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    Oliver Tolmein, Publizist und Jurist, Hamburg
    Kampfeinsatz für Menschenrechte?
     
    «Friedensfachkräfte sind Mörder»

    Ich habe da so meine Zweifel, ob Rot­Grün mit dieser Strategie, Friedensfachkräfte in die Bundeswehr zu holen, damit wir dann künftig skandieren müssen "Friedensfachkräfte sind Mörder" ­oder der Idee, wir versuchen jetzt hier so eine Art Krisentelefon international einzurichten, wo man anrufen kann "hier beginnt ein Völkermord", ob das wirklich etwas ist, womit Wähler­ und Wählerinnenstimmen zu bekommen sind, das bezweifle ich insbesondere auch deswegen weil ich auch die Grundannahme dieser Veranstaltung, auf der ich gern spreche und mich freue, daß ich eingeladen worden bin, nicht ganz teile, daß nämlich der Widerstand gegen die NATO­ Intervention im Kosovo und gegen vorherige Kriegsmaßnahmen ausgeblieben sei, weil man nicht genau gewußt hätte, worum es eigentlich geht. Ich glaube nicht, daß, wenn man sich die Bevölkerung in Deutschland und ich möchte hier heute, auch wenn es um Völkerrecht geht, lieber mehr über Deutschland sprechen als über die USA ­ daß die Bevölkerung in Deutschland im Jahr 2000 wirklich diese friedliebende Menge von Menschen ist, die sich an den Händen fassen wollen, Lichterketten, Friedensketten machen wollen, nur, damit es besser in der Welt zugeht. Mein Eindruck von Deutschland ­ und das hat dann mit der Frage Menschenrechte und Intervention, mit der Frage, was sind eigentlich Kampfeinsätze für Menschenrechte, warum finden sie statt, möglicherweise was zu tun ­ mein Eindruck von Deutschland ist, daß Deutschland zur Zeit ­ und das ist ein gesellschaftliches Phänomen, keines nur der politischen Elite ­ Deutschland eine Gesellschaft ist, die vorne sein will, Deutschland eine Gesellschaft ist, die führen will, und Deutschland eine Gesellschaft ist, die möchte, daß es ihr insgesamt gut geht, daß sie unbehelligt bleibt, unbehelligt von allem möglichen Anderen. Und das heißt, daß Deutschland eine Gesellschaft ist in der es einen hohen Konsens gibt, wenn es um die Frage geht: Interessensicherung. Man muß sich nur mal, um auf ein ganz anderes Feld zu schauen, daß aber vielleicht gar kein so anderes Feld ist, anschauen, wie hoch der Konsens ist beispielsweise in dieser Gesellschaft, daß man sagt, Flüchtlinge möchten wir nicht, und wenn, dann nur in ganz kleinen Maßen, und sie sollen möglichst bald wieder gehen, Fachkräfte ­ in diesem Fall keine Friedens­ sondern Computerfachkräfte sind willkommen, wenn sie das deutsche Wirtschaftswachstum in irgendeiner Art und Weise mehren.

    «Es geht nicht um Werte, sondern auch um Interessen»

    Deutschland möchte auch vorn sein in der Genomforschung und in der wirtschaftlichen Ausbeutung von Biopatenten und es wird daran erinnert, darin waren wir schon immer gut, und Deutschland war ja in vielen Dingen schon immer gut. Nach dem Kosovo ­ Krieg gab es eine ganz merkwürdige Diskussion in der Bundesrepublik, die hatte zum Thema: Moralisierung der Außenpolitik, und es wurde der rot­grünen Bundesregierung vorgehalten, von den wenigen Leuten, die sich überhaupt gegen diesen Krieg gestellt haben, und es waren wenige, auch nachdem es klar war, worum es geht in diesem Krieg, denen wurde vorgehalten, sie betrieben eine Moralisierung, der Einsatz für Menschenrechte sei etwas durch und durch Moralisches, und eine Moralisierung der Außenpolitik sei etwas extrem Gefährliches. Ich würde sagen, das ist ein richtiges Argument, insbesondere, wenn in Deutschland Moral entdeckt wird, ist das immer eine problematische Geschichte, denn, je moralischer ein Anliegen ist, desto weniger Rücksicht muß man auf irgendetwas Anderes, auch irgendwelche Einwände nehmen. Interessant ist aber, wie die Bundesregierung darauf reagiert hat. Sie hat darauf reagiert. Joschka Fischer hat eine Rede gehalten und gesagt, die weltweite Förderung von Menschenrechten sei eine wichtige Aufgabe der deutschen Außenpolitik, Gewalt ließe sich jedoch dabei nicht immer ausschließen. Es geht aber nicht nur um Werte sondern auch um Interessen. Und genau dies ist in der Debatte um Kosovo und Ost­Timor bisweilen mißverstanden worden. Moralische Prinzipien spielten in beiden Fällen eine große Rolle. Aber im Kosovo ging es primär um die regionale Sicherheit in Südosteuropa. Deutschland wird sich auch in entfernteren Weltregionen engagieren müssen, nicht aus Hypermoralismus, sondern wenn ein Einsatz grundlegende Bedeutung für unser strategisches Ziel hat. Und unser strategisches Ziel, also das von Joschka und mir und allen, die hier sitzen, ist, daß Deutschland seine Interessen möglichst gut und möglichst sicher und möglichst effizient wahrnehmen kann.

    «Ohne nennenswerte Opposition»

    Wie diese Interessen dann im Einzelnen beschaffen sind, das ist nicht das Thema der heutigen Veranstaltung, vor allem nicht im Hinblick auf Jugoslawien. Aber ganz sicher kann man sagen, wenn man sich anschaut, wie sich der Zerfall und die Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawien seit Ende der 80er Jahre entwickelt hat, daß ein Ergebnis davon ist, daß Deutschland in dieser Region eine einflußreiche Nation geworden ist. Nicht nur, weil dort in D­Mark bezahlt wird, solange es diese wunderbare Währung noch gibt, sondern auch, weil im Zuge dieser Intervention Deutschland als außenpolitische Macht eine zunehmend bedeutsamere Rolle gespielt hat. Und weil das, was im Augenblick sich weltpolitisch abzeichnet, und was ich vielleicht etwas anders bewerte als Ulrich Albrecht, nämlich die Frage, was für eine Rolle spielt eigentlich Europa in der Welt, was für eine Rolle spielt auch eine gemeinsame europäische Außenpolitik, und vor allem über die WEU eine gemeinsame europäische Militärpolitik, das ist etwas, das hat sich im Windschatten des Konfliktes um Jugoslawien entwickelt. Das ist eine Stärkung Deutschlands als außenpolitischer Nation, die zur Voraussetzung hatte, daß man einen Kampfeinsatz für Menschenrechte führen konnte. Das ist natürlich kein rein deutsches Programm und kein rein deutsches Projekt, und es hätte sicherlich nicht diesen NATO­Angriff im Kosovo und auf die Bundesrepublik Jugoslawien gegeben, wenn es eine fixe Idee von Gerhard Schröder und Joschka Fischer gewesen wäre, jetzt Deutschlands Einflußregion auszubauen und endlich mal deutsche Truppen einzusetzen. Natürlich hat es ganz virulente andere Interessen gegeben, und die Kriegstreiber in diesem Krieg waren tatsächlich wahrscheinlich sehr viel stärker Großbritannien und ­ ich will es damit ganz kurz erwähnen ­ die USA. Nur, Deutschland hat eine ganz wichtige Rolle gespielt, und Deutschland hat vor allen Dingen, anders als andere Mächte in diesem Konflikt, erheblich profitierten. Daß dieser Konflikt so vorangetrieben werden konnte, und zwar nicht nur ohne eine nennenswerte Opposition in der bundesdeutschen Gesellschaft sondern auch ohne eine nennenswerte Opposition in anderen europäischen Gesellschaften, ohne eine nennenswerte Opposition in den USA, wenn man jetzt mal von der Frage konservativer amerikanischer Abgeordneter absieht, ob sich dieser Einsatz rechne, auch ohne eine nennenswerte Opposition innerhalb des UNO­Systems, denn es war ja auch nicht so, daß dort Sturm gelaufen worden wäre. Ein Versuch der Russischen Föderation, diesen Kosovo­Einsatz im Sicherheitsrat verurteilen zu lassen, ist gescheitert, und er ist deutlich gescheitert, nicht nur mit den Stimmen der Westmächte. Das liegt nun wiederum daran, daß das Etikett, unter dem dieser Einsatz gelaufen ist, "Menschenrechte", daß das eine ganz besondere Bedeutung hat. Und Menschenrechte als Begründung für Krieg, das ist das, womit ich mich jetzt im Folgenden etwas beschäftigen will.

    «Was sind eigentlich diese Menschenrechte?»

    Die Frage dabei ist ja schon, was sind eigentlich diese Menschenrechte? Es gibt in der UNO eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die als Resolution von der Generalversammlung verkündet worden ist, die dreißig Artikel hat, in denen neben Freiheit und Gleichheit, auch die Gewährleistung des Eigentums als Menschenrechten, und eine angemessene soziale und internationale Ordnung festgeschrieben ist. Ganz deutlich wird dort gesagt, Menschenrechte sind nicht etwa, wie dieser Begriff suggerieren könnte, Rechte, sondern sie sind ein "von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal". Das heißt, anders als beispielsweise Grundrechte oder so was, sind Menschenrechte nicht etwas, das man einklagen könnte, vor keinem Gerichtshof. Menschenrechte sind in dieser Form auch nichts, was feststeht, sie sind ein Ideal, und das heißt, daß ein ganz wesentliches Element dieser Menschenrechte ist, daß sich ihre Ausgestaltung innerhalb der Diskussion ändert. Und, sie sind etwas, was nicht von irgendwoher verfügt werden kann, sondern sie sind etwas, was gesellschaftlich von den Staaten und in den Staaten erreichten werden muß. Menschenrechte sind aber auch, und das wird auch deutlich, wenn man Menschenrechte wie die Gewährleistung des Eigentums anschaut, oder eine Sozialordnung, eine angemessene, was immer das sein mag, sie sind natürlich auch etwas Interessengeleitetes. Menschenrechte sind nicht irgendeine, ganz vage Geschichte, die irgendwo einfach so existiert. Menschenrechte so zu sehen heißt also anzuerkennen, daß sie flexibel sind, daß sie variabel sind, und daß man nicht einfach sagen kann und formulieren kann, zumindest nicht, wenn es politisch Sinn machen soll, wir führen hier einen Kampfeinsatz, wir führen hier einen Krieg zur Durchsetzung von Menschenrechten. Menschenrechte, so wie sie zur Zeit benutzt werden, Menschenrechte werden benutzt als eine Ermächtigungsnorm von Staaten, als Ermächtigungsnorm für etwas, was sie sonst nicht dürfen, denn es ist ganz klar im UN­System, daß eines, was nicht erlaubt ist, ein Kampfeinsatz von Truppen ist, der irgendwo staatliches Territorium von anderen Staaten verletzt. Das ist nur unter den ganz strikten Voraussetzungen von Kapitel 7 der UN­Charta zugelassen, das heißt, der UN­Sicherheitsrat muß es beschließen, um damit eine Bedrohung des Weltfriedens abzuwenden. Daß das eine problematische Formulierung ist, dazu sage ich gleich noch ein, zwei Sachen, aber jedenfalls, außerhalb dessen ist es eindeutig nicht erlaubt. Wenn jetzt Staaten sagen, und Staaten sagen es immer häufiger, wir machen es aber trotzdem, weil nur so die Menschenrechte gewährleistet werden dann benutzen sie diese Menschenrechte als eine Ermächtigungsnorm, um etwas tun zu können, was sie ansonsten nicht tun dürften. Das als Ermächtigungsnorm zu benutzen ist angesichts des Charakters von Menschenrechten sowie man sie ge-wöhnlich versteht, nämlich als Abwehrrechte gegenüber staatlichen Eingriffen, eine zumindest paradoxe und erklärungsbedürftige Geschichte, die aber eben nicht in irgendeiner Art und Weise erklärt wird, das heißt, Staaten, und zwar ganz bestimmte Staaten, nämlich die Staaten, die militärisch intervenieren können, erlauben sich hier über dieses Argument der Menschenrechte in Staaten, die sich nicht ausreichend wehren können, denn in Tschetschenien beispielsweise, unabhängig davon ob das jetzt angemessen gewesen wäre oder nicht, jedenfalls dort hat die NATO nicht eingegriffen, sie hat mit guten Gründen nicht eingegriffen, es hätte nämlich einen ­ vielleicht nicht Weltkrieg, aber zumindest eine heftige internationale militärische Auseinandersetzung zur Konsequenz gehabt. Man konnte sich ziemlich sicher sein, daß Jugoslawien ebenso wie beispielsweise der Irak zu so etwas nicht in der Lage ist. Das heißt, Menschenrechte in dieser Art und Weise als Ermächtigungsnorm benutzt, schaffen ein hierarchisches internationales System, und das ist etwas, was sie ganz bestimmt ihrem Wesensgehalt nach nicht tun sollen. Dieses Argument Menschenrechte als Ermächtigungsnorm zu gebrauchen, ist auch deswegen seltsam, wenn man sich die Politik des Westens anschaut, wenn man sich anschaut, was der Westei ansonsten, nämlich im institutionalisierten System der Menschenrechte, in dem, wo sie Menschenrechte gewährleisten sollen, wo sie etwas für Menschenrechte tun sollen, tun, nämlich faktisch gar nichts, wenn man sich ansieht, wie der institutionalisierte Menschenrechtsschutz, der über die verschiedenen Pakte, Konvention zu Bekämpfung jeder Form von Rassismus, Konvention zur Eliminierung der Benachteiligung von Frauen, oder der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das sind alles Menschenrechtspakte, Menschenrechtsabkommen, die gewisse Rechte gewährleisten, die zunehmend auch so ausgestaltet werden, im internationalen Bereich, daß beispielsweise Individuen Möglichkeiten haben sollen, gegen ihre Staaten, die ihre Menschenrechte möglicherweise verletzen, vorzugehen.

    «Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungstruppen»

    Es ist charakteristisch, daß das alles Vorstöße sind, die von südlichen Staaten kommen, von Staaten aus unterentwickelten Regionen, daß gerade die westlichen Staaten an der Durchsetzung solcher Systeme relativ geringes Interesse haben und ihnen auch nur in seltenen Fällen, oder nachdem es intern, innerhalb dieser Staaten, politische Auseinandersetzungen gegeben hat, beitreten. Das heißt, es gibt eine merkwürdige Diskrepanz zwischen dem, was an Zivilem für die Durchsetzung von Menschenrechten getan wird und dem, was militärisch dafür getan wird. Wobei diese Diskrepanz auch insofern bemerkenswert ist, als wenn man sich beispielsweise das Ergebnis eines humanitären Kampfeinsatzes für Menschenrechte wie dem im Kosovo anschaut, man nicht sagen kann, daß im Kosovo zur Zeit die Menschenrecht besonders gut gewährleistet wären. Eine sicherlich ziemlich unparteiische Organisation wie amnesty international, die seit lO Jahren die Situation im Kosovo begutachtet, dort Leute hinsendet, die die Politik der Bundesrepublik Jugoslawien für ihre Kosovopolitik scharf kritisiert hat, die hat mehrfach in den letzten 12 Monaten Berichte veröffentlicht, die Menschenrechtsverletzungen auf allen Ebenen kritisieren. Und zwar Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungstruppen, die europäischen, die dort mittlerweile stationiert sind, Menschenrechtsverletzungen durch die Kosovo liberation army, und Menschenrechtsverletzungen ­ nach wie vor ­ durch die in diesen Grenzregionen existierenden serbischen Paramilitärs.

    «Ob die Menschenrechtssituation nun durch die Wahrung von zivilen Menschenrechtsinstrumenten nachhaltig besser wird, das mag man auch bezweifeln»

    Das heißt, die Menschenrechtssituation im Kosovo ist eher schlechter geworden durch diesen NATO Kampfeinsatz. Ob die Menschenrechtssituation nun durch die Wahrung von zivilen Menschenrechtsinstrumenten nachhaltig besser wird, das mag man auch bezweifeln, aber jedenfalls richten sie deutlich weniger Schaden an. Daß das Interesse an der Durchsetzung militärischer Formen von Menschenrechtsschutz so nachhaltig gemacht wird, obwohl Gründe und Argumente des internationalen Rechts dagegen sprechen, obwohl zumindest eine gewisse politische Spannung dadurch beispielsweise im Verhältnis zwischen Weststaaten und Rußland eingetreten ist, das hat etwas damit zu tun und ist ein Ausdruck davon, daß sich die westlichen Nationen, und das trifft sie in diesem Fall wirklich alle, immer weniger orientieren wollen an den zwingenden Normen des Völkerrechts wie es sich nach 1945 ­ und nach 1945 heißt in Auseinandersetzung mit dem deutschen Nationalsozialismus ­entwickelt hat. Ich bin kein so großer Freund von den ständigen Berufungen auf das Recht, ich bezweifle auch, ob es die Abgeordneten so wahnsinnig getroffen hat, die Abgeordneten des deutschen Bundestages, wenn man ihnen einen Brief geschrieben hat, in dem man sagt, "wenn sie dafür gestimmt haben, dann betrachten sie sich jetzt als Angeklagter", weil sie ganz genau wissen, daß sie da nicht wirklich ein großes Problem haben, und daß sie auch einiges an Rückhalt in der Bevölkerung dafür haben dürften.

    «Friedensbewegung nicht gerade das Top­Thema»

    Ich glaube nicht, daß die Berufung auf Rechtsnormen tatsächlich politische Argumentation ersetzen kann, und man muß auch sehr vorsichtig sein, es gibt natürlich auch immer wieder ganz problematische Militäreinsätze, die vom UN­Sicherheitsrat, aus welchen Gründen auch immer, legitimiert werden, worden sind und werden. Beispielsweise der Koreakrieg, in dem die USA gekämpft haben, und wo, wie wir gehört haben, es jetzt Wahrheitskommissionen gibt, wo man die USA an den Pranger stellen wird. Der Koreakrieg war völkerrechtlich weitgehend unproblematisch, der war legitimiert, trotzdem sagt die völkerrechtliche Legitimation eines Krieges immer noch nichts darüber aus, ob er politisch wünschenswert ist, und ob man ihn politisch akzeptieren kann. Das internationale Strafgericht für das frühere Jugoslawien ­ dem kann man vorhalten, daß es gegen die NATO nicht ermittelt, und das ist ein schwerer Kritikpunkt, übrigens auch einer, den amnesty angebracht hat, es ist aber auch ganz logisch, und meines Erachtens wäre dieses Tribunal nicht wirklich deutlich besser, wenn es gegen die NATO jetzt ermitteln würde ­ es gibt ganz grundlegende Probleme , die gegen so eine individualisierte internationale Strafgerichtsbarkeit überhaupt sprechen. Das heißt, die Berufung aufs Recht ist, finde ich, gerade für eine linke Politik problematisch. Nur, wenn man konstatieren muß, daß die Nationen und die Länder, die bisher, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, durch die Berufung auf internationales Recht erheblich profitiert haben, für die die Berufung auf internationales Recht ein ganz wesentliches Instrument war, beispielsweise zur Destabilisierung des gesamten Warschauer Pakts ­ Stichwort Helsinki­Konferenz und KSZE damals ­ wenn man feststellt, daß die nun heute so tun, als ob das internationale Recht etwas wäre, um das man sich mal kümmert und mal nicht, auf jeden Fall kann man es ja "weiterentwickeln" immer weiter und immer weiter weg, von dem, was es mal sein sollte, dann muß man sich fragen: Was steckt dahinter? Und ich denke, diese Flucht vor dem Recht, die sich dokumentiert in dem Verhalten der NATO, ganz besonders im Kosovokrieg, die dokumentiert einen Willen, jegliche Beschränkung abzuwerfen, die überhaupt noch einen Einfluß auf ihre rückhaltlos interessengeleitete Politik nehmen könnte. Und das, denke ich, ist der ganz problematische Faktor, das ganz problematische Element dabei. Dieser Wille, sich überhaupt keinen Beschränkungen mehr zu unterwerfen. Innenpolitische Beschränkungen gibt es sowieso ganz wenige, weil die Gesellschaften, in denen wir uns bewegen, ziemlich formierte Gesellschaften sind, in denen alles möglich, aber Friedensbewegung nicht gerade das Top­Thema ist. Außenpolitische Beschränkungen gibt es auch immer weniger. Das, denke ich, ist eine ganz problematische Situation und das Abschütteln jeder rechtlichen Beschränkung heißt, daß im internationalen System eine Situation entsteht, in der diese Staaten, die in der Lage sind, diese Beschränkungen abzuschütteln, das sind ja, wie gesagt nicht alle, sondern es sind im wesentlichen die westlichen großen Industrienationen, die errichten damit ein internationales Regime, das man, würde man es auf nationaler Ebene haben, nämlich ein Regime, das Recht dann instrumentalisiert, wenn es das brauchen kann, und das sich ansonsten darum nicht schert, als Willkür­ und totalitäres Regime charakterisieren würde. Das ist ­ in Klammern gesagt ­ auch eine Tendenz, die es in den innenpolitischen Situationen dieser jeweiligen Staaten gibt, nämlich eine Teilung der Gesellschaft in den kleinen Kern, der den positiven Aspekten von Recht ausgesetzt ist, bleibt, der die erhalten hat, und das ist ja auch auf internationaler Ebene so. Niemand zweifelt das WTO­Regime an. Das ist unheimlich effizient und wirkungsvoll. Das möchte man auch gerne behalten. Das ist internationales Recht über Schiedsgerichtbarkeit, das man haben möchte. Dort soll es auch rechtsförmig zwischen allen Staaten ablaufen, da geht um Wirtschaft. In der Bundesrepublik hat man natürlich ein Rechtssystem, dem alle unterliegen, bis auf die kleine Gruppe derer, von denen man sagt, die sollen sowieso nicht hier sein, Illegale und Flüchtlinge. Das heißt, es wird ein gespaltener Menschenrechtsschutz und ein gespaltener Rechtsschutz überhaupt etabliert und institutionalisiert, auf internationaler Ebene ganz ähnlich, und ich denke, diese Abkopplung eines kleinen, produktiven, rechtlich geschützten Kerns vom Rest der Welt und vom Rest der Menschheit, das ist eine politische Tendenz, die erstens dieses System so enorm erfolgreich macht, weil es nämlich Interessengruppen in diesen Gesellschaften gibt, die davon profitieren, und die es deswegen haben wollen, es ist eben nichts, was von oben aufgepfropft wird, und was 2. die enorme politische Kritisierbarkeit dieses Systems ausmacht.

    «Militärische Intervention unter dem Etikett Menschenrechtsschutz»

    Ich will jetzt noch abschließend zu einem anderen Punkt kommen, weil es vorhin um die Frage ging: Interventionsfähigkeit der Bundeswehr kritisierbar, gefährlich, die Bundeswehr ist heute interventionsfähig, das, wofür sie eigentlich da ist, Landesverteidigung, spielt kaum noch eine Rolle, ach denke, man muß an diesem Punkt zwei, drei Sachen festhalten und, zumindest in der politischen Diskussion, berücksichtigen Zum einen heißt militärische Interventionsfähigkeit der Bundeswehr nicht, daß sie militärisch intervenieren wird, auf Dauer, ständig und überall. Daran hat dieser Staat, Bundesrepublik Deutschland, zumindest in der gegenwärtigen Verfaßtheit, wenig Interesse. Das heißt, wenn man heute eine politische Orientierung aufbaut, die sich im wesentlichen darauf konzentriert, möglichen Militäreinsätzen der Bundeswehr entgegenzutreten, was an sich ein wunderbares und begrüßenswertes Ziel ist dann hat man möglicherweise eine Bewegung, die über lange Zeit wenig zu tun haben könnte. Denn: Interessenpolitik macht natürlich auch ein Staat wie die Bundesrepublik intelligenterweise lieber anders. Ich habe vorhin das Beispiel der Destabilisierung des Warschauer Paktes genannt. Und ich denke, eine Friedensbewegung, oder eine politische Bewegung, die sich auf diesen Punkt nur konzentriert, die immer nur schaute, wo könnte der nächstes Militäreinsatz sein, was passiert in dieser Richtung, dies ist sicherlich falsch orientiert. Wichtiger ist vielmehr, präventionsorientiert, wo destabilisieren die westlichen Staaten, wo richten sie mit ihrer Politik etwas an, das später dann Anlaß für militärische Intervention unter dem Etikett Menschenrechtsschutz sein könnte. Das, denke ich , ist eine ganz wichtige Aufgabe, und das setzt voraus, daß man sich klar macht, daß diese Destabilisierungspolitik, daß diese Interventionspolitik, die vormilitärische, daß die interessengeleitet ist, daß die nicht aus heiterem Himmel kommt, daß die nicht deswegen kommt, weil die Politiker unfähig sind und es nicht anders könnten, sondern weil sie sich, in der Regel, nicht immer, aber oft, davon etwas versprechen, genau diese Politik zu machen. Das denke ich ist ganz wichtig, und das hat dann auch etwas mit der Frage der Landesverteidigung zu tun, also das ­ ehrlich gesagt ­ je unfähiger die Bundeswehr zur Landesverteidigung ist, desto besser ist es, nichts wünsche ich mir mehr, als daß dieser Staat von irgendjemandem erobert wird, es kann, in diesem Aspekt, wirklich nur besser werden. Auch für die Menschenrechte.

    Danke.

     
     
 
 
 
          
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