten" die Einsicht voraussetzt, dass es über den Markt vermittelte Herrschaftsverhältnisse gibt und dass es bei diesen Herrschaftsverhältnissen eine Perspektive der Herrschenden und eine Perspektive der Beherrschten gibt. Wobei ich das jetzt noch weiter erläutern muss, denn ich habe ja gerade - Ihr Argument aufnehmend - erklärt, dass auch die Unternehmen, auch die Investoren und auch die Banken Bestandteil dieses Systems des Marktes als Imperativ sind und insofern alles von dieser Struktur, diesem Verhältnis Beherrschte. Das gilt für beide Seiten des Kapitalverhältnisses: Dass es, wenn es erst einmal auf dieser Grundlage funktioniert, darauf angewiesen ist, dass es weiter funktioniert, speziell darauf angewiesen ist, zu möglichst günstigen, konkurrenzfähigen Bedingungen die Arbeit auszubeuten. Das ist in einer Gesellschaft, in der der Markt als Imperativ, u.d.h. die kapitalistische Produktionsweise, herrscht, allgemeine ökonomische Existenzbedingung. Das Kapital muss akkumulieren. Das ist nicht eine Frage individueller Raffsucht, sondern, im Unterschied zum mittelalterlichen Kaufmann, der dann oft beschlossen hat, doch lieber Landbesitzer zu werden und sich der Feudalklasse einzugliedern, hat dieser Unternehmer, wenn er nicht seine soziale Existenz aufgibt, diese Option nicht.
Ich denke es ist sinnvoll sich klarzumachen, das marktvermittelte Herrschaftsverhältnisse nicht jede Art von Markt zur Grundlage haben, sondern nur diesen spezifischen Markt in dem die Marktteilnehmer darauf angewiesen sind, sich in diesem Markt in der Konkurrenz der Kapitalien, in der Konkurrenz der Arbeitskraftanbieter zu behaupten und zwar als ein permanenter sich aufgipfelnder, dynamischer Prozess.
Darüber hinaus ist es notwendig zwischen zwei Formen der Unterworfenheit unter einen derartigen Markt als Erfordernis zu unterscheiden eine Form, die über eine Exit-Option verfügt (Rückzug auf den Verzehr des akkumulierten Vermögens oder in vormoderne Formen der Subsistenzproduktion) und eine Form, die nicht nur unterworfen, sondern auch abhängig ist, weil sie über keine derartige Alternative zur Unterwerfung unter den Markt mehr verfügt. Die ökonomischen Subjekte, die in den letzteren Formen tätig sind, können wir als marktabhängig, weil alternativlos marktunterworfen begreifen.
So weit das analytische Vorprogramm. Das Hauptprogramm stellt die Fragen: Was liegt heute im argen? Wer soll das alles ändern? Die erste Frage wird zumeist mit dem Hinweis auf die Globalisierung beantwortet. Die zweite Frage wird zum Teil so beantwortet, dass gesagt wird, die neue Opposition, wie die Netzwerke der Globalisierungsgegner, die Nichtregierungsorganisationen, die sind das Subjekt, das alles das, was es an den gegenwärtigen Verhältnissen kritisiert, ändern kann, will und muss. Ich glaube, dem müssen wir etwas systematischer nachgehen. Erstens will ich Ihre Frage noch mal aufgreifen: Wenn es so ist, dass dieses ein System ist, das sich selbst dazu zwingt, sich als System zu reproduzieren, d.h. Kapital zu akkumulieren und immer neue Möglichkeiten der Kapitalakkumulation zu finden, dann geht es ja nicht darum, dass diejenigen, ohne die das Kapital ja nicht akkumulieren kann, nämlich die Träger lebendiger Arbeit (es wird ja immer gesagt: unserer Gesellschaft geht die Arbeit aus: das stimmt und es stimmt nicht, weil das Kapital zwar immer in einer Bewegung ist, die Arbeitenden zu fliehen, die sich ihm Widersetzen, die nicht schnell genug arbeiten, die nicht genau genug arbeiten, die Fehler machen, die zuviel Geld verlangen, alle die will es hinter sich lassen und welche aufzusuchen, die es besser machen, die weniger Geld verlangen usw. Das Problem ist nur: die gibt es auch immer nur in begrenzten Mengen und an begrenzten Orten. Das Kapital flieht die einen, weil es "das Gefühl hat", die wollen zu viel von ihm, aber es flieht zu anderen, wo es das Gefühl hat, die wollen nicht so viel. Manchmal täuscht es sich aber und dann flieht es zurück. Ein historisch interessantes Beispiel dafür ist der Weg der Textilindustrie in den 60er und 79er Jahren praktisch einmal rund um den Globus. Von der Pfalz bis auf die Philippinen und zurück. Es hat sich dabei verändert. Der einfache Produktionsprozess, der da Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre in der Pfalz existierte und der dann in den Philippinen nachgebaut wurde, der kam so nicht zurück, sondern zurück kam die hoch komplexe, fast automatisierte Produktion hochwertiger veredelter Textilien, die dann aber die einfache Produktion weitgehend überflüssig machte. Also, die ausgelagerten Werkbänke auf den Philippinen wurden dann irgendwann auch wieder dichtgemacht. Insofern gibt es diese Fluchtbewegung beständig und schon lange auch grenzübergreifend, global und europäisch, aber gleichzeitig gibt es auch immer eine Suchbewegung: Das Kapital ist darauf angewiesen, dass es die Arbeitskräfte findet, ohne die es nicht akkumulieren kann.
Wir können diesen "Widerspruch" auch umgekehrt durchdeklinieren: Natürlich sind die Arbeitenden auch immer dabei, sich dem Kapital zu entziehen. Sie streiken, sie arbeiten langsamer als sie könnten, sie nutzen spezielle technische praktische Tricks, die sie in der Produktionspraxis gelernt haben, um sich Freizeit zu verschaffen, Pausen, statt mehr zu produzieren. Also, auch sie entziehen sich dem Kapital, fliehen in dem Sinne, aber gleichzeitig sind sie auch darauf angewiesen, denn, wie Sie richtig sagen, die Schaffung von Arbeitsplätzen - und das definiert ja gerade zu diese Art der Organisation gesellschaftlicher Arbeit - ist in den Händen der Unternehmen und nicht in den Händen derer, die in diesen Unternehmen arbeiten. Wir haben also eine doppelt Flucht- und Attraktionsbewegung, die dann solche Aussagen, wie "der Gesellschaft geht die Arbeit aus", oder "die Arbeitenden sind knapp, wir brauchen Inder, um unsere Computerindustrie zu entwickeln", plausibel machen. Derartige "Schweinezyklen" von Knappheit zu Überangebot - wechseln auch immer wieder ab, in einem Bereich gibt es zuviel, im anderen zu wenig von dieser besonderen Ware Arbeitskraft und es findet immer eine Fluktuation statt, in der sich Flucht und Attraktion auf beiden Seiten Luft verschaffen. Dies ist aber als Gesamtzusammenhang zu begreifen.
Zwischenfrage: Da vermischen Sie jetzt meines Erachtens das Thema Bildung mit dem Thema Arbeit. Die Inder haben wir ja nur deshalb ins Land geholt, weil wir die entsprechenden Arbeitskräfte in Deutschland nicht ausgebildet haben. Weil wir vor zwanzig Jahren halt die Elitenförderung nicht entsprechend forciert haben. Das ist jetzt eine Folge davon.
Ob das wirklich eine Frage der Elitenförderung war, und nicht der ganz gewöhnlichen Ausbildung auf einem steigenden wissenschaftlich-technologischen Niveau, ist streitig. Aber dass zur Arbeitskraft auch immer dazu gehört, dass die Arbeitenden die Qualifikation haben, die man braucht, damit sie arbeiten können, das ist klar. Mir ging es eher darum, dass wir, wenn wir die Gesellschaft über einen längeren Zeitraum betrachten, immer wieder diese Zyklen finden: Es wird geklagt, wir finden keine Arbeiter mehr - und interessanterweise finden sich dann auch plötzlich Großindustrien, die Leute zum Meister ausbilden, oder ungelernte Leute aufwändig weiterbilden, weil eben der Arbeitsmarkt leer gefegt ist. Das passiert dann ganz plötzlich. Und in Situationen, wo Massen von Erwerbslosen existieren, da ist die Motivation auszubilden gering, was zu solchen Effekten führt, dass in Spezialzweigen der allgemeine Bildungsstand nicht ausreicht und man dann auch nicht schnell IT-Ingenieure ausbilden kann und dann in der Tat danach schreit, die aus Indien oder anderen vergleichbaren Ländern, die ausgebildet haben, zu besorgen. Was natürlich in der Weltwirtschaft für neue Ungleichgewichte sorgt.
Mir ging es jetzt erst einmal nur um diese wechselseitige Angewiesenheit und die glaube ich ist, wenn man begreifen will, was durch diese Nichtregierungsorganisationen oder diese globalisierungskritischen Bewegungen erreicht werden kann, von zentraler Bedeutung.
Ich will versuchen, das jetzt noch einmal weniger abstrakt zu fassen, indem ich ein bisschen erzähle: Noch in den 80er Jahren hat es in führenden Ländern Europas und den USA eine durchaus wichtige Bewegung gegeben, die sich mit der Schuldenkrise auseinandergesetzt hat. Überwiegend waren das Leute, die aus der Entwicklungszusammenarbeit kamen und es war ja Anfang der 80er Jahre, als die Frage aufkam, was macht man mit den Metro- und Petrodollars, also dem vielen Geld, das die OPEC-Staaten verdient hatten durch die Ölpreiserhöhungen in den 70er Jahren. Da stellte sich ja die Frage, wie sollte man das wieder in den allgemeinen Wirtschaftskreislauf einfüttern. Es hatte ja keinen Sinn, dass das irgendwo herumlag. Die USA haben damals entschieden und durchgesetzt, dass das über private Kanäle, also über Geschäftsbanken geschehen sollte, und die haben dann in ganz großem Umfang sogenannten "emerging countries", also Entwicklungsländern, denen man zutraute, dass sie kurz vor dem Durchbruch zum Industrieland standen, Geld geliehen. Richtig viel Geld. In einer Situation, wo gleichzeitig auch noch der Dollar teuer war, und die Weltkonjunktur ziemlich brummte. Das alles war dann Ende der 70er Jahre bzw. Anfang der 80er Jahre nicht mehr wahr. Außerdem kommt noch hinzu: Die Industriestaaten haben allerlei Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass die nun wirklich mit ihren Waren auf die Märkte des Nordens kamen. Da ist heftig Protektionismus geübt worden. Von den USA, von der Europäischen Gemeinschaft. Zusammengenommen führte das dazu, dass da riesige Kredite im Raum waren, aber die Investitionen, für die sie ausgegeben waren, sofern sie nicht überhaupt unsinnig waren, das kam auch vor, manche Staudämme waren von vorneherein Investitionsruinen, aber auch Fabriken für Konsumgüter, für die Zweige der unteren Massenproduktion, die in Europa und den USA kaum mehr profitabel waren, die durchaus versprachen, mit geringeren Löhnen, im Süden (in Brasilien oder Argentinien oder Thailand oder Malaysia) rentabel zu werden, waren es dann aber in Wirklichkeit nicht. Damit waren riesige Schulden da. Diese Schulden waren der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit so etwas wie dem neuen Zustand des globalen Wirtschaftszusammenhangs auf Seiten kritischer Initiativen und Bewegungen. Die haben, nach einigen Jahren, einfach angefangen nachzurechnen.
Gleichzeitig haben IWF und Weltbank auch ordentlich darauf gesehen, mit entsprechenden "Strukturanpassungsprogrammen", d.h. Sparprogrammen, damals im großen und ganzen den Schuldendienst aufrechtzuerhalten. Es sind kaum Länder wirklich bankrott gegangen, im Inneren haben sie kräftig abgebaut, viele ihrer ökonomischen Entwicklungsansätze sind wieder zerstört worden und vor allem sind die Armen viel ärmer geworden.
Zwischenruf: Das glaube ich jetzt nicht. Die Länder, die Sie da ansprechen - von mir aus kann man das eingrenzen auf die Lateinamerikanischen Diktaturen, die in Afrika und verschiedenen anderen Ländern der Welt - das sind die, Länder, die nicht Demokratie zugelassen haben, die keinen Wettbewerb zugelassen haben und die keine Menschenrechte zugelassen haben. Und die jetzt in Ihrem Fokus stehenden kapitalistischen Industriestaaten, die haben alle demokratisch gewählte Regierungen und die lassen Wettbewerb zu und die garantieren die Menschenrechte in Verfassungen und die haben eine parlamentarische oder andere Demokratie. Und diese Länder, die Sie jetzt angesprochen haben, die haben diese Voraussetzungen nicht, und das ist der Grund, warum diese Länder jetzt Probleme haben.
Ich kann dies nutzen um hier etwas zuzuspitzen, denn das ist natürlich eine Kritik, die durchaus von diesen globalisierungskritischen Bewegungen auch formuliert worden ist. Nur haben sie die Frage gestellt: Warum hat man diesen korrupten Regimes soviel Geld geradezu aufgedrängt. Musste man nicht wissen, dass diese Regimes das Geld dann auch falsch anwenden würden. Es gibt ja die kleptokratischen Beispiele wie Zaires Mobutu, der ungefähr eine Milliardensumme in den Größenordnung der Auslandsverschuldung seines Landes auf Schweizer Depotkonten disponiert hat. Das ist selbstverständlich ein Teil des Problems. Es ist in Regimes und in Projekte investiert worden, die es einfach nicht wert waren. Das Problem der Projekte sollte nicht vergessen werden: Staudämme, Fabriken, die irgendwo hingestellt wurden, ohne Verbindung mit der Ökonomie des Landes, investiert worden und das hat ganz viele Investitionsruinen gegeben. Das hat dann sozusagen die Ruine des korrupten Staates ergeben und es hat auch Investitionsruinen der Staudämme oder Fabriken gegeben, die sich als völlig unrentabel erwiesen haben. Die Kritik geht nicht dahin, zu sagen, man soll den Ländern des Südens das Geld schenken, es wird dann alles gut werden, sondern die Kritik geht dahin, dass man beim Verleihen des Geldes nicht verantwortlich geprüft hat, wem man es leiht, wofür man das leiht und unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Grenzen man den Schuldendienst wird kassieren können und wollen. Das ist die Kritik. Wobei natürlich vollkommen richtig ist: In vielen Fällen haben die Regierungen, die Regimes und herrschenden Schichten dieser Länder, das kann man für Argentinien sagen, das kann man für Brasilien sagen, das kann man für noch einige lateinamerikanische Länder sagen, das kann aber auch für Länder wie Indonesien sagen oder für Thailand, durchaus für sich aus diesem Prozess eine Bereicherung herausgeholt, die sie auf ein Niveau oberhalb der europäischen oberen Mittelschicht, wenn nicht sogar auf das Niveau der US-amerikanischen Oberschicht heraufkatapultiert hat. Also, in diesen Ländern gibt es eine enorme Polarisierung, gerade im Zusammenhang mit dieser von der UN so geplanten "Entwicklungsdekade", die durch das Ausleihen all diesen Geldes ermöglicht werden sollte.
Das hat kritische Menschen dazu gebracht nachzudenken: Was ist denn hier falsch am Finanzierungsmechanismus? In diesem Sinn ist es Ausgangspunkt der Globalisierungskritik gewesen, nicht in dem Sinn, dass man sozusagen ein engelhaftes Bild von den Ländern des Südens hat und ein verteufelndes Bild von den Ländern des Nordens. Sondern dieser konkrete Prozess, erst Schulden zu produzieren und dann diese Schulden auf sehr rigide Art einzutreiben und dabei die Länder des Südens in der Tat, auch diejenigen, die sich inzwischen dieser Regimes entledigt hatten, das kam ja durchaus vor, keine Chance zu lassen, wieder auf die Beine zu kommen. Das hat inzwischen auch einen Niederschlag gefunden auf dem Kölner Gipfel 1999.
Ich habe eben vom Anfang der 80er Jahre gesprochen, in Westberlin gab es 1988 eine große Demonstration angesichts der dortigen Tagung von IWF und Weltbank, ungefähr 60.000 Leute auf der Straße, das war für damalige Zeiten für dieses Thema enorm, und 1999, also 11 Jahre später kommt es auf dem Kölner Gipfel in der Tat zu einer Beschlussfassung über die Entschuldung der allerärmsten Länder. Also, der Länder, denen man auch Geld geliehen hat, wo aber von vornherein klar war, dass die das gar nicht sinnvoll investieren konnten und dementsprechend ist es dann auch versickert und inzwischen dreimal zurückgezahlt, immer noch mit sehr anständigen Zinsen, und hier gibt es eine sehr begrenzte Entschuldungsinitiative, wobei das zentrale Argument für die Begrenztheit der sogenannte "moral hazard" ist, also das "moralische Risiko". Das soll bedeuten, wenn man Schuldnern, also Leuten, die sich zuviel Geld geliehen haben und das dann nicht zurückzahlen können, dieses einfach erlässt, dann, so die Überlegung, könnte das ja jeder machen. Jeder leiht sich ganz viel Geld und setzt dann darauf, dass irgendwann irgendwer kommt und ihm das erlässt und die Schulden gestrichen werden. Interessant ist allerdings, dass dieses Argument des "moral hazard" nicht angewandt wird, auch dass ist im Zuge dieser Entwicklung erst zum Thema geworden, auf die vielfältigen Prozesse, durch die die Geschäftsbanken in den letzten dreißig Jahren immer wieder vor bankrottnahen Zuständen gerettet worden sind - unter Einsatz von einigen -zig Milliarden an Steuergeldern. Der jüngste Prozess - das kann man den Geschäftsbanken gar nicht einmal vorwerfen - war, als nach dem 11. September vorigen Jahres zu Stockungen auf den Märkten kam. Einfach deswegen, weil keine Counterpart-Geschäfte zeitgleich kommuniziert werden konnten, wenn es Wechselkursaustausch zwischen Dollar und Euro gibt. Dann wird das eine Geschäft hier in Europa abgewickelt und das andere in USA und wenn diese Verbindung gekappt ist, dann stehen plötzlich die europäischen Banken da und haben in Europa etwas ausgezahlt, haben aber in Europa keinen Counterpart, mit dem sie das dann wieder absichern können und der Counterpart in USA ist gerade irgendwo im unbekannten Raum und steht ihnen nicht zur Absicherung zur Verfügung. Ich schildere das deshalb so genau, weil daran deutlich wird, das hier auch zum Thema wird, wie man das so strukturieren kann, dass es auch Counterparts gibt. Dass so eine vorübergehende Kommunikationsunterbrechung zwischen den Banken nicht dazu führt, dass plötzlich die eine Gruppe von Banken viel Geld ausgegeben hat, aber die Counterparts noch nicht hat, und die andere Gruppe zwar das Geld schon auf den Weg geschickt hat, aber es noch nicht wirklich aus der Hand hat. Diese Art von Geschäften, das kennen Sie aus allem riskanten Geschäftsverkehr. Man macht das Zug um Zug, sodass das Risiko, dass der eine gegeben hat und dann der andere nicht geben will oder nicht geben kann, dass das vermieden wird, das kann man auch in diesem Bankenverkehr durchaus entwickeln, hat man aber nicht.
Diese Art von Prozessen wird in diesen Protesten, erst gegen die Schuldenkrise, dann gegen die Politik von IWF und Weltbank, breiter zum Thema: Diese setzen mit ihren Strukturanpassungsprogrammen generell einen bestimmten Typus von Wirtschaftspolitik durch, tendenziell in allen Ländern der Welt verbindlich durchsetzen. Das geht durchaus über das Management von Schulden hinaus. Meistens ist der Grund, warum sie ins Land kommen eine akute Schuldensituation, aber die Schocktherapie in Polen oder die Jahre des Chaos in Russland, wo der Rubel Achterbahn fährt und zwar rapide nach unten, die sind durch entsprechende Beratung von IWF und Weltbank befördert worden. Natürlich gab es da heftige Strukturprobleme, die man bereinigen musste das ist völlig richtig - aber dass man die so, durch einen katastrophalen, zerstörerischen Vorgang bereinigt hat, das war keineswegs alternativlos und schon gar nicht gut. Insofern wird in diesem Prozess von IWF und Weltbank der sog. Washington Consensus weltweit verbindlich durchgesetzt, den man einfach zusammenfassen kann: Alle Länder müssen ihre Märkte öffnen, alle Länder müssen ihre Währungen frei auf den Märkten flottieren lassen und alle Länder müssen sich so einrichten, dass sie ein Maximum von Auslandsinvestitionen anziehen, das heißt, sie müssen sich für Auslandsinvestitionen attraktiv machen. Damit wird weltweit, wie wir unschwer sehen können, die Situation durchgesetzt, in der der Markt als unbedingte und primärer Imperativ funktioniert.
Jemand könnte jetzt sagen: Unter den Bedingungen, dass überhaupt Marktimperative herrschen, gibt es doch gar keine Alternative. Aber das ist, glaube ich, einfach falsch. Weil es immer noch das gestaltbare Verhältnis zwischen Binnenhandel und Außenhandel gibt und es immer noch Grenzen gibt. Im Binnenhandel ist etwa wie Henry Ford und John Maynard Keynes es noch wussten - die Frage der geldwerten Nachfrage, die im Lande selbst existiert und das heißt eben nicht nur der Unternehmenseinkommen, sondern auch der Löhne, eine zentrale Größe. In jeder Binnenwirtschaft ist die Entwicklung der Lohnquote eine der wesentlichen Determinanten. Weil ein umfassendes System des Marktes als Imperativ funktioniert nur, wenn nicht nur diejenigen, die darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, das auch tun, sondern wenn sie dafür eine Maß an Lohn erlösen, das es ihnen ermöglicht, die von ihnen produzierten Güter auch großenteils zu kaufen. Das vernachlässigt die neoliberale Wirtschaftspolitik. Volkswirtschaften funktionieren eben nicht primär nach dem merkantilistischen Prinzip, dass man möglichst wenig konsumieren und importieren und möglichst viel exportieren muss, sondern funktionieren erst einmal als interner Kreislauf. Und dieser interne Kreislauf wird von dem Washington Consensus fast vollständig vernachlässigt. Das ist, glaube ich, der Kern der neoliberalen Globalisierung: Die Durchsetzung einer konsequenten Orientierung auf den Weltmarkt als Imperativ - auf den Weltmarkt unter Vernachlässigung des Binnenmarktes. Das heißt, eine Orientierung, die alle Länder darauf ausrichtet, Exportweltmeister zu werden. Nun kann, wie die einfache Logik lehrt, Exportweltmeister immer nur einer werden - oder vielleicht noch zwei oder drei: Gold, Silber und Bronze - aber eben nicht alle.
Das muss für die allermeisten schief gehen und längerfristig auch für die Exportweltmeister: Denn wer soll ihnen noch ihre Waren abkaufen, wenn sie ihre Konkurrenten zu Boden konkurriert und dabei die Löhne allüberall auf das durchsetzbare Minimum reduziert worden sind?
Diese Vorstellung eines ökonomischen Systems, das darauf beruht, dass alle beständig Weltmeister werden, ist einfach die Vorstellung dieses Wettbewerbs unter der Bedingung von Markt als Imperativ wie sie schon Hobbes programmatisch formuliert hatte - auf das Äußerste zugespitzt. Dieses Wettbewerbs in dem alle permanent darum kämpfen, die anderen zu übertreffen und in dem es keinen Moment der Ruhe und der Kontinuität gibt, sondern ein ständiger Prozess von Erneuerung und produktiver Zerstörung stattfindet, der dann zur Triebfeder der Kapitalakkumulation wird. Insofern ist die Globalisierung auch engstens verbunden mit diesem kapitalistischen Prinzip des Marktes als Imperativ und ist auch damit, dass weltweit die Zahl derjenigen, die fürs Kapital arbeiten, Lohnarbeit, Pachtarbeit, Tagelöhner, Stücklöhner, alle zusammen, sich in den letzten 30 Jahren enorm ausgeweitet hat. Also, wenn gesagt wird, es gibt keine Arbeit mehr, dann beruht dies ja auf einer schiefen Wahrnehmung. Denn was es weniger gibt, das sind die sog. klassischen Formen der Lohnarbeit. Was sich aber, wie jeder aus seinem Alltagsleben weiß, ausgebreitet hat, sind die vielen prekären Formen, in denen man arbeiten kann, für weniger Geld, unter weniger oder gar nicht gesicherten Bedingungen, das hat zugenommen und nicht abgenommen und zwar weltweit. Gleichzeitig hat sich auch in bestimmten Schlüsselbereichen eine eher selbstbestimmte neue Flexibilität verbreitet, in der die anfänglichen Lockungen von Markt als Gelegenheit allerdings schon den Zwängen von Markt als Imperativ zu weichen beginnen, nachdem sich die new economy entzaubert hat. Weltweit ist die Zahl derjenigen, die abhängige Arbeit leisten, schätzungsweise in den letzten 40 Jahren um 20 - 30% gestiegen. Das ist dann in der Tat die neoliberale Globalisierung: Diese Art unter dem Markt als Imperativ zu produzieren und damit sich einem Herrschaftsverhältnis zu unterwerfen, das man selbst reproduziert, indem man sich ihm unterwirft, das ist weltweit durchgesetzt worden und hat eine neue Beschleunigung erfahren.
Diese Entwicklung erhielt Anfang der 90er Jahre einen großen zusätzlichen Schub, als die Gruppe der ehemaligen - ich sage mal bewusst "realsozialistischen" Länder, um da nicht irgendwelche romantischen Vorstellungen zu fördern - erstmals voll und nicht mehr bloß gefiltert am Wettbewerb teilnahmen. Gefiltert waren sie bis dahin im wesentlichen autoritäre Staatsapparate, insofern durchaus vergleichbar den autoritären Regimes der 3. Welt, die dann an Grenzen Kontrollen errichteten, die über Korruption etwas abzweigten, die also in jeder Weise dieser freien Teilnahme aller am Wettbewerb Hindernisse in den Weg legten. Dieser ungestörte Wettbewerb hat sich in den 90er Jahren voll und rein entfaltet. Ich denke, jetzt können wir damit anfangen, die Resultate zu besichtigen.
Wenn wir uns etwa die Berichte der UN Organisation für Entwicklung angucken, sagen wir aus den Jahren 1999 und 2000, dann ist ganz klar zu beobachten, dass es zwei Prozesse in den letzten etwa 20 Jahren gegeben hat.
1. Der Zugang von Menschen zu den Märkten hat zugenommen. Das ist durchaus in Verbindung damit, dass mehr Menschen überhaupt Geld verdienen. Also, insofern müssen wir das auch nuancieren, dass wohl auch - wobei man da dann eher nachsehe muss, was das wirklich zu bedeuten hat - so etwas wie eine Grundversorgung, ein Grundzugang zu medizinischen Minimalleistungen, zu Bildungsleistungen, selbst zu solchen Dingen wie Wasser und sauberen, unschädlichen Nahrungsmitteln, sich eher verbessert zu haben scheint vielleicht als später Effekt der "Entwicklungsdekade". Es gibt da jedenfalls eine Reihe von positiven Indikatoren auf dem Minimalniveau. 2. Was gleichzeitig zu konstatieren ist, und das ist die andere große Entwicklung, ist eine enorme Polarisierung. Was 1970 sich etwa noch im Verhältnis von 1 zu 30 zwischen dem ärmsten und dem reichsten Zehntel der Weltbevölkerung dargestellt hat, liegt inzwischen bei über 1 zu 80. Also eine enorme Aufspreizung der Distanz zwischen den Ärmsten und den Reichsten. Das macht deutlich, dass das, was ich eingangs sagte, keine bloße Phrase ist. Über Markt, über formelle Gleichheit und Freiheit, können sich Herrschaftsverhältnisse, Abhängigkeitsverhältnisse reproduzieren. Und dagegen richtet sich Globalisierung von unten.
Um jetzt in den nächsten Schritt der Erzählung einzutreten treten auch neue Subjekte auf, nämlich die Netzwerke der Globalisierungskritiker, die Nichtregierungsorganisationen, beginnen mit gesellschaftlichen Oppositionsbewegungen zusammenzuwachsen und tatsächlich Ansätze gesellschaftlicher Opposition auf der Weltebene sichtbar zu artikulieren. Ich hatte hingewiesen auf die Demonstration in Berlin - in Westberlin - 1988, das war für Berliner Verhältnisse eine ganz sichtbare Sache und hat auch in der Weltpresse Beachtung gefunden, aber in Seattle im November 1999 kam ein Bündnis zusammen, das auf ersten Blick vergleichbar war - man kann jetzt sagen es waren drei Elemente dabei, die in Westberlin gefehlt haben.
Erstens amerikanische Umweltgruppen, die der Welthandelsorganisation vorwarfen, dass die Handelspolitik, die sie betreibt, zur Zerstörung der Regenwälder, zur Reduzierung von Biodiversität, zur Überfischung der Ozeane usw. usf. beiträgt. Das war die erste neue Gruppe.
Die zweite neue Gruppe waren Kleinbauernorganisationen, vor allem aus Lateinamerika, aber auch aus Indien und Südasien, die sich inzwischen soweit organisiert hatten, dass sie mit Delegationen präsent sein konnten. Mit einer durchaus zahlreichen Gruppe eben aus Lateinamerika unter Anführung einiger Zapatisten.
Die dritte wichtige Gruppe - in Berlin noch völlig abwesend, bis auf einzelne, ihnen nahe stehende Intellektuelle, waren die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften der USA hatten das Anliegen des Fair Trade für sich entdeckt und hatten gegenüber ihrer eigenen Regierung Forderungen entwickelt, wie durch faire Handelsbedingungen ein einfaches Niederkonkurrieren der amerikanischen herstellenden Industrie vermieden werden könnte. Insofern haben sich die Gewerkschaften in Seattle ein erstes Mal in ein solches Bündnis begeben.
Und eine vierte Gruppe war vielleicht die originellste: Was wir in Berlin überhaupt nicht hatten, das waren Menschen - zentral war da eine sogenannte ruckus-society, die darauf spezialisiert waren, öffentlichkeitswirksame gewaltfreie Aktionsformen sich auszudenken, einzuüben und bei solchen Events zu praktizieren und die übrigens auch die entsprechenden medialen Vermittler gleich dabei hatten - es war die erste Demonstration, wo die Demonstranten ihre eigenen Fernsehteams dabei hatten. Diese haben dann auch weltweit den Medien, die auch immer einen Hunger nach Bildern haben - es ist nicht immer nur so, dass die Medien zensieren, das tun sie sicher auch, aber sie haben auch einen großen Hunger nach eindrucksvollen Bildern. Und es gab eindrucksvolle Bilder von der Demonstration in Seattle, wo dieses Bündnis, was ich gerade beschrieben habe, gewissermaßen unter der Anleitung der ruckus-society das dann geschafft hat, die Innenstadt von Seattle mit, wenn es auch Schaden in Banken und Einkaufszentren gegeben hat, überwiegend gewaltfreien Aktionen zu blockieren. Überwiegend war das gut organisiert, die Leute hatten ihr Mittel gegen das Tränengas dabei und haben sich das dann auch wechselseitig in die Augen geträufelt, hatten das auch trainiert wie man sich unter Tränengas so verhält, dass der Schaden minimiert werden kann. Die Polizei war dagegen völlig unvorbereitet. Die hat dann versucht, das was mit Tränengas nicht ging, mit Schlagstöcken zu machen und das geht bei gut vorbereiteten Demonstranten, die sich gegenseitig in Gruppen stützen, auch sehr schlecht.
So dass es tatsächlich nicht gelungen ist, den Weg der Regierungsdelegationen zum Tagungsort so frei zu machen, dass die Tagung rechtzeitig anfangen konnte. Da es sowieso, das muss man jetzt dazu sagen, heftige Differenzen zwischen den USA, der Europäischen Union und der Gruppe der 77 aus dem Süden gegeben hat über die sogenannte Millennium-Runde, der nächsten Stufe des weltweiten Freihandels, eines ungleichen Freihandels, der im Interesse der USA und der EU gewesen wäre, sahen die Länder der Gruppe der 77 nun eine willkommene Gelegenheit, einer Tagung auszuweichen, der sie nur sehr widerwillig zugestimmt hatten. Deswegen führte die Unfähigkeit, die Tagung rechtzeitig zu eröffnen, tatsächlich dazu, dass beschlossen wurde, die ganze Tagung abzublasen.
Insofern war Seattle ein doppelter Durchbruch: Erstens gelang es tatsächlich etwas zu bewirken. Die Millennium-Runde hat nie stattgefunden. Natürlich hat es inzwischen weitere Treffen gegeben, wo das, was bei der Millennium-Runde auf der Tagesordnung war, dann mehr oder weniger verabredet worden ist. Dieses Jahr haben sie sich in Katar getroffen, in Doha, und haben im wesentlichen die Dinge verabredet, die schon in Seattle hätten verabredet werden sollen - jedenfalls als Fragestellung, man hat sich noch nicht darüber geeinigt, wie man das machen soll. Aber immerhin, das waren drei Jahre Verzögerung. Die Demonstration, das waren auch etwa 60.000 Demonstranten, es waren gar nicht mehr, aber das war immerhin eine der größeren Demonstrationen der Nachkriegsgeschichte der USA.
Zweitens - das war glaube ich das wichtigere - diese Demonstration ist weltweit beachtet worden. Das hängt natürlich mit dem ersten zusammen: Hier wird ein Gipfel der Welthandelsorganisation verhindert, das war ein wirkliches Ereignis, es war auch hinreichend spektakulär und mit Bildern verbunden, auch mit Bildern aus der Sicht der Demonstranten, und insofern für die Weltmedien ein entsprechend interessanter Gegenstand.
Obwohl ich nicht sagen würde, dass es vorher diese Bewegung nicht gegeben hat - und ich habe ja gerade das Berliner Beispiel genannt und es gibt andere Beispiele wie etwa die großen Demonstrationen in Genf und an vielen anderen Orten gleichzeitig, auch zur Tagung von Weltbank und IWF 1998, die die den Zapatisten nahestehende peoples global action veranstaltet hat, nach deren Angaben haben sich daran weltweit 120000 Leute beteiligt, also durchaus ein relevantes Ereignis - aber es fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Seit Seattle gibt es jetzt eine ganze Reihe von Weltgipfeln, die wieder vergleichbare Ereignisse nach sich gezogen haben: Prag, die Tagung von IWF und Weltbank mit einer Zahl von Demonstranten dicht an die 100.000 heran und einer Premiere, vermittelt von Vaclav Havel, nämlich einem offiziellen Dialogversuch zwischen den Vertretern der globalisierungskritischen Organisationen, IWF und Weltbank und Regierungsvertretern in der Prager Burg. Viel ist dabei nicht herausgekommen, aber es war so etwas wie eine erste gegenseitige Anerkennung der Dialogbereitschaft, die auch durchaus dann dazu geführt hat, dass der ohnehin stattfindende Prozess der Auseinandersetzung zum Teil intensiviert worden ist. Als nächstes will ich jetzt nur herausgreifen Genua, wo ungefähr 200.000 Demonstranten aus ganz Europa zusammenkamen und wo es der italienischen Regierung, trotz heftiger Versuche in diese Richtung, nicht gelungen ist, diese Demonstranten zu kriminalisieren. Was gelungen ist, ist sozusagen die ungestörte Durchführung des Gipfels, das Zentrum der Stadt war Sperrgebiet, da konnte keiner hin und der Gipfel fand auf Schiffen statt, also doppelt abgesichert. Das gelang, aber die Demonstranten haben es geschafft, den Ruf, sie wollten nur Krawall machen einigermaßen abzustreifen und insbesondere ist aufgeflogen, dass die italienische Polizei mit Teilen des "schwarzen Blockes" eng zusammengearbeitet hat und friedliche Demonstrationszüge sozusagen vorrangig zum Gegenstand heftiger Angriffe gemacht hat, Schlafstätten gerade von friedlichen Demonstranten überfallen hat und ähnliches, so dass dann hinterher, würde ich sagen, diese Schlacht um das Image jedenfalls nicht zu Gunsten der Regierung Berlusconi ausgegangen ist. Allerdings muss man auch sagen, die inhaltlichen Beratungen dieser Demonstranten, denn die haben ja nicht nur demonstriert, sondern haben einen Alternativgipfel veranstaltet mit hochkarätigen Veranstaltungen, die sind ebenfalls kaum in der Presse rezipiert worden. Was rezipiert wurde war diese Art von demonstrativer Konfrontation mit der italienischen Polizei und dem italienischen Staat. Ich will noch einen letzten Gedanken formulieren. Es ist durchaus so, dass es so etwas wie eine sichtbare und auch in entsprechenden Aktionsformen nicht nur bei den Gipfeln sich meldenden weltweite neue Oppositionsbewegung gibt, mit vielen jungen TeilnehmerInnen. Inzwischen gibt es auch den Weltsozialgipfel, der im nächsten Januar zum dritten Mal veranstaltet wird, und der gewissermaßen parallel zum Davoser Weltwirtschaftsforum die Kräfte, die für eine andere Art von Globalisierung eintreten, eben für jene Globalisierung von unten, in Porto Allegre in Brasilien versammelt, mit initiiert von Lula, der wahrscheinlich demnächst Brasiliens Präsident werden wird, ohne dass wir in allzu viel Euphorie deswegen ausbrechen sollten. Dort stehen die inhaltlichen Aktivitäten im Vordergrund, die Aktivitäten, die im Zentrum haben, was vielleicht noch mit einem anderen Beispiel zu beschreiben ist, nämlich die Qualifizierung einer großen Menge, vieler Leute, zu einem einigermaßen sachverständigen Urteil in den oft etwas verwickelten Fragen des Weltfinanzsystems. Als eine solche Bewegung kennen wir in Deutschland inzwischen auch die aus Frankreich kommende Attac-Bewegung, die sich selber als eine Bewegung zur Volksbildung bezeichnet, die also Macht oder Gegenmacht dadurch verbreiten will, dass sie Informationen und Analysen verbreitet, nicht über die allgemeinsten Zusammenhänge und ideologische Standpunkte, sondern über relativ konkrete Mechanismen und wie in sie einzugreifen wäre. Vorher schon gab es, das hätte ich vielleicht vor Seattle erwähnen sollen, denn das war der andere große Durchbruch durch den so etwas wie Globalisierung von unten sichtbar geworden ist, die Initiativen gegen das Rahmenabkommen für Investitionen, den Multilateral Accord on Investment (MAI), der im Rahmen der OECD verhandelt wurde, die so etwas wie einen Think-Tank der führenden Industrienationen darstellt - übrigens unter Beteiligung der Gewerkschaften, die da nicht viel dabei fanden. Das entsprach als Typus von Politik genau dem entsprach, was einmal Kommissar Bangemann in einer Debatte mit mir im Europäischen Parlament so beschrieben hat: Gesetzgebung, das ist doch unmodern: etwas so Kompliziertes und Langsames, wo sich doch die Verhältnisse so schnell entwickeln. Bei der Gesetzgebung müssen wir immer mit diesen vielen Interessen in den Gesellschaften klar kommen und uns einem so komplizierten demokratischen Prozess stellen. Viel moderner ist es, Sie schaffen eine international abgesicherte völkerrechtliche Institution, geben ihr das Recht, ihre eigenen Regeln auch auszulegen und verbindlich anzuwenden. Dann sind sie das ganze lästige Problem der Demokratie los. Das lässt sich in den Protokollen des Europäischen Parlaments nachlesen.
So war der Multilateral Accord on Investment (MAI) gedacht. Dort wurde den Investoren garantiert, dass die jeweiligen Regierungen keine Gesetze erlassen dürfen, die für sie einen Vermögensschaden bedeuten. Will sagen, wenn ein Investor eine Fabrik gebaut hat und hinterher werden die Umweltgesetze geändert oder die Streikgesetze oder die Gesetze über Mitbestimmung, dann hätte er sozusagen einen Schaden geltend machen können und von der Regierung die Zahlung dieses Schadens einzuklagen. Eine relativ absurde Vorstellung und ich denke das wäre in dieser Form nie durchgegangen, aber sie haben es versucht. Sie hatten einen Entwurf, in dem das so drinstand und wie gesagt die Gewerkschaften fanden nicht viel dabei. Dann haben einige kanadische Regierungsmitglieder das kanadischen Nichtregierungsorganisationen zugespielt und die haben es ins Internet gestellt und dann war es ziemlich rasch herum. Vor allem in Frankreich haben sich dann vermittelt über das Internet, aber vermittelt auch über die Aufbruchbewegung der französischen sozialen Bewegungen nach 1995 daran wichtige Oppositionsbewegungen artikuliert und gesagt: Eine Globalisierung, die bedeutet, dass unsere demokratischen Entscheidungsmöglichkeiten einfach ausgehöhlt und irrelevant gemacht werden, die wollen wir nicht. Insofern kam da noch einmal ein wichtiges Motiv globalisierungskritischer Bewegung zustande und diese Protestbewegung war relativ erfolgreich. Verschiedene Parlamente haben sich dann damit befasst, auch das europäische Parlament, auch das kanadische und das französische, auch die neue bundesdeutsche Regierung hat 1998 ein paar kritische Nachfragen gestellt. Die französische Regierung, die 1996 drankam hat dann, wenn ich das richtig im Kopf habe, 1998 erklärt, so sei das nicht mehr verhandelbar. Damit war das MAI erst einmal international vom Tisch.
Was allerdings genau so wie bei der Millennium-Round - nicht etwa heißt, dass die Anliegen eines Vorranges des Schutzes von ausländischen Investoreninteressen vor jeder Art von nationaler Gesetzgebung damit schon erledigt wären - ein System das auf einem Vorrang der ausländischen Direktinvestitionen beruht braucht das geradezu. An diesem Problem wird weiter verhandelt. Man denkt darüber nach, in welchem Rahmen man das machen kann, wobei man allerdings noch keinen gefunden hat und das ist jetzt schon bald 5 Jahre her. Es scheint schwierig zu sein. Es ging voran, solange hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde und gewissermaßen Geheimsache einiger Experten war. Aber in dem Moment, wo das auf dem öffentlichen Marktplatz verhandelt wurde, war rasch klar, so kann man das nicht machen. In diesem Sinne hat die Bewegung gegen das MAI, allein dadurch, dass sie enthüllt hat und Informationen und Analysen über das Internet allgemein zugänglich gemacht hat, politisch tatsächlich etwas bewirkt.
Die Frage, wie von solchen begrenzten Erfolgen aus tatsächlich weitergehende Veränderungen eingeleitet werden können, kann ich hier nur noch einmal als bisher ungelöste Frage festhalten. Nach den eher ausgedachten Strategiedebatten der 1970er und 1980er Jahre halte ich es für notwendig, dass diese Debatte nicht anstatt der Diskussion in und um die Probleme der konkreten politischen Praxis entwickelt wird. Das Weltsozialforum in Porto Alegre und das Europäische Sozialforum werden sich dieses Themas annehmen müssen. Analytisch können wir vielleicht dazu die Einsicht beitragen, wie weitgehend es sich bei den neuen weltweiten Bündnisfragen um Probleme der neuen Formen und Fragmentierungen einer von den vom Kapital beherrschten Märkten abhängigen Arbeit handelt, weit über die Formen der Lohnarbeit hinaus, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert im Blickfeld der Arbeiterbewegung gestanden haben. Das verhilft aber noch keineswegs schon zu einer adäquaten Einsicht in die gleichsam unter unseren Füßen hinweg sich vollziehenden Neuzusammensetzung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit im globalen Maßstab und schon gar nicht zu der Fähigkeit, antizipieren zu können, in welchen kulturellen und politischen Formen sich diese unterschiedlichen Fragmente selbst begreifen können und ihren Zusammenhang untereinander bündnisfähig artikulieren können. Soziale Bewegungen und in ihrem Kontext auch NGOs und demokratische Politik werden die Antworten auf diese Fragen selber finden. Mit unserem Nachdenken können wir immerhin versuchen, auf der Höhe ihrer Initiativen zu bleiben und ihre breiten Debatten, pathetisch formuliert, das große Palaver der Menschheit (vgl. Wolf 2002), mit nützlichen Klärungen und Analysen zu begleiten.
Das wäre schon allerhand.
F. O. Wolf, Radikale Philosophie. Aufklärung und Befreiung in der neuen Zeit, Münster 2002
Ders., Ein neuer Akteurstyp in der neuen Zeit? Zivilgesellschaftliche Netzwerke, Globalisierung, Europäisierung und Demokratisierungschancen, in: Bürgerschaftliches Engagement im internationalen Vergleich / Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements", Deutscher Bundestag (Hrsg.). [Lektorat: Christiane Toyka-Seid]. - Opladen 2003
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