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China - eine schwierige Reform

Vortrag von Theodor Bergmann im EineWeltHaus am 16.12.2003.

INHALT:

  1. Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Ungleichheit
  2. Erziehung
  3. Wohnungsbau
  4. Ausbau der Infrastruktur
  5. Die regionalen Ungleichheiten
  6. Die Abwanderung aus der Landwirtschaft
  7. Die Modernisierung der Staatsbetriebe
  8. Die Stellung auf dem Weltmarkt, das Verhältnis zur Welthandelsorganisation WTO
  9. Familienplanung
  10. Kontrolle der ausländischen Investoren
  11. Wie verwirklicht man sozialistische Demokratie?
  12. Was ist die Rolle und die Aufgabe der kommunistischen Partei Chinas?
  13. Wie verhält sich China zu der Bedrohung durch den amerikanischen Imperialismus, und was bedeutet es, dass China eine weltpolitische Insel ist, eine sozialistische Insel im kapitalistischen Ozean?
  14. Was ist das sozialistische Ziel? Wie muss man sich das heute vorstellen?
  15. Diskussion
  16. Zum "uigurischen Freiheitsrat" in Frankfurt
  17. Das Verhältnis zwischen China und den USA
  18. Zu den ökologischen Herausforderungen

Guten Abend, liebe Freundinnen und Freunde, Genossinnen und Genossen.
Ich bedanke mich für diese Einladung, und ich will mich selber kurz vorstellen:
Ich bin lange Emigrant gewesen, ich bin nicht nur der Sohn eines Rabbiners ich war auch viele Jahre Landarbeiter in meinem Leben und war dann ganz zum Schluß Professor für international vergleichende Agrarpolitik, der schönste Arbeitsplatz meines Lebens. Ich habe aber auch vieles Anderes inzwischen gemacht.
In Schweden haben die Bauern zuerst nicht verstanden, warum ein Emigrant nicht voll hinter Hitler steht, deswegen hieß ich zuerst ein schlechter Deutscher. Da ich aber die Kühe gemolken habe und die Kühe und die Milch auch sauber waren, haben sie mich arbeiten lassen, bis ich ihnen nachher begreiflich machen konnte, dass der Hitler den Krieg verloren hat. Hat aber 'ne Weile gedauert, bis sie das verstanden haben. Nicht, weil sie Nazis waren, sondern: die Brutalität des deutschen Kapitalismus war unvorstellbar für einen braven schwedischen Bauern. Ich bin daher ein schlechter Deutscher. - Dann bin ich ein schlechter Kommunist, weil ich nie in der kommunistischen Partei war, ich bin immer ein ’ÄûRenegat" gewesen. Ich war ein Ketzer. Und dann bin ich ein schlechter Jude, denn ich lebe in Deutschland. Also: schlechter Deutscher, schlechter Kommunist, schlechter Jude, ein schlechter Mensch. Aber ich lebe, und es geht mir gut.

Ich spreche hier vom kommunistischen China. Es gibt ja Erklärungen der Vereinigten Staaten, der Frankfurter Allgemeinen und manch anderer Sozialisten, dass der Sozialismus in der ganzen Welt zu Ende sei, und Fukuyama, der
große Historiker, hat in seinem Bestseller 1993 festgestellt, dass die Geschichte zu Ende sei, dass es nur noch Kapitalismus gebe auf der Welt. Es gibt aber noch die Volksrepublik China, es gibt noch Vietnam, Kuba und Nordkorea, das haben wir offenbar ganz vergessen. Leider ignorieren auch viele Linke, dass es noch so etwas gibt, sozialistische Inseln im kapitalistischen Ozean. Und die Volksrepublik China umfaßt immerhin etwas mehr als ein Fünftel der Menschheit, während die Weltmacht USA 4,5% der Weltbevölkerung, ein knappes Zwanzigstel umfaßt. Mit der Fortsetzung der Existenz dieses Landes und dieser paar Inseln verbinden sich Hoffnungen, gerade auch kritischer, antimaoistischer Kommunisten , aber auch die Ängste vieler Linken, in dieser Frage, die auch Lenin mal gestellt hat: Werden die Kommunisten die Macht behaupten können?

Seit 1978 - Mao ist 1976 gestorben - habe ich Chinareisen, Studienreisen begonnen, vorher fuhr man ja umsonst, man musste allerdings Maoist sein oder Anhänger von Franz Josef Strauß. Die Anderen konnten gar nicht fahren, und seitdem man fahren kann und bezahlen darf, bin ich auch gefahren. Und ich bin gerade von meiner neunten Reise, die vier Wochen gedauert hat, zurückgekommen. Ich war noch nie Maoist, aber ich habe immer, auch als ich kritisch war gegenüber Mao, die historische Bedeutung der chinesischen Revolution und ihre Leistungen anerkannt. China ist dennoch für uns in Europa, oder für andere Länder kein Modell, denn jedes Land muss ein eigenes Modell finden können für seine sozialen Veränderungen. Dennoch ist es für mich und für uns alle in der Welt wichtig, wie die Chinesen, ein Fünftel der Menschheit, leben, und wie sie sich entwickeln. Deswegen habe ich dieses Land immer wieder besucht. Ich habe auf dieser letzten Reise viel gesehen, mehr als auf allen früheren Reisen. Wir haben in vier verschiedenen Regionen Dörfer gesehen, arme und reiche, ich habe fünf Fabriken gesehen, das Volkswagenwerk, deutsch-chinesisch, eine Staatsfirma und drei private Firmen. Wir haben viele Schulen gesehen auf den Dörfern und in der Stadt, wir haben natürlich die Schönheiten des Landes angeschaut , soweit sie auf unserem Weg waren, die chinesische Mauer, die Ausgrabungen bei Xi ˆ°n natürlich. Wir haben ein Krankenhaus gesehen. Wir haben im Universitätscampus gelebt in Shanghai und in Wuhan. Ich war an der großen neuen Staumauer, wir haben also viel gesehen, was man eben in vier Wochen machen kann, Aber ich weiß, dass China so groß ist, dass ich nie alles sehen werde. Sie müssen denken, China ist ein Land von 10 Millionen qkm, also etwa das Dreißigfache der Bundesrepublik, die ja der Nabel der Welt ist und das demokratischste Land, das es überhaupt gibt, und China hat nur sechzehnmal so viel Menschen wie wir, 1,3 Milliarden. Das muss ich im Gedächtnis behalten, wenn ich mich mit Problemen befasse und mir vorstellen muss, welche Dimensionen diese Probleme haben. Ich werde hier nicht über die Schönheiten sprechen, die ich gesehen habe, ich werde eher versuchen, die mir erkenntlichen Probleme und die Entwicklungsstrategie, so weit ich sie verstehe, ihnen darzulegen.
Seit einigen Monaten gibt es in China eine neue Regierung, und eine neue Generation hat die Regierung übernommen, in einem ganz normalen Generations- und Staffettenwechsel, ohne alle Überraschungen. Man hat mir bereits vor vier Jahren, als ich dort war, gesagt, Hu Jintao wird Präsident werden und Vorsitzender der Partei. Die Alten treten zurück, es kommt eine neue Generation, die vorher bekannt war, fünfzehn Jahre jünger . Die wichtigsten Namen : Präsident und Parteivorsitzender ist Hu Jintao und Wen Jiabao ist der neue Ministerpräsident. Es gibt nur Einen von der alten Generation, das ist Jiang Zemin und der hat auf dem Parteitag, erklärt, er hat noch eine Aufgabe zu lösen, nächstes Jahr wird er seine Funktion als Vorsitzender der Militärkommission der kommunistischen Partei abgeben. Dann wird Hu Jintao auch diese Funktion übernehmen, die auch in einem kommunistischen Land etwas sehr Wichtiges ist.

Der Wechsel der Regierungen hat auch einen Wechsel im Arbeitsstil bedeutet, man hat die Rituale abgeschafft. Früher mussten alle auf dem Flughafen stehen, wenn ein großer Mann wegfuhr oder wiederkam, das gibt's nicht mehr, man fährt weg, auch wenn man Ministerpräsident ist, ohne großes Theater. Es gibt keine geheimen Tagungen mehr, im Sommer im Badeort Beidaike. Man tagt, soweit wie möglich, öffentlich, und wenn etwas beschlossen wird, so steht es am nächsten Tag in den Zeitungen des Landes. Die Minister sitzen nicht mehr wie Mao Zedong in einem großen Palast, sondern sie besuchen Lokaltermine. Sie versuchen, sich zu informieren, wie sieht es draußen wirklich aus. Es gibt also einen neuen Arbeitsstil, und es gibt ein neues Arbeitsprogramm. Es gibt Schwierigkeiten und neue Aufgaben, und die werden offen behandelt. Alles, was ich sage, habe ich in chinesischen Zeitungen gelesen, habe ich in Debatten mit alten Marxisten, die ich seit Jahren kenne, kritischen Marxisten, Opfern der Kulturrevolution, verstanden, und ich werde jetzt versuchen, diese Hauptprobleme zu erläutern. Ich werde eine Liste von Problemen kurz aufzählen und werde versuchen, Ihnen diese einzelnen Probleme in ihrer Bedeutung darzulegen.

Das erste Problem: Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Ungleichheit.
Zweites Problem: Erziehung.
Drittes Problem: Wohnungsbau.
Viertes Problem: Ausbau der Infrastruktur.
Fünftes Problem: Die regionalen Ungleichheiten.
Sechstes Problem: Die Abwanderung aus der Landwirtschaft, und wie man die Landwirtschaft modernisieren und dem Agrarsektor neue Produktionssteigerungen ermöglichen soll.
Siebtes Problem: Modernisierung der Staatsbetriebe.
Achtes Problem: Die Stellung auf dem Weltmarkt, das Verhältnis zur Welthandelsorganisation WTO.
Neuntes Problem: Familienplanung.
Zehntes: Kontrolle der ausländischen Investoren.
Die "Moskitos", über die ich nachher sprechen will.
Elf: Wie verwirklicht man sozialistische Demokratie?
Zwölf: Was ist die Rolle und die Aufgabe der kommunistischen Partei Chinas?
Dreizehn: Wie verhält sich China zu der Bedrohung durch den amerikanischen Imperialismus, und was bedeutet es, dass China weltpolitisch eine sozialistische Insel im kapitalistischen Ozean ist?
Schließlich: Was ist das sozialistische Ziel? Wie muss man sich das heute vorstellen?

Diese neue Generation hat sich also ein neues Arbeitsprogramm gegeben, und ich werde versuchen, die einzelnen Probleme ganz kurz zu behandeln.

1. Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ungleichheit   INHALT

Erstes Problem also Arbeitslosigkeit und Armut. Ganz offensichtlich gibt es eine beträchtliche Arbeitslosigkeit und eine beträchtliche Unterbeschäftigung der siebenhundert Millionen Menschen in der Landwirtschaft, die auf minimalen Flächen leben , und die deswegen nur eine ganz begrenzte Arbeitsmöglichkeit haben, die im Grunde nur zwei, drei Monate im Jahr arbeiten und den Rest des Jahres nicht produktiv sein können. Die bisherige soziale Sicherung der Arbeitslosen reicht nicht aus. Sie wird durchgeführt bisher zum Teil von den Unternehmen, die Leute, die sie entlassen, drei Jahre lang weiter bezahlen müssen, wenn sie nicht vorher Arbeit finden. Der Staat gibt etwas, und die Gemeinden und Städte müssen etwas tun. eine gemeinsame Verpflichtung für alle Beteiligten, dass die Menschen nicht in das absolute Nichts versinken. Dieses System der sozialen Sicherung wird ausgebaut, ist aber keineswegs fertig. Man muss bedenken, dass, da alle ursprünglichen Ansammlungen von Fonds fehlen, dass man jetzt, sowie man Geld hat, es auszahlen muss. Aber der Staat hat genug Geld, und er bemüht sich darum, zu verhindern, dass Menschen zugrunde gehen. Die Zahl der Arbeitslosen ist ungewiß, man spricht von vier bis fünf Prozent in den Städten; aber offensichtlich ist die Unterbeschäftigung größer, und es gibt etwas über hundert Millionen Wanderarbeiter, die man auch sehen kann, wenn sie morgens zum Teil am Straßenrand stehen an bestimmten Stellen der großen Städte mit einem Schild: Das ist mein Name, das ist mein Beruf, ich suche Arbeit, Tagelöhner, die noch keine feste Arbeit haben. Ein großer Teil der Bauarbeiten in den großen Städten wird von diesen Wanderarbeitern gemacht. Etwas über hundert Millionen, das ist kein kleines Problem.

Gegen die Unterbeschäftigung auf dem Dorfe gibt es verschiedene staatliche Maßnahmen. Einmal staatliche Arbeitsbeschaffung, über die ich nachher noch sprechen will. Zweitens, einen Plan der Regierung, für sechzig Millionen dieser Menschen, die vom Dorf abwandern werden in den nächsten Jahren, Ausbildung zu schaffen, damit sie nicht als ungelernte Anfänger in den Städten arbeiten, damit sie nicht das niedrige Lohnniveau weiter drücken. Sie müssen ausgebildet werden, damit sie nicht als unqualifizierte Arbeiter ganz unten bleiben. Und das Dritte, was der Staat macht, ist, er fördert die Schaffung von kleinen und Mittelindustrien, die nicht in den großen Städten liegen sondern in den kleinen und Mittelstädten, von denen ich nachher noch reden werde. Man nennt das "Township and Village Enterprises", städtische und dörfliche Unternehmen, die industriell sind, zum Teil mit moderner Technik, zum Teil noch mit einer alten Technik. Es gibt dann weiter seit etwa zehn Jahren einen großen Plan der Armutsbekämpfung mit verschiedenen Methoden, teils, indem der Staat in den abgelegenen Gebieten, für Arbeitsplätze sorgt, indem man dort Straßen, Brücken und Ähnliches baut , teils auch direkte Lebensmittellieferungen, wenn es keine Möglichkeit zur Beschäftigung gibt. Es gibt eine beträchtliche soziale Ungleichheit, und die Regierung bemüht sich, sie zu begrenzen; aber man kann sie nicht mehr aufheben. Die Armutsbekämpfung wird seit Jahren durchgeführt, es gibt ein relativ erfolgreiches Programm. Aus den Zahlen geht hervor, dass die Armut immer weniger Menschen betrifft, aber dass es immer noch welche gibt, denen der Staat mit Lebensmitteln, Arbeitsbeschaffung oder auch durch Kleidung und ähnliche Dinge helfen muss.

2. Erziehung   INHALT

Zweites großes Problem ist das Erziehungsproblem, ein Schlüsselproblem der Entwicklung jeden Landes. Der Analphabetismus ist fast beseitigt, aber natürlich gibt es alte Leute , die nicht lesen und schreiben lernen werden. Man muss sich aber auch vorstellen, damit ein Mensch wirklich eine Zeitung lesen kann, muss er fünfzehnhundert Schriftzeichen, fünfzehnhundert Ideogramme, kennen, und die ganz Gebildeten sollten sechstausendfünfhundert Ideogramme kennen. Natürlich werden nicht alle Leute sehr schnell sechstausendfünfhundert Zeichen kennen, aber in den Schulen werden die Kinder heute daraufhin ausgebildet, dass sie die fünfzehnhundert Zeichen wenigstens lesen können, auch in der Volksschule. Es gibt eine allgemeine Schulpflicht, die Durchsetzung ist in der Wirklichkeit nur 90%; denn es gibt Gebiete, wo, trotz aller staatlichen Vorschriften, die Gemeinden so arm sind, dass der Lehrer doch von den Familien etwas kassieren möchte, und dann gibt es welche, die das nicht bezahlen können, Ich finde in den Untersuchungen chinesischer Forscher, die auf Englisch gedruckt sind, dass es Orte gibt, wo die Schulpflicht bisher nicht durchgesetzt werden konnte. Es gibt einen beträchtlichen Nachholbedarf. Wir haben viele Schulen gesehen, in manchen große Klassen, vierzig bis fünfzig Kinder, aber in manchen auch schon Klassen mit 28 , 30 Kindern. Große Klassen, Lehrermangel und natürlich noch ein Geldmangel. Ein neues großes Programm, das Schulwesen auszubauen, ist eine wichtige Aufgabe der Regierung, und besonders soll das ländliche Schulwesen verbessert werden. Wir haben eine ganze Reihe Schulen gesehen, alle in festen Gebäuden mit ein bißchen Grünanlage, geordnet, sauber, schöne Klassenzimmer. Und - ich habe das '78 zum ersten Mal gesehen, - es ist eine Entwicklung festzustellen, die beträchtlich ist, aber die natürlich nicht abgeschlossen ist und nie abgeschlossen werden kann.

3. Wohnungsbau   INHALT

Drittes Problem: Wohnungsbau, ein großes Problem wegen der Abwanderung der Menschen in die Städte. Zum großen Teil werden die Wohnungen gebaut von den Wanderarbeitern, heute auch schon mit modernen Maschinen, nicht mehr so wie 1978. Überall findet man moderne Maschinen und auch Hochhäuser. Der Wohnungsbau wird forciert, nicht nur in den Städten, auch auf dem Dorf. Und auf all den Dörfern, wo wir gewesen sind, es waren vielleicht sieben oder acht Dörfer, keine einzige Lehmhütte, alles Ziegelsteinbauten in ordentlichem Zustand. Das ist wichtig, einmal für die Arbeitsbeschaffung aber auch wichtig für den Lebensstandard der Menschen. Es wird in großem Ausmaß mit modernen Maschinen gearbeitet, aber natürlich gibt es noch eine ganze Menge Handarbeiten, die neben den Maschinen gemacht werden.

In manchen Orten, wie in Shanghai, gibt es schon viele Hochhäuser, und jetzt hat die Regierung gesagt, vielleicht ist es genug an Hochhäusern, baut nicht mehr so hoch. Es gibt beim Wohnungsbau, beim Bau neuer Städte, auch einige soziale Probleme, zu denen ich nachher noch etwas sagen will.

4. Ausbau der Infrastruktur   INHALT

Die Regierung ist beschäftigt mit dem Ausbau der Infrastruktur. Man muss sich vorstellen, dass dieses Land nur zu einem ganz kleinen Teil erschlossen war, nämlich im dicht besiedelten Osten und so weit die großen Flüsse schiffbar waren. Jetzt aber läßt die Regierung jedes Jahr über tausend km Eisenbahn bauen., Es werden Staudämme gebaut, nicht bloß der eine große, den ich gesehen habe, es werden mehrere Staudämme gebaut, und Staudämme müssen gebaut werden, weil am Unterlauf der Flüsse hunderte Millionen Menschen bedroht sind durch die Hochwasser, wie sie alle paar Jahre vorkommen; deswegen muss man deichen, man muss aber auch Dämme bauen, um allmählich die Flüsse zu domestizieren. Es genügt natürlich nicht, dass man einen Staudamm baut, es müssen die Flüsse insgesamt unter Kontrolle gebracht werden bis hinauf zu den Ursprüngen, und es müssen dann die Hänge, die von den Bauern genutzt worden sind für den Reisanbau, wieder bewaldet werden Also müssen die Bauern Heizmaterial haben damit sie nicht mehr den Wald abholzen. Das sind Aufgaben, die die Chinesen noch viele Jahrzehnte beschäftigen werden.

Die Staudämme haben drei wichtige Funktionen: Schutz vor dem Hochwasser, Schiffbarmachung der Flüsse und Produktion von Elektrizität. Alles das muss gemacht werden. Ein weiteres Programm der Regierung neben diesen zweien - Kontrolle des Hochwassers, Eisenbahn - ist die Wasserversorgung im Norden. Im Norden gibt es zu wenig Wasser aber große Städte, und die Regierung hat einen großen Plan, an dem schon praktisch gearbeitet wird, Wasser vom Süden nach dem Norden zu leiten. Als Viertes müssen neue, große Pipelines gebaut werden, denn im Westen sind die natürlichen Ressourcen, Erdöl und Erdgas, und gebraucht werden sie im Osten. Die dichte Besiedlung ist im Osten, im Westen ist die Besiedlung ganz dünn, zum Teil noch nomadische Bevölkerung, und wenn die im Osten weniger Kohle verbrauchen sollen,- auch wegen der Umwelt, wegen der Verschmutzung der großen Städte,- und mehr Erdgas und Erdöl, dann müssen Leitungen gebaut werden, was ein Problem darstellt für die Finanzierung.
Es gibt ein weiteres großes Projekt: Die alten Industrieanlagen im Nordosten, die erste schwerindustrielle Basis des Landes, müssen erneuert werden. Diese Anlagen, die schon vor sechzig Jahren, schon vor der Revolution, zum Teil von den Japanern gebaut wurden, müssen jetzt völlig erneuert werden, weil sie technisch veraltet sind. Es ist ein großer Plan der Regierung, diese Industrieanlagen völlig zu modernisieren.

5. Die regionalen Ungleichheiten.   INHALT

Fünftes Problem: Die regionale Entwicklung. Es gibt eindeutig große Unterschiede zwischen dem Westen und Nordwesten und dem Osten. Wer sich eine Bevölkerungskarte Chinas anguckt, sieht, dass im Osten des Landes eine ganz dichte Besiedlung ist, zum Teil achthundert Menschen auf den qkm, auch in landwirtschaftlichen Gebieten, und im Westen gibt es Gebiete, wo ein bis zwei Menschen auf den qkm leben. Es gibt, einige Oasen der Landwirtschaft und ansonsten Wüste und Berge, aber dort sind eben die großen Ressourcen, die im Osten gebraucht werden. Es gibt zudem ein großes Problem: die ethnischen Minderheiten. In diesen Grenzgebieten leben ethnische Minderheiten, zum Teil noch Nomaden., Es gibt dort eine ganz andere, eine nomadische Landwirtschaft, während es im Osten eine ganz intensive Bewässerungslandwirtschaft gibt. Es müssen also die Rohstoffe dort gewonnen werden, es muss die Infrastruktur ausgebaut werden, und es muss die Industrie in diesen Gebieten entwickelt werden. Aber die Regierung hat das Problem, dass ein großer Teil der Ingenieure und Fachkräfte aus dem Osten kommt, es sind also Han-Chinesen, während in den West-Nordwestgebieten nationale Minderheiten leben. Wenn man das zu hart macht, führt das zu ethnischen Auseinandersetzungen, die problematisch sind, auch deswegen, weil diese Nomadenvölker ja auf der anderen Seite der Grenze ihre ethnischen Verwandten haben und deswegen ist eine gewisse Gefahr dieser Auseinandersetzungen der Versuch des Separatismus, der auch manchmal von der deutschen Regierung unterstützt wird, zum Beispiel bei den Uiguren.

6. Die Abwanderung aus der Landwirtschaft   INHALT

Das sechste Problem ist die Abwanderung aus der Landwirtschaft. Manche sprechen von Landflucht. Diesen Ausdruck benutze ich als Agrarökonom nicht, denn ich denke, es müssen Menschen aus der Landwirtschaft abwandern. Sie müssen nicht unbedingt in die großen Städte, aber sie müssen die Arbeit in der Landwirtschaft verlassen. Man kann auch im Dorf bleiben, wenn, wie bei uns in Württemberg, in den kleinen Orten Industrien geschaffen werden, aber es müssen Menschen aus der Landwirtschaft weg, wenn die Produktivität steigen, und der Lebensstandard der Menschen sich damit verbessern soll. Das ist natürlich ein Problem für die Mehrheit des chinesischen Volkes. Mindestens 60%, das sind etwas über siebenhundert Millionen Menschen, leben noch von der Landwirtschaft und in der Landwirtschaft. Diese Abwanderung sollte, wie gesagt, nicht unbedingt in die großen Städte führen, sondern die Menschen sollten in der Nähe der Dörfer bleiben. Deswegen werden erstens diese kleinen Industrien gefördert, und zweitens läßt die Regierung systematisch neue Kleinstädte und Mittelstädte bauen.
Wir haben solche Städte gesehen, die neu entstehen, wo früher kleine Dörfer waren und heute hundert-, hundertfünfzigtausend Menschen leben. Man sieht an diesen Städten, wie eine moderne Urbanistik geplant werden kann. Es gibt dann neben der Abwanderung aus der Landwirtschaft in die Städte diesen Ausbildungsplan, von dem ich gesprochen habe.

Die Regierung versucht jetzt auch, den Ausbau der ganz großen Städte zu bremsen, weil man sagt, das Optimum der Bevölkerungsgröße ist wahrscheinlich in Shanghai und Guangzhou überschritten. Zwölf Millionen Menschen in Shanghai, das läßt sich einfach nicht mehr infrastrukturell vernünftig ordnen; deswegen werden sie vielleicht eines Tages nicht nur diesen Ausbau der Wolkenkratzer bremsen, sondern auch eine Satellitenstadt in der Nähe bauen, was sie praktisch angefangen haben mit Shanghai-Pudong.

Diese Abwanderung aus der Landwirtschaft bringt natürlich einige soziale und juristische Probleme. Bisher hatten die Bauern keine soziale Sicherung. Ihre soziale Sicherung bestand in dem Landrecht. Jeder Bauer hatte nach der Auflösung der Volkskommunen Anfang der Achtzigerjahre den gleichen Anteil von Land bekommen bei der Landverteilung. Das Land gehört dem Staat, aber die Bauern nutzen es individuell. Sie können also eigentlich das Land nicht verkaufen, sie können es aber weitergeben - es ist nicht so ganz einfach, die Bauern bei der Landfrage zu kontrollieren, aber im Prinzip ist der Boden staatlich und wird von den Gemeinden als gemeinsame Gemarkung verwaltet. Wenn aber ein Bauer eine feste Arbeit hat in der Stadt, dann verliert er das Recht auf Landnutzung, das heißt, der Boden wird dann einem anderen Bauern zugeschlagen. Ein Bauer hat im Durchschnitt ein bis zwei Mu. Ein Mu ist ein Fünfzehntel ha, das sind etwa sechshundert qm, aber es wird ja zweimal im Jahr genutzt. Im tropischen und subtropischen Klima, und dank teilweiser Bewässerung gibt es mindestens zwei Ernten im Jahr. Dennoch: Auch wenn Leute abwandern aus der Landwirtschaft, wird das ein langsamer Prozeß sein . Kein Bauer wird ein Großbauer werden. Wenn er statt ein Mu dann zwei Mu hat, oder drei, bleibt er ein kleiner Produzent und wird nicht andere Bauern ausbeuten können, aber er wird seine Arbeitskraft besser nutzen. Also einmal ein Verlust des Landnutzungsrechtes, wenn man eine ständige Arbeit in der Industrie findet und zweitens eine Veränderung des Status. Früher galt, dass ein Bauer eigentlich minderen juristischen Status hatte, es gab etwas, das hieß Haikou und die Bauern waren in den Städten nicht gern gesehen, man wollte sie auf dem Lande halten. Das war vielleicht 25 Jahre lang nützlich , und jetzt heißt es, wenn ein Mensch aus dem Dorf weg und in die Städte geht, kriegt er das gleiche Recht, er wird zu einem Städter, ohne weitere Schwierigkeiten. Früher gab es Kontrollen, wo man die Bauern wieder rausgesetzt hat, aber wenn heute ein Bauer ständig in der Stadt lebt, dann wird sein juristischer Status verändert. Natürlich ist das eine Entwicklung, die langsam gehen wird, im Zusammenhang mit dem Ausbau der Industrien und dem Aufbau neuer Dienstleistungen, da gibt es ein großes Feld der Arbeitsbeschaffung. In den Dienstleistungen, besonders in den sozialen Diensten, wird es noch viel zu tun geben: Krankenhäuser, Gesundheitsdienst, Altersheime eines Tages, wenn wir mehr alte Leute haben, usw.

Das nächste Problem ist, wie der Agrarsektor modernisiert werden soll, wie man die Produktion steigern kann. Es hat nach 1978, nach der Periode der primären Akkumulation, wo man die Bewässerung ausgebaut und Land melioriert, Ödlandflächen kultiviert hat, eine Zeit gegeben, wo die Produktion stagniert hat, weil man keine neuen Produktionsmittel, keine Düngemittel, keine Traktoren hatte.

Nach 1978, hat es mit der Auflösung der Volkskommunen einen beträchtlichen Schritt nach vorne gegeben, der nicht bloß zusammenhängt mit der Auflösung der Volkskommunen, sondern auch damit, dass man Düngemittelfabriken gebaut hat, dass es Traktorfabriken gab, dass die Bewässerung ausgebaut worden ist, und dass der Staat höhere Preise festgesetzt hat für die Lebensmittel, für die Produkte der Landwirte. Das alles zusammen hat mitgewirkt dazu, dass es nach 1978 einen beträchtlichen Aufschwung der Agrarproduktion gegeben hat. Aber diese Impulse, sind, soweit ich das verstehe als Agrarökonom, verbraucht. Man sucht jetzt nach neuen Impulsen, wie man der Landwirtschaft einen neuen Anstoß geben kann. Da gibt es verschiedene Vorschläge. Mehr Bewässerung, noch mehr Mechanisierung - wir haben schon die ersten Mähdrescher bei der Arbeit gesehen, die in China gebaut wurden - die Förderung der besten Region und die Verstärkung der tierischen Produktion. China hatte bis jetzt relativ wenig tierische Produktion, überwiegend Schweine, die sich von den Abfällen ernähren mussten, Hängebauchschweine, die zwei, drei Jahre brauchten, bis sie fett wurden, und man sie schlachten konnte. - Das war zwar sehr gutes Fleisch , aber es ging zu langsam für unsere Zeit. Also sagt der Staat jetzt, ihr könnt auch ein bißchen Getreide füttern, wir haben Getreideüberschüsse, also füttert auch Getreide, dann geht die Produktion ein bißchen schneller. Der Staat möchte jetzt auch die Einführung von mehr Milchwirtschaft, weil man der Meinung ist, die ich für vernünftig halte, Milch ist ein wichtiges Nahrungsmittel. Das konnte es bisher nicht geben, weil im Osten Chinas die Produktion auf dem Feld gerade ausgereicht hat, um die Menschen zu ernähren. Jetzt gibt es Überschüsse, also versucht man mehr tierische Produktion, damit es mehr Milch gibt, nicht bloß für die Diplomaten aus dem Ausland, sondern auch für die chinesische Bevölkerung. Das ist sicher eine Sache, die in den nächsten Jahren forciert werden wird. Wir haben einen Teil davon schon gesehen: die Förderung der Milch- und der Fleischproduktion.

7. Die Modernisierung der staatseigenen Betriebe   INHALT

Das ist ein großes Problem, denn der Staat war am Anfang der einzige Arbeitgeber außer der Landwirtschaft. Weit über hundert Millionen Menschen waren auf den Lohnlisten des Finanzministeriums, das lässt sich auf die Dauer nicht durchhalten. Das war notwendig, weil natürlich kein Kapitalist auf der Welt Eisenbahnen hat bauen lassen, oder Stahlwerke oder Elektrizitätswerke. Die Kapitalisten wollen alle kurzfristig investieren und möglichst schnell was nachhause tragen. Es muss aber am Anfang langfristig investiert werden in große Anlagen, in. Stahlwerke, Eisenbahnen, Elektrizitätswerke und vieles Andere. Das hat der Staat machen müssen, und er hat auch die vielen Wohnungen bauen müssen in der Nähe der großen Fabriken, so dass alles eine Einheit bildete. Die Chinesen nannten das Danwei. Bei den großen Fabriken gab es Wohnungen für viele Arbeiter, Schule, Kindergarten, Lebensmittelgeschäft, eine Klinik und, und, und. Der Industriebetrieb war eine Einheit mit der Umgebung. So ähnlich war es ja bei uns vor hundertfünfzig Jahren. Als Krupp anfing, seine Kanonen gießen zu lassen, gab es eine Krupp-Stadt in Essen. Die Arbeiter wohnten bei Krupp in den Werkswohnungen, es gab einen eigenen Konsumverein von Krupp, was für die heutige Zeit bei uns nicht mehr wünschenswert ist, weil es die Menschen abhängig macht von dem einen Unternehmen. So ähnlich, aber mit nichtkapitalistischem Signum war das in China: Eine Danwei, eine Einheit, wo der Betrieb für alles zu sorgen hatte und wo auch kein Mensch rausgeschmissen werden konnte. Denn sie fingen einmal an zu arbeiten, bauten die Fabrik; sie blieben dort, und das war das, was man nachher vereinfachend den "eisernen Reistopf" nannte, aus dem alle essen konnten.

Das lässt sich auf die Dauer nicht durchhalten, weil die ursprüngliche Gleichheit in der Armut weder ein Ziel des Sozialismus noch praktikabel ist. Wenn sich die Wirtschaft diversifiziert und es mehr Möglichkeiten gibt außer dem Minimum, dann werden die Menschen verschiedene Wünsche haben, und man kann nicht den gleichen Wunsch für alle auf einmal erfüllen. Es muss also eine gewisse Ungleichheit geben. Der Staat muss versuchen, einen solchen Prozeß des Umbaus der Schwerindustrie und der Industrie überhaupt allmählich, langsam zu vollziehen. Manche von unseren großen Ökonomen haben gesagt, das gehe alles viel zu langsam. Aber Zhu Rongji, der bis vor einem Jahr Ministerpräsident war, hat gesagt, wir lassen uns das von den anderen nicht vorschreiben. Da sind auch soziale Konsequenzen des Umbaus der Staatsbetriebe, die wir nicht ohne weiteres ignorieren können. Wir müssen etwas tun, damit dieser Übergang vernünftig vor sich geht, damit die Menschen irgendwie noch am Leben bleiben. Es also ist notwendigerweise ein langer Prozeß, wo auch neue Technologien eingeführt werden müssen. Man darf aber nicht das Rad zum zweiten Mal erfinden, das ist zu umständlich, und dauert zu lange. Man muss versuchen, die Technologien aus dem Ausland herein zu bekommen. Das schafft ein Problem, das Problem des Verhältnisses der Chinesen zu den ausländischen Investoren, die jetzt kommen, nachdem die Chinesen ihre Infrastruktur und vieles Andere aufgebaut haben. Das Problem ist also, dass die Entlassungen, die durchgeführt werden müssen, vorsichtig vorgenommen werden, und dass die großen Fabriken gezwungen sind, mindestens drei Jahre lang die von ihnen "freigestellten" - in Wirklichkeit entlassenen - Arbeiter zu erhalten, bis diese eine neue Arbeit gefunden haben.

Es gibt eine staatliche Kommission; die heißt jetzt nicht mehr Plankommission sondern Nationale Entwicklungs- und Reformkommission, das ist aber in Wirklichkeit die alte Plankommission in einer neuen Funktion. Es wird geplant, aber es wird nicht mehr völlig direktiv geplant mit genauen Auflagen, sondern es wird indirekt geplant. Ein Beispiel: Als es zu wenig Reis gab, gab es Rationierungskarten, und jeder bekam ein Minimum an Reis. Natürlich gab's auch einen schwarzen Markt, der war nicht so groß, aber es gab ihn. Es gibt immer Markt, mal ist es ein schwarzer Markt, mal ein weißer Markt, mal ist es ein grauer Markt. Aber es hängt davon ab, wie stark und wie hart die Polizei ist, ob der Markt grau oder weiß ist. Wenn die Polizei hart ist, ist es ein schwarzer Markt, ist sie weniger hart, ist es ein grauer Markt, wenn der Polizist Geld nimmt, ist es ein weißer Markt. Markt hat es auch unter Mao gegeben, die haben das nur nicht wahrhaben wollen. Markt gibt's immer, aber der Markt ist weniger als die Planung. Am Anfang also musste alles geplant werden, bis es genug Reis gab. Am Anfang gab es zwei Preise, den Preis für den freien Reis, und den Preis für den rationierten Reis. Inzwischen aber ist die Produktion so weit, dass man genug Reis hat, manchmal ein bisschen mehr. Es entstanden also große Getreidelager, von denen wir einige gesehen haben, wo die Bauern abliefern. Wir haben auch die Ablieferung gesehen, es wird gewogen und kontrolliert nach Qualität und Sauberkeit. Dann kriegen die Bauern manchmal Bargeld, manchmal haben sie auch Papierscheine bekommen, dass sie später Geld kriegen, da haben die Bauern protestiert, sie wollten Bargeld sehen. Diese Getreidelager sind sozusagen strategische Reserven; denn wenn jetzt der Markt zu wenig Getreide hat, besteht die Gefahr der Spekulation, der Preissteigerung, wird der Staat aus den Lagern Reis auf den Markt geben. Wenn aber zuviel Reis produziert wird, und der Preis zu sinken droht, dann kauft der Staat zu einem gesicherten Grundpreis den Reis auf und legt ihn in seine Lager. Das ist eine indirekte Marktsteuerung, es gibt einen Markt, aber der Staat kontrolliert den Markt und verhindert, dass Händler schlechte Marktlagen ausnutzen - Planung, aber indirekte Planung. Nicht durch Kontrolle und Rationierungsmarken sondern Regulierung durch große staatliche Lager, die eine ganz wichtige Rolle für die Stabilität des Marktes und damit auch für die soziale Stabilität haben. Ein Beispiel dafür, wie man planen kann, aber mit neuen Methoden. Das läßt sich auch auf andere Dinge ausweiten.

Natürlich muss sich der Staat bemühen, die ausländischen Investoren zu kontrollieren. Das ist eine lange Debatte, von der die meisten Maoisten nicht wissen, dass sie schon einmal geführt worden, - in der Sowjetunion. Als man anfing über Planung nachzudenken, gab es dort eine lange Debatte, Anfang der Zwanzigerjahre, und der große Bucharin, einer der bedeutendsten Ökonomen und von Stalin umgebracht, hat damals gesagt: Wir dürfen nicht alles planen, wir müssen nur die Kommandohöhen der Wirtschaft planen. Das genügt uns. Wenn wir alles planen, werden wir eine Bürokratie schaffen, die die Vorteile der Planung auffrißt. Das heißt, wenn ich es vereinfacht sagen soll: Reis muss geplant werden, aber nicht die Erdbeeren. Wenn das das Zentralkomitee plant, dann werden die Erdbeeren verderben und es ist sinnlos.

Was sind aber die Kommandohöhen? Am Anfang sind es Reis, Stahlwerke, Elekritzitätswerke, Staudämme, Eisenbahn und noch so ein paar Sachen. Nachher aber, wenn es genug Reis gibt, braucht man das nicht mehr zu planen. Wenn es genug Stahlwerke gibt, dann überläßt man es den Betriebsleitern, zu produzieren, was gebraucht wird. Das heißt, man muss die Planung alle Weile überprüfen, ob sie noch notwendig ist, ob sie die richtigen Methoden hat, ob sie Erfolg hat, oder ob vielleicht die Planung ein bißchen falsch war. Die Vorstellung, die man früher hatte, gefördert durch die Zeit des Stalinismus, 100% Planung - 100% Erfolg, ist falsch, stimmt nicht. Und auch bei allen Planungen in späteren Jahren des Sozialismus hat es Planlücken gegeben, die dann mit eingerechnet wurden bei der Planung , weil die Betriebe ihre Angebote minimiert haben, und die Planung versucht hat, die Forderungen zu maximieren. Also war da immer eine Lücke, und jeder hat berichtet, dass er alles produziert hat. Aber in Wirklichkeit gab es zwischen den Fabriken und zwischen den Behörden auch einen illegalen Markt. Wenn Einer eine Schreibmaschine brauchte für sein Büro, hat er nicht bei der Planungsbehörde angefragt, sondern hat versucht, hintenherum das Zeug zu beschaffen. Also, man muss versuchen, Planung mit Vernunft zu betreiben, man muss sie immer wieder kontrollieren, und muss ihre Methoden und Ziele ab und zu verändern, wenn der alte Plan erfüllt, oder auch nicht erfüllt worden ist. Daher ändert sich die Planung von der direkten, quantitativen Planung zu einer indirekten Planung, die mit verschiedenen Methoden ausgeführt wird, einmal mit großen Getreidereserven, oder auch, indem der Staat die Kredite kontrolliert durch die staatlichen Banken.

8. Die Stellung auf dem Weltmarkt.   INHALT

China ist heute ein großer Exporteur auf dem Weltmarkt. Aber es ist auch gleichzeitig ein großer Markt für die Importeure. China braucht neue Technologien, die man nicht mehr neu erfinden will, wie zu Maos Zeiten, die man übernimmt nach Auswahl dessen, was man für notwendig und nützlich hält, und ein gewisses, begrenztes Ausmaß auch von Konsumgütern. Sie können in Peking heute Mc Donald's finden und Gucci und alle diese modernen Firmen; aber ich glaube, das hat für den Markt von China eine ganz minimale Bedeutung. und ich nehme es nicht tragisch, wenn die Leute dort das schlechte Essen von Mc Donald's essen wollen. Ich glaube, das chinesische Essen ist so viel besser, dass die Leute eines Tages sagen werden, diesen Schlangenfraß wollen wir nicht mehr. So wird es kommen, und deswegen ist der kein politisches Problem, dass junge Menschen heute grade begeistert sind von Mc Donald`s, da kümmert man sich gar nicht drum, das läßt man laufen. Das ist vernünftig. Also ein Markt für Importe, und die Regierung kontrolliert die Importe. Sie sagt, wir wollen die moderne Technologie. Und, wenn ihr Deutschen uns die nicht gebt, gehen wir zur Konkurrenz. China ist heute ein so großer Markt und so gut organisiert, sie haben so viele Ingenieure und Fachleute, dass sie sich nicht mehr das Zeug verkaufen lassen, das sie nicht wollen, sondern sie wählen aus, die Technologie, die sie brauchen. Die deutsche Regierung hat ja Transrapid in Shanghai sehr stark subventioniert. Und als Schröder dort war, vor einem Jahr, da ging der Tachometer auf über 400 km/h. Die haben einfach den Tachometer umgestellt, denn die Bahn funktioniert noch nicht. Die Stelzen sind noch nicht in Ordnung. Und die Chinesen haben jetzt erklärt, wir kaufen ihn nicht. Wir werden die große Linie über 1200km Bejing-Shanghai nicht mit dieser Sache bauen lassen Wir bauen unsere eigenen Schnellzüge. Das kann man in der Peking Rundschau lesen, man muss bloß richtig lesen. - Die Chinesen haben erklärt, wir werden das Zeug nicht kaufen. Sie werden die Bahn zum Flughafen bauen, die wird eines Tages funktionieren, aber sie wird nicht das Modell werden für ein Land mit 10 Millionen qkm. Sie werden auf diesem Gebiet ihre eigene Technologie entwickeln, Schnellzüge, die wir hier haben, vielleicht ein bißchen anders, so wie die Franzosen, das weiß ich nicht genau. - Aber jedenfalls, wir können nicht annehmen, dass die deutschen Unternehmen oder die amerikanischen entscheiden können, was dort geschieht.

Das ist ein großer Markt, aber ein Markt, der von der Regierung kontrolliert werden muss und kontrolliert wird. Auch bei den Autos. Wir haben das Volkswagenwerk gesehen. Manche von meinen Freunden, die mit waren, waren empört, dass die Chinesen Volkswagen produzieren. - Da ist doch nichts dabei. Da werden jetzt 500 000 Volkswagen produziert, und Volkswagen hat 50% Anteile vom Markt. Das heißt, eine Million PKW werden im Jahr produziert. Für ein Land mit 1,3 Milliarden ist das so furchtbar gefährlich? Schadet das dem Sozialismus? Ist das Kapitalismus? Das ist das Bedürfnis der Ärzte, der Bonzen, und ein paar Privilegierter dass sie ein Auto haben wollen. Aber das Land wird nicht nur mit Autos fahren. Das ist undenkbar. Man muss wissen, Deutschland produziert im Jahr zwischen 5 und 6 Millionen Autos und hat 80 Millionen Einwohner. Die Chinesen haben 1,3 Milliarden und produzieren eine Million. Der Plan von Volkswagen ist, im Jahr 2007 die Produktion zu verdoppeln, wenn sie die Genehmigung der Regierung bekommen, die sie wahrscheinlich kriegen werden. Das heißt, auch im Jahr 2007 wird der Markt in China noch nicht voller Autos sein. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Chinesen viele Autos haben, und dann wird vielleicht die Regierung sagen, wir müssen das ein bißchen bremsen.

China ist der Welthandelsorganisation beigetreten, und manche von meinen maoistischen Freunden waren ganz erschüttert: Amerika wird China einkaufen, und die Regeln Amerikas werden den Weltmarkt bestimmen. Ich sehe darin keine Gefahr. China ist einfach zu groß dafür, um eingekauft oder verkauft zu werden. China hat in Cancun gezeigt, auf der letzten Konferenz der Welthandelsorganisation, dass es sich zusammengetan hat mit Brasilien, Indien und noch einigen anderen Ländern. Mit Brasilien und Indien zusammen sind sie ja schon die Hälfte der Weltbevölkerung, und sie haben den Amerikanern erklärt: Eure Regeln gelten nicht für uns. Auch die amerikanischen Regeln gelten ja nur für die Schwachen, und Amerika versucht auch, seine schwachen Wirtschaftszweige zu schützen. Das wird natürlich jede Regierung versuchen. Keine Regierung wird zulassen, dass man ihre Wirtschaft zerstört mit amerikanischem oder deutschem Dumping. Aber: China ist ein Markt mit 1,3 Milliarden, Slowenien ein Markt mit 2 Millionen Menschen. Und die Slowenen oder die Tschechen mit 10 Millionen werden nicht im Stande sein, sich auf diesem Markt so zu wehren, wie Inder, Chinesen und Brasilianer, wenn sie zusammenarbeiten. Ich glaube also, das ist keine Gefahr. Es zeigt sich aber auf Grund der Erfahrung, dass sich völlige Abschließung, wie sie in der Stalinära üblich war, wie sie vielleicht am Anfang nötig war, wie bei uns vor 160 Jahren, dass sich das auf die Dauer nicht durchhalten läßt, dass der Weltmarkt irgendwie doch einwirkt auf das Land. Es gibt in der Welt eine gewisse Osmose zwischen diesen zwei Märkten. Und durch die neuen Informationstechnologien, wissen die Menschen alles. Auch die Propaganda aus dem Westen zeigt, was alles bei uns produziert wird. Und wenn die Kommunisten was taugen, müssen sie fähig sein, zu konkurrieren. Und sie müssen fähig sein, eine Alternative zu bieten. Sie können nicht sagen: Das gibt es nicht. Und sie können nicht Mc Donald's verbieten und die Blue Jeans, sondern sie müssen versuchen, es besser zu machen. Das ist ihre Aufgabe. Darauf komme ich noch zurück. Jedenfalls brauchen sich die Chinesen nicht vor den USA zu fürchten. Die USA können nicht bestimmen in der Welt; die Anderen müssen mitreden, aber sie können nur mitreden, wenn sie eine eigene ökonomische Machtposition haben. China hat heute eine ökonomische Machtposition, dank der kommunistischen Entwicklungspolitik.

Dazu gehört als nächstes Problem die Förderung des Binnenmarktes. China muss exportieren, um Technologie einkaufen zu können, es muss aber auch den Binnenmarkt fördern. Am Anfang konnte man das nicht, weil es nichts gab; aber jetzt ist wünscht der Staat, dass die Menschen mehr konsumieren, sowohl an Lebensmitteln , als auch an Wohnungen, wie an Kühlschränken und was weiß ich noch und auch dass die Menschen mehr Tourismus betreiben. Es gibt jetzt längere Ferien als früher, kürzere Arbeitszeit, hier mal acht Tage Staatsferien, dort mal acht Tage Staatsferien. Und der Tourismus - es ist ein Massentourismus; an den Orten, wo wir gewesen sind - da kommen zehntausende von Chinesen. Und es funktioniert mit der Eisenbahn, und mit dem Flugzeug. Das Land ist organisiert, und der Tourismus, die Freizeit der Menschen, gehört auch dazu. Am Anfang konnte man es nicht, jetzt kann man das: Fünftagewoche, Verkürzung der Arbeitszeit, mehr Urlaub, den es früher kaum gab, eine andere Geschichte. Das war in der früheren Periode nicht möglich, jetzt ist man anders dran. Das ist nicht Konsumismus, wie manche bei uns im Westen behaupten, das ist die Notwendigkeit, dass der Mensch auch teilnehmen kann an den Fortschritten seiner Arbeit. Wenn die Menschen etwas geleistet haben, dann wollen sie auch an den Früchten teilhaben. Man kann ihnen nicht sagen, in der sechsten Generation sind wir im sozialistischen Paradies. Die Menschen haben Kinder, die Kinder wollen sich satt essen, sie brauchen eine Schule, eine anständige Wohnung usw, und wenn das nicht da ist, hört die Motivation auf. Deswegen muss der Staat sich bemühen, und das macht er auch, und es ist gut für die Balance der Wirtschaft, dass man nicht nur exportiert, sondern dass auch der Binnenmarkt ganz wesentlich gefördert wird. Das führt zu einer allmählichen Verbesserung des Lebensstandards auf einer sehr breiten Basis. Aber sicher gibt es noch Menschen, die nicht dabei sind. Keine Frage, die Chinesen bestreiten das nicht.

9. Familienplanung   INHALT

Nächster Punkt ist die Familienplanung, ein sehr heikler Punkt, vor allem bei unseren Feministinnen, die manchmal bei meinen Studienreisen dabei waren, die empört waren darüber, dass der Staat gesagt hat, die Einkindfamilie wäre gut für einige Jahrzehnte.

Die Sache fängt damit an, dass der große Vorsitzende Mao eines Tages zu Journalisten gesagt hat: "Je mehr Kinder wir haben, desto stärker sind wir" - ein Blödsinn. Das wurde dann verbreitet und die Bürokraten haben dann gesagt, keinen Abort mehr, keine Familienplanung, viele Kinder. Das hat dazu geführt, dass China in etwa 25 Jahren die Bevölkerung von etwa 500 Millionen auf eine Milliarde gesteigert hat, was natürlich riesige Probleme geschaffen hat. Dann kam Deng Xiaoping und die große Reform und da hat man gesagt, es hat doch keinen Sinn, dass wir so weitermachen, Es wäre gut, wenn die Menschen nur ein Kind hätten. Dabei gibt es natürlich Probleme. Eines der Probleme war, dass manche Leute ein Mädchen nicht aufgezogen haben. Es gab sehr bald eine Entscheidung der Regierung und eine Kampagne, das zu verhindern. Die ganze Sache, stellte sich heraus, kann gar nicht mit Gewalt gemacht werden. Es gibt 650 Millionen weibliche Wesen in China, und keine kommunistische Partei und kein Geheimdienst kann sechshundert Millionen Frauen kontrollieren. Man hat also versucht, das durch Erziehung zu verbessern, Erziehung, Ausbildung, Möglichkeit des Aborts, Familienplanung, und in den Städten sieht man das schon. Ich war mal eingeladen bei Frauen eines Übersetzungsinstituts, und da waren vier Frauen da mit drei Kindern. Die Kinder waren glücklich, freundlich und haben gespielt, und die Frauen waren auch zufrieden. Man kann auch mit einem Kind auskommen, wenn es nicht anders geht, zumal in den Städten, wo die Wohnungen nicht sehr groß sind.

Auf den Dörfern ist es anders gewesen, bei den ethnischen Minderheiten sowieso, das ist eine heikle Sache, dünne Besiedlung. Bei den ethnischen Minderheiten gab es überhaupt keine Kontrolle, auf den Dörfern hat man es versucht, aber es hat sich herausgestellt, dass das nicht geht. Meiner Ansicht nach ist Familienplanung verbunden mit Ausbildung, mit Schule und mit einer Alterssicherung. Die Leute haben nicht traditionell gerne Kinder haben wollen, sondern es war so, dass es keine andere Sicherung gab, als wenn die Kinder da waren, die die alten Leute ernähren sollten. Das ist für mich nicht sehr human, dass Kinder ihre Eltern ernähren sollen. Die Kinder haben ihr eigenes Leben, ihre eigenen Aufgaben; und die alten Leute haben ihr Leben lang gearbeitet, und da muss so viel übrig bleiben, dass sie leben können. Das ist der neue Weg. Die Sache wird flexibel gestaltet, und ich glaube, in den Städten ist die Einkindfamilie erfolgreich. Auf den Dörfern wird es sicher noch eine Weile dauern, aber insgesamt ist der Bevölkerungszuwachs heruntergegangen, von über 2% auf unter 1%. Aber 1% in China, das sind 13 Millionen Menschen mehr im Jahr, also etwas mehr als in ganz Baden-Württemberg. Es ist immer noch ein Problem, und deswegen glaube ich, dass die Idee der Einkindfamilie für einige Jahrzehnte gut ist, bis wir dann so weit sind, dass die Bevölkerung stabil ist. Wir haben ja in Deutschland ewige Debatten gehabt. Ich finde, es ist wäre kein Unglück, wenn das deutsche Volk von 82 Millionen auf 79 Millionen sinken würde. Die Sache ist ja öfters debattiert worden, Helmut Kohl hat das mal den Sozialdemokraten vorgeworfen, dass Deutschland weniger wird; da hat Helmut Schmidt geantwortet, was wäre dabei, wenn wir statt 62 Millionen nur noch 58 Millionen Deutsche wären? Da war Helmut Kohl sehr empört in den Siebzigerjahren.

10. Kontrolle der ausländischen Investoren   INHALT

Nächste Frage: Das Problem, wie man die ausländischen Investoren kontrolliert. Wir haben das gesehen in einem Volkswagenwerk. Notwendig ist der Technologietransfer, der von den Deutschen und anderen Ausländern nicht so gerne gesehen wird. Sie möchten gerne ihre neuesten Modelle , ihre neuesten Erfindungen für sich behalten, und das, was sie gestern gehabt haben, in die Entwicklungsländer geben. Die Chinesen sind ökonomisch so stark, dass sie versuchen können, das Neueste zu bekommen. Beim Volkswagenwerk ist die Situation so, es ist ein Joint Venture, ein gemeinsames Unternehmen mit zwei deutschen und zwei chinesischen Managern. Wir haben nachher mit einem der chinesischen Manager zusammen gesessen. Der hat uns seine Visitenkarte gegeben, und da steht drauf: Sekretär der kommunistischen Parteigruppe beim Volkswagenwerk und Ökonom. Er ist einer von den vier Managern, keiner hat ein Veto, es gibt keine Mehrheitsentscheidung, sondern es muss im Konsensus beschlossen werden, was gemacht wird. Das heißt, die chinesischen Kommunisten versuchen, die ausländischen Investoren ein bißchen zu kontrollieren, damit nicht zu viel Unfug getrieben wird.

Ich glaube ferner, der Umfang der ausländischen Investitionen wird überschätzt. Das ist ein so großes Land, dass keine ausländische Macht so viel Kapital übrig hat, dass sie das Land oder große Teile des Landes übernehmen könnte. Ich habe eine Zahl gefunden, die besagt, dass in China im Jahr 2004 etwa 60 Milliarden Dollar vom Ausland als Investitionen geplant sind, wenn auch noch nicht durchgeführt. Was von den Planungen durchgeführt wird, ist ja immer etwas weniger. Aber 60 Milliarden Dollar bei 1,3 Milliarden Menschen sind etwas über 40 Dollar pro Person. Davon kann China seine großen Investitionen nicht machen. Der größte Teil der Investitionen muss aus dem eigenen Lande kommen bei diesem Riesenland. Das heißt Folgendes: Manche kennen ja die alten Autos. Wenn so ein Auto mal lief, dann hat man den Choke gezogen, da wurde das Auto ein bißchen schneller. Wenn man den Choke aber zieht, bevor der Motor läuft, dann ersäuft der Motor. Also: Zuerst muss die Eigeninvestition kommen, und dann kann das Bißchen ausländische Investition die Sache noch ein wenig beschleunigen. Und so ist das auch zu sehen mit den ausländischen Investitionen. Das ist nicht der Kapitalismus, sondern es ist der Versuch, kapitalistische Unternehmen in den chinesischen Markt einzubringen.

11. Wie verwirklicht man sozialistische Demokratie?   INHALT

Ich komme jetzt nach den ökonomischen und sozialen Problemen zu den politischen Fragen. Erste Frage: die innenpolitischen Probleme Chinas. Deng Xiaoping hat mal gesprochen von den "Moskitos". Er hat gesagt, wenn wir das Fenster öffnen, kommen die Moskitos herein. Da gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist, man läßt das Fenster geschlossen, dann wird die Luft muffig. Oder man macht das Fenster auf und schlägt die Moskitos tot. Dann kann man weitermachen. Man muss das Fenster ab und zu aufmachen, man kann nicht alles geschlossen halten. Das ist heute, in der Zeit der modernen Informationstechnologie nicht mehr möglich. - Das zweite innere Problem ist die Verwirklichung sozialistischer Demokratie, ein dauerndes Problem, das diskutiert wird. Dafür gibt es objektive Hindernisse. Ein objektives Hindernis war, dass die Menschen noch nicht lesen und schreiben konnten. Das zweite, dass sie hungrig waren, und dass die Leute in den Dörfern gar keine Zeit hatten, sich mit Politik zu beschäftigen. Um sich mit Politik zu beschäftigen und teilnehmen zu können, muss man einen gewissen sozioökonomischen und soziokulturellen Standard erreicht haben, dann kann man sich interessieren. Wenn wir zu Essen haben, können wir uns auch interessieren für Politik. Der Schiller hat das mal gesagt in einem Epigramm: "Nichts mehr davon, ich bitt' euch. Zu Essen gebt ihm, zu Wohnen. Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst."

Ferner was sozialistische Demokratie ist, ist gar nicht so einfach zu definieren.- Sie ist natürlich nicht so gut wie unsere Demokratie, unsere Demokratie ist hervorragend, die beste in der Welt. Wir lehren das die Chinesen , wie sie es machen müssen, damit ihr Kanzler auch von Herrn Kirch Geld kriegen kann, aber die Chinesen sind noch nicht so weit wie wir mit ihren Kanzlern, und deswegen gibt es dort andere Probleme. - Die Demokratie besteht nicht nur in Wahlen. Vor den Wahlen haben uns die Politiker dies und das versprochen, nach den Wahlen machen sie ganz was anderes, was dazu führt, dass bei uns nur noch 60% zur Wahl gehen. Die demokratische Beteiligung auch bewußter Menschen wird immer geringer, weil sie enttäuscht sind von diesem Verfahren, das ein unehrliches Verfahren ist. Wir haben viele Parteien, aber die Parteien arbeiten alle zusammen gegen die Arbeiter und Angestellten. Alle zusammen bauen sie die sozialen Sicherungen ab. Wo ist der Unterschied zwischen der Opposition und der Regierung heute? Also: Viele Parteien sind manchmal gut, aber sie sind keine Sicherung der Demokratie. Wir hatten vor 1933 einen Haufen Parteien, aber wir waren auch nicht demokratisch; das hat zu Hitler geführt. Wir haben heute vier große und ein paar kleine Parteien, und dennoch haben wir keine wirkliche Demokratie. Also, ich bin nicht davon überzeugt, dass viele Parteien alleine es machen.

Aber es ist sicher ein Problem, wenn es nur eine Partei gibt. Diese Frage ist mir öfter gestellt worden, und ich habe dann den Leuten gesagt: Wenn die kommunistische Partei fähig ist, demokratisch zu verfahren und Meinungen anzuhören, Alternativen zu debattieren und sich Alternativen offen zu halten, und die Ketzer reden zu lassen, ohne sie zu bestrafen, dann genügt im Grunde eine Partei. Wenn aber die kommunistische Partei das nicht kann, dann wird es zwei oder drei sozialistische Parteien geben, und ich habe bei Marx und Engels nichts gefunden, dass es im Sozialismus nur eine Partei geben dürfe. Das war eine Sache, die der Stalin nachher durchgesetzt hat, und die anderen Parteien waren ja nichts: die Blockparteien haben nicht viel zu sagen gehabt.

In China gibt es auch solche Parteien, ein bißchen mehr haben sie zu sagen, aber auch nicht viel. Das hängt damit zusammen, dass es in China auch unter den Kommunisten immer ein paar Kapitalisten gegeben hat. Die chinesischen Kommunisten haben während des Bürgerkriegs und danach immer wieder gesagt: Es gibt zwei Teile in der Bourgoisie - das eine sind die Bourgois, die mit den Ausländern zusammenarbeiten, die Händler, das andere ist die nationale Bourgoisie, die mit uns Kommunisten zusammenarbeitet, weil sie die Kolonialmächte nicht möchte. Diese Teilung der Bourgoisie haben die Kommunisten formuliert. Und nachher, nach dem Sieg der Kommunisten hat es immer wieder Kapitalisten gegeben, die da oben gesessen haben. Ich weiß nicht, ob sie viel zu sagen hatten. Aber eines Tages kam Chruschtschow zu Mao, und Mao hat den Chruschtschow ja nicht sehr gemocht; da hat Chruschtschow Mao ein bißchen mit der Nadel in den Hintern stechen wollen und hat gesagt: Das ist eigentlich eine gute Idee, was ihr da habt, ihr habt einen Verein sozialistischer Kapitalisten. Wenn wir doch nur auch ein paar Kapitalisten hätten in der Sowjetunion, dann würde ich auch so einen Verein gründen. - Aber sie hatten keine Kapitalisten. - Ein paar Kapitalisten, das ist nicht so schlimm, viele Kapitalisten und diese an der Macht, das ist vielleicht schlimmer.

Meine Vorstellung von Sozialismus ist die: Dass es neben der kommunistischen Partei mindestens eine völlig unabhängige Gewerkschaftsbewegung geben muss, eine völlig von der Partei unabhängige Bauernvertretung, eine unabhängige Vertretung der Lehrer, der Ärzte, vielleicht auch eine der Soldaten, aller wichtigen sozialen Schichten; denn natürlich hat auch eine sozialistische Gesellschaft ihr sozialen Schichten. Alle müssen vertreten sein durch eigene Organisationen, nicht durch verlängerte Arme der kommunistischen Partei, und sie müssen zusammenkommen und verhandeln, wie man den Restkuchen verteilt, das, was übrigbleibt, wie man den Mehrwert verteilt. Jede Gruppe wird sagen, wir brauchen dies, ihr braucht das; man wird friedlich miteinander verhandeln, ohne Bürgerkrieg, wie man diesen kleinen Kuchen aufteilt, dass jeder das bekommt, was seiner Schicht vorwärts hilft. Das sehe ich als demokratische Planung, dass die verschiedenen sozialen Schichten der sozialistischen Gesellschaft miteinander verhandeln. Es muss ein sozialistisches Parlament geben, aber außerhalb des Parlaments müssen bei den großen ökonomischen und sozialen Fragen die sozialen Schichten mitreden können, und nicht nur die kommunistische Partei kann von oben sagen: So wird's gemacht. Demokratische Planung bedeutet auch, dass man die Nutzung der Ressourcen vernünftig ordnet. Und schließlich gibt es in der kommunistischen Führung ein großes Problem, das Problem der Korruption, über das in China sehr offen gesprochen wird, und wo die Regierung etwas tut. Ich habe einen Artikel aus der Peking Rundschau mitgebracht. Der behandelt die Frage der Korruption und bringt eine Liste der führenden Parteifunktionäre, die abgesetzt und verhaftet worden sind , weil sie korrupt waren, mit Namen und allem, der Funktion, die sie gehabt haben, etc. Das heißt, die Regierung bemüht sich, die Korruption im Lande zu begrenzen und zu verhindern. Natürlich ist das in einem so großen Land keine ganz einfache Aufgabe, jedoch das Problem ist bekannt, wird öffentlich diskutiert, und die Regierung versucht ihr Teil, das zu verhindern. Aber die Korruption kommt ja nicht nur von innen, sie kommt zu einem großen Teil von außen, von denen, die importieren wollen ohne Genehmigung, die einen Zöllner bestechen können auf der Insel Hainan, dass er Mercedes-Autos herein lässt. Es sind Probleme in einem großen Land, und man kann nicht alle Löcher zustopfen, aber die Regierung bemüht sich, durch Propaganda und auch durch harte Maßnahmen gegen die großen Korrupten, das zu beseitigen.

12. Was ist die Rolle und die Aufgabe der kommunistischen Partei Chinas?   INHALT

Das nächste Problem ist die Rolle und die Zukunft der kommunistischen Partei Chinas. Das erste, was ich sagen möchte, ist, dass die Geschichte, Entwicklung und der Zustand der kommunistischen Partei Chinas anders ist als in der Sowjetunion. Die kommunistische Partei Chinas ist nicht erstarrt wie die kommunistische Partei der Sowjetunion unter Stalin erstarrte. Sie hat historisch eine wichtige Rolle gespielt, das ist gar keine Frage. Ich glaube, sie hat auch heute wichtige Aufgaben. Sie darf nicht den Staat ersetzen, sie muss den Marxismus weiterentwickeln, sie muss die Hauptprobleme der Gesellschaft analysieren in ihrem Aufbau, sie muss offen Alternativen debattieren, sie muss innerparteilich demokratisch sein, und sie muss versuchen, die regionalen Funktionäre zu disziplinieren. Es gibt natürlich regionale Interessen, die den staatlichen Gesamtinteressen nicht immer entsprechen. Die Gouverneure in den Ostprovinzen möchten ihr Mehrprodukt behalten; aber sie müssen etwas abgeben, damit man den Westen entwickelt. Also muss die Partei versuchen, mit diesen Leuten , die auch ein bisschen Macht haben, und denen die Regierung nicht sehr viel zu sagen hat, zu reden und ihnen beizubringen, dass sie diszipliniert sein müssen und dass sie, da sie Kommunisten sind, dazu beitragen müssen, dass das ganze Land sich entwickelt. Ich glaube, kommunistische Parteien haben in diesen Ländern immer noch eine Bedeutung. Nicht die Bedeutung, dass sie Karriereleiter sein müssen. Das hat schon der große Deng Xiaoping gesagt in einem berühmten Wort: die Farbe der Katze interessiert ihn nicht, die Katze muss Mäuse fangen können. Das heißt, die Partei darf nicht verlangen, dass man Mitglied wird, wenn man Professor werden will, sondern, wenn einer Professor werden will, dann muss er was können. Daher ist es notwendig, wenn die kommunistische Partei weiter regieren will, und wenn sie weiter das Land führen will, dass es zu einer völligen Trennung von Partei und Regierung kommt. Das habe ich nicht erfunden; das hat schon Lenin gesagt, das hat Deng Xiaoping gesagt, das ist eine Sache, die notwendig ist, Partei und Regierung haben verschiedene Funktionen. Sie müssen manchmal getrennt marschieren und vereint schlagen.

Ich will ein kurzes Beispiel geben. Die Sowjetunion hat dank der schlechten Politik von Stalin mit Hitler einen Vertrag schließen müssen. Die kommunistischen Parteien wurden dann veranlaßt, Hitler zum Friedenskämpfer zu erklären. Wenn sie getrennt gewesen wären, hätten die Kommunisten gesagt, das geht uns gar nichts an; wir bleiben weiter gegen Hitler, aber unsere Regierung muss leider mit Hitler einen Vertrag schließen. Das heißt getrennt marschieren, aber doch ein gemeinsames Ziel haben. Ich glaube, kommunistische Parteien und Regierungen müssen sich ab und zu von einander separieren können.

Zweitens glaube ich, dass es notwendig ist, dass die kommunistische Partei weniger Mitglieder hat. Sie hat jetzt in China 62 Millionen Mitglieder, und ich sage, das sind 55 Millionen zu viel. So viele wirkliche Kommunisten kann es gar nicht geben. Wenn die Partei 7 Millionen Mitglieder hätte, wäre es viel besser. Aber wie wird man die übrigen los? Wie wird man die Tausende Funktionäre los, die davon leben? Das ist ein Problem, das ich nicht lösen kann, das die Chinesen selber lösen werden. Der Parteiapparat muss abgebaut werden, und die Gewerkschaften müssen wirklich unabhängig werden.

Das ist auch schon alles gesagt worden, aber es ist noch nicht durchgeführt. Warum? Weil die Gewerkschaften eben nur dann wirklich demokratisch aktiv sind, wenn ihre Mitglieder das selber von unten verlangen. Die Mitglieder kommen zum ersten Mal in die Fabrik, sie haben weder Fabrikdisziplin, noch haben sie Solidarität, das müssen sie erst lernen und das lernen sie in der Fabrik. Ich nehme an, dass die Gewerkschaften eines Tages unabhängig sein werden. Was der Fortschritt ist, das sehe ich darin, dass es jetzt zwei große Streiks gegeben hat von vielen tausend Arbeitern, ohne, dass die Polizei eingegriffen hat. Das, finde ich, ist ein Fortschritt. Es waren sechstausend oder siebentausend Arbeiter im Nordosten in Dalian, und es waren einige tausend Arbeiter in Daqing, dem großen Erdölzentrum im Nordwesten. Keine Polizei hat mit den Leuten verhandelt. Das sehe ich als Fortschritt. Und ich finde nicht, wie manche Maoisten, dass es schlimm ist, wenn im Sozialismus Arbeiter streiken, ich glaube, das gehört auch im Sozialismus dazu. Wenn eine Bürokratie da ist, die die Arbeiter nicht versteht, die abgehoben ist, ist es wichtig, dass die Arbeiter der Bürokratie zeigen: Leute, wir haben unsere Forderungen, und die habt ihr vergessen. Ich sehe darin etwas ganz Normales, denn die Gewerkschaften haben im Grunde eine doppelte Aufgabe, und wenn sie die nicht richtig erfüllen, funktioniert das ganze nicht. Die Gewerkschaften müssen dem jungen Arbeiter, der aus dem Dorf kommt, beibringen, was Fabrikdisziplin und was Solidarität ist, und sie müssen die Interessen der Arbeiter gegenüber der Plankommission vertreten. Sie müssen auch sagen: Was ihr braucht, werden wir für euch erkämpfen. Wenn sie das Eine nicht tun, können sie das Andere auch nicht tun. Wenn die Arbeiter nicht richtig arbeiten lernen, kann man keinen Mehrwert produzieren, und wenn der Staat den Leuten nicht entgegen kommt, verlieren sie die Motivation. Beides muss die Gewerkschaft machen, eine sehr komplizierte Doppelaufgabe, und die muss auch vielleicht gelernt werden. Darin sehe ich eines der Probleme, dass die Partei die Gewerkschaft nicht mehr führen kann, dass die Gewerkschaften ihr eigenes Leben führen müssen, wie auch die Bauernverbände.

13.China und die Welt   INHALT

Das nächste Problem ist die weltpolitische Situation. Ich glaube, man muss sagen, dass der Größenwahn des amerikanischen Imperialismus alle Länder bedroht, und dass die Vorstellung der amerikanischen Regierung, dass Amerika die einzige Weltmacht sei, ahistorisch, absurd und friedensgefährdend ist. Die amerikanische Regierung glaubt, es sei nur ein System zulässig: Kuba bedroht die USA. Das große Kuba die kleinen USA. Die zwei angeblichen Atomwaffen von Nordkorea bedrohen die USA. Die USA sind ja auch immer völlig wehrlos, und haben überhaupt keine Atomwaffen. Ich glaube, das sind absurde Vorstellungen, die nicht mehr gehen. Es gibt eine Expansion des amerikanischen Kapitalismus, die sehr interessant dargestellt ist auf einer Karte der Süddeutschen Zeitung. Da kann man sehen, wo überall die Vereinigten Staaten ihre Basen haben. Und es ist ausgerechnet worden, dass die USA insgesamt 1,2 Millionen Soldaten in der ganzen Welt auf soundsoviel Basen verteilt haben, bis an die chinesische Grenze, vom Westen bis zum Osten. Ich glaube, die Vorstellung, dass die USA die ganze Welt kontrollieren könnten, ist ein bißchen dumm. Und gefährlich. Die USA müssen also beruhigt werden, gedämpft werden. Es ist nicht wahr, dass die USA so sind, wie Mao gedacht hat, Mao hat einmal gesagt, die USA seien ein Papiertiger. Das ist leider nicht der Fall. Und deswegen muss China eine Politik betreiben, die, ohne provokatorisch zu sein, diese Dinge ein bißchen dämpft. Das machen die Chinesen. Auf jeden Fall ist China eines der großen Gegengewichte in der Welt gegen den amerikanischen Imperialismus. Es ist eine sozialistische Insel im kapitalistischen Ozean. Die Frage ist, wie man sich da geschickt verhält, um ohne Provokation doch die eigenen Interessen zu vertreten. Ich glaube, das machen sie mit einer sehr besonnenen Außenpolitik.

14. Was ist das sozialistische Ziel?   INHALT

Die letzte Frage, die ich behandeln will, ist eine sehr subjektive: Ist das nun Sozialismus oder Kapitalismus?
Ich glaube, viele Leute, auch unter dem Einfluß der Assoziation des Sozialismus mit Stalin und Mao, haben geglaubt, dass der Sozialismus ein Paradies sei, das man eines Tages erreichen wird. Und Mao hat mal gesagt, mit dem großen Sprung nach vorn werden wir die Russen auf dem Weg zum vollendeten Sozialismus überholen - eine völlig statische, ahistorische Vorstellung. Der Sozialismus wird nie ein Paradies sein; es wird immer eine Gesellschaft sein müssen mit Widersprüchen. Zwischen den Bauern, die einen hohen Reispreis wollen, und den Arbeitern, die einen niedrigen Reispreis wollen. Zwischen dem Fabrikmanager, der möglichst wenig Löhne zahlen will, und dem Arbeiter, der einen hohen Lohn will. Zwischen der Plankommission, die dem Betrieb seine Auflagen erteilen will, und dem Betriebsleiter, der gerne frei verkaufen möchte. Zwischen der Familienplanung, die sagt: ein Kind, und dem Bauern, der sagt, solange keine Sozialversicherung ist, drei Kinder. Diese Widersprüche bleiben, und sie müssen ausgehandelt werden, weil man sie aushandeln kann ohne Kampf, wenn man Vernunft hat. Aber ein Paradies, auch in hundert Jahren,- eine unsinnige Vorstellung.

Der Weg zu diesem besseren Land, zu diesen besseren Verhältnissen ist ein langer und mühseliger, zumal in einem Entwicklungsland von dieser Größe. Und unterwegs auf diesem langen Weg müssen die Menschen, die das machen sollen, auch etwas spüren von den Erfolgen ihrer Arbeit. Wenn sie das nicht spüren, und man ihnen sagt, in diesem Paradies werden eure Urenkel besser leben - davon wird kein Kind satt und kein Mensch zufrieden. Also muss man ihnen heute, wenn sie heute gearbeitet haben, einen Lohn bezahlen, von dem sie leben können, und morgen muss man etwas mehr geben, wenn sie mehr geleistet haben. Es muss der Mensch motiviert werden, auch im Sozialismus. Nicht, wie man die Kapitalisten bei uns motiviert, indem man ihnen Zucker in den Hintern bläst, das geht nicht: aber jeder Mensch der arbeitet, muss etwas spüren von den Erfolgen.

Das Urteil, das ich jetzt vortrage, ist natürlich ein sehr subjektives Urteil. Das Ziel ist umstritten. Ist das Glas halb voll oder halb leer? Wird es morgen voll sein, oder wird es morgen leer sein? Darüber werden wir uns nicht einigen können. Aber es hängt ab von meiner Lebenserfahrung, von meiner Einstellung, ob ich ein historischer Optimist bin wie Rosa Luxemburg, oder ob ich sage, wie manche Ostdeutsche nach dem Reinfall von '89: Es wird nie Sozialismus geben. Ich habe diesen Reinfall auch erlebt, ich war gegen die sogenannte Wiedervereinigung, aber ich habe mir gesagt, das ist die Schuld von uns Kommunisten selber, dass es so gekommen ist. Man hätte Chruschtschow und Gorbatschow anders unterstützen müssen; dann wäre das nicht gekommen. Aber leider haben ja diese sogenannten Kommunisten dort drüben in ihrer Verfassung beschlossen, dass sie die führende Kraft der Arbeiterklasse seien, und dann haben sie sich schlafen gelegt. Sie haben dann '87 erklärt, und der große Chefideologe in Ostdeutschland hat gesagt, wir brauchen keine neuen Tapeten. Bei uns ist alles in Ordnung. Und zwei Jahre später war die Ordnung vorbei. Ich glaube, dass Kommunisten fähig sein müssen, zu reformieren, sich zu überprüfen, ob sie alles richtig gemacht haben, dass sie neue Wege suchen müssen, wenn ein Weg in die Sackgasse geführt hat. Ich habe den Eindruck, dass die Kommunisten in China dazu fähig waren, dass sie nach der Stagnation unter Mao - anfangs war er ein großer Mann, aber nachher gab es große Fehler, großer Sprung nach vorn, Kulturrevolution - gesagt haben, so geht's nicht weiter. Wir überlegen dies, wir diskutieren das, wir suchen neue Wege. Darin sehe ich die Notwendigkeit für Kommunisten, dass man sich selber überprüft. Was haben wir gut gemacht, was haben wir falsch gemacht. Und weil ich Kommunist bin, bin ich überzeugt davon, dass demokratische Kommunisten, die wissen, wie die Menschen leben, wie es ihnen geht, welche Bedürfnisse sie haben, dass die fähig sind, die Dinge in ihrer Gesellschaft besser zu gestalten als die Kapitalisten. Und ich habe das an der Entwicklung der Volksrepublik China seit 1978 beobachtet. Ich glaube nicht, dass das der Weg zum Kapitalismus ist, sondern ich sehe darin einen langsamen, systematischen Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft, die immer noch ihre Probleme und Aufgaben haben wird, auch in hundert Jahren. Ich bin ein vorsichtiger historischer Optimist.
Ich bedanke mich für ihre Aufmerksamkeit und Geduld. Jetzt gibt's Gelegenheit zur Kritik und zu Fragen.

Einzelne Antworten auf in der Diskussion gestellte Fragen:   INHALT

Zum "uigurischen Freiheitsrat" in Frankfurt   INHALT

Die Uiguren. Keiner weiß bei uns, was das ist. Die Uiguren sind ein kleines Völkchen an der Nordwestecke Chinas. Aber es gibt bei uns in Frankfurt einen "uigurischen Freiheitsrat", der kämpft mit unseren Steuergeldern für den selbständigen Staat Uiguristan. Ich finde das ein bißchen witzig. Man soll das den Chinesen überlassen. Wir sollen uns nicht überall einmischen und nicht überall für die Freiheit Anderer kämpfen. Deutschland hat genug in der Welt "geordnet" und Unordnung gebracht und Verderben, und das deutsche Bürgertum sollte ein bißchen bescheidener werden. Wir sollten nicht die Chinesen belehren, nach dem, was deutsche Kapitalisten in China angerichtet haben, am Anfang des vorigen Jahrhunderts.. Ein bißchen Zurückhaltung für unser kleines Land würde uns nicht schaden, nachcdem, was deutsche Regierungen alles in der Welt produziert haben. Und ich bin nicht dafür, dass unser Bundespräsident nach China geht und den Chinesen Demokratie beibringt.
Das ist die Geschichte von den Uiguren, von denen keiner weiß, dass es sie gibt. Aber es gibt sie. Es sind anderthalb Millionen ungefähr. Aber sie haben natürlich Verwandte, Turkmenen und Tadschiken, relativ kleine Ethnien auf der anderen Seite der Grenze Als Nomaden haben sie keine Grenzen anerkann, wo es grün war, da ging man hin mit seiner Herde.

Das Verhältnis zwischen China und den USA   INHALT

Das Verhältnis der Volksrepublik China zu den USA: Ich denke, das ist ein politisches Gegensatzverhältnis. China ist ein nichtkapitalistisches Land, ob es schon ganz sozialistisch ist - ich glaube, es ist nicht ganz sozialistisch, es ist noch kein Paradies, aber es ist ein Land, das nicht kapitalistisch ist. Und der Kapitalismus der modernen Art, der glaubt, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei die Weltgeschichte beendet und Amerika sei die einzige Weltmacht, meint, dass es keine nichtkapitalistischen Nischen geben soll. Deswegen die Feindschaft gegen Kuba, das angeblich die USA bedroht, die Feindschaft gegen Nordkorea, der Kampf gegen Vietnam mit 560 000 Soldaten, die Ermordung von Allende und so weiter, usw. Alles das gehört zu dem Systemgegensatz in unserer Welt. Immer noch. Trotz allem Gerede, dass es das nicht mehr gebe. Es ist ein Gegensatz zwischen zwei gesellschaftlichen Systemen.

China unterstützt Nordkorea, aber nicht mehr so wie zu früheren Zeiten, sondern bescheiden, zurückhaltend, nicht mehr öffentlich. Nordkorea hat sich auch verändert, hat Reformen durchgeführt, die noch nicht am Ende sind, aber die ähnlich sind wie die chinesischen. Ich kenne Nordkorea nicht, bin noch nicht dort gewesen, und ich hoffe, eines Tages, wenn sie das Land noch ein bißchen mehr öffnet, werde ich hinfahren und mir das angucken. Ich kann also über Nordkorea nicht viel sagen. Ich habe aber festgestellt, auch aus englischen Zeitungen, dass die Berichterstattung über Nordkorea sich völlig verändert hat in den letzten zwei Jahren. Vor zweieinhalb Jahren war Kim Jong-Il ein Saufkumpan und ein Hurenbock, das fällt jetzt weg. Mit einemmal ist er ein Mensch geworden in den Zeitungen, und er hat gewisse Reformen durchgeführt. Ein bißchen mehr Markt - es hat offenbar ein paar gute Ernten gegeben, wie die Welternährungsorganisation sagt; sie haben sich also ein bißchen geändert. Sie haben jetzt eine Außenpolitik eingeschlagen, die die Amerikaner als verantwortlich für die Spaltung darstellt. Sie sagen, wir wollen einen Friedensvertrag mit den USA, aber die USA lehnen das ab, und behaupten, dass Nordkorea mit zwei Bomben Amerika bedroht. Und was machen die Chinesen? Die sagen nicht, ihr müßt das und das machen, sondern sie schicken einen führenden Mann, der verhandelt mit den Nordkoreanern, und noch bevor er nachhause kommt, sagen die Nordkoreaner, wir werden das und das machen. Nicht, dass der Chinese verkündet, wir haben den Nordkoreanern gesagt, was sie machen müssen, er macht das ein bißchen höflicher.

Aber von unserer Seite - nicht von meiner, von der Seite deutscher Behörden - ist der Versuch da, ein bißchen Ärger zu schaffen. Ich weiß nicht wer die Geschichte verfolgt hat von dem Sprung von Nordkoreanern über die deutsche Schulmauer in Peking. Das wurde zugleich im deutschen Fernsehen gezeigt. Da war ein Arzt, dessen Interview mit der Stuttgarter Zeitung habe ich mir aufgehoben; der hat das deutsche Fernsehen dorthin gebracht, was ja heute eine Macht ist, und hat gesagt, wir wollen das so machen wie mit Ostdeutschland. Ich finde, das ist für einen Arzt eine etwas merkwürdige Form der Caritas. Das ist Politik mit unseren Spenden. Das billige ich nicht, ich glaube, man sollte die Leute in Ruhe lassen. Es gibt einige hunderttausend Nordkoreaner illegal in Nordostchina. Die Chinesen kümmern sich gar nicht darum. Die sollen auch essen, bei 1,3 Milliarden Menschen spielt das keine Rolle. Wahrscheinlich gehen dann einige mit einem Sack Reis nachhause; das ist auch nicht schlimm für China. Wenn welche auswandern wollten, dann haben die Chinesen das ganz still gemacht: Ihr kommt, dann schicken wir euch nach Manila und dann könnt ihr nach Südkorea. Man will die Nordkoreaner nicht provozieren, nicht beleidigen. Aber dass wir da einen Arzt schicken, der mit unseren Spendengeldern das Fernsehen mobilisiert, den Leuten Geld gibt, damit sie über die Mauer springen, das, finde ich, ist nicht Caritas, ist nicht christlich, das ist idiotische Politik. Sie werden China damit nicht destabilisieren. Aber sie versuchen das, und das finde ich, ist ein bißchen lästig., Ich denke, wir müssen noch warten, bis wir über Nordkorea mehr Informationen bekommen. Wir sollten nicht so schnell urteilen. Und was die Chinesen machen, scheint mir besonnen und vernünftig in dieser Hinsicht: mit den Leuten reden , denn sie haben ihre politischen Empfindlichkeiten. Nach Jahrzehnten trennender Besatzung haben die Nordkoreaner ihre Empfindlichkeiten und darauf sollte auch eine Großmacht ein bißchen Rücksicht nehmen. Die Chinesen machen das heute, anders als früher.

Zu den ökologischen Herausforderungen   INHALT

Gibt es etwas Neues in der Ökologie? Ja. Ich denke, das ist auch ein Stück geschichtlicher Entwicklung. Zuerst muss man dafür sorgen, dass es mehr zu essen gibt. Dazu braucht man mehr Dünger, Handelsdünger (keinen Kunstdünger). Man muss dies und das machen, und da wird natürlich am Anfang keine Rücksicht darauf genommen, dass das auch Nebenwirkungen hat. Aber nach und nach, wenn sie genug haben, kümmern sie sich auch um diese Fragen. Wie das gemacht wird? Ich glaube, dafür gab es früher die Plankommission und jetzt gibt es die Kommission für nationale Entwicklung und Reform, ein Organ der Regierung, und die sagt nach einer gewissen Zeit, jetzt müssen wir mal gucken, dass in Shanghai weniger Kohle verbraucht wird, und wenn wir jetzt genug Gas haben, dann müssen die Leute in Shanghai bezahlen für die Pipeline, damit sie Gas kriegen, und weniger Kohle verbrauchen, wir müssen gucken, dass die Städte diesen Smog vermeiden.

Aber das ist eine zweite Frage. Erst gibt es den Hunger, dann diesen großen Mangel. Erst wenn der Hunger beseitigt ist, kommen die nächsten Fragen. Ich glaube, dass sich die Chinesen mit den Fragen der Ökologie sehr wohl beschäftigen, auch bei dem großen Staudamm, der natürlich auch neue Probleme schafft, wie jede Maßnahme, die wir Menschen ergreifen. Wir leben ja nicht in der Natur, wir leben in der Kultur-Agrikultur ist auch ein Stück und Voraussetzung, Grundlage der Kultur. In der Kultur müssen wir Maßnahmen ergreifen, um die Natur zu benutzen, nicht übernutzen aber sie benutzen; sonst können wir nicht leben. Und wenn wir die Natur benutzen, ändern wir sie, auch wenn wir wenig machen. Jeder Schritt des Menschen ändert die Natur. Natur ist nicht statisch, sondern dynamisch. Auch ohne uns gibt es Erdbeben und dies und das. Wir müssen lernen, mit der Natur sparsam umzugehen. Das machen wir hier nicht, das haben die Anderen auch noch nicht gemacht, weil sie in einem anderen Entwicklungsstadium sind. Wir könnten und sollten weniger Lebensmittel oder Autos produzieren, aber die Inder müssen mehr produzieren. Wir sollten vielleicht weniger Handelsdünger verbrauchen, weil wir Überschüsse produzieren, die sinnlos sind, aber die Inder sollten ein bißchen mehr Dünger verbrauchen, damit sie mehr produzieren und satt zu essen kriegen.

Wir sollen also nicht unsere Probleme übertragen auf Länder in einer anderen Entwicklungsphase. Die werden wahrscheinlich auch in Indien eines Tages merken, wenn es genug ist. Wir haben das noch nicht gemerkt, weil unsere Industrie sehr mächtig ist und viel verkaufen will, aber eines Tages werden auch wir lernen müssen, dass wir unsere Produktion ein bißchen dämpfen sollten, und dass wir dafür mehr tun sollten für Altersheime, Schulen Kindergärten, Eisenbahnen. Das ganze ist eine Frage der Entwicklung. China ist in einer anderen Entwicklungsphase als wir, aber die Chinesen wissen sehr wohl, was Umwelt ist, und was Umweltverschmutzung. Das sieht man in Peking und in Shanghai. Man bemüht sich, diese Dinge zu beenden durch mehr Erdöl, Erdgas, U-Bahnen.
Seitdem Mao gestorben ist, seitdem Deng Xiaoping zwei Jahre später an die Regierung gekommen ist, haben sie angefangen, die Akademiker reden zu lassen. Und als Deng Xiaoping seine Reformen beginnen wollte, hat er zwei Sachen gemacht, er hat den Akademikern gesagt, jetzt fangt mal an zu diskutieren, und es gab, zwei , zweieinhalb Jahre der offenen Debatte: Diskussionen, Memoranden, Veranstaltungen, Sitzungen, Konferenzen, ohne Parteikontrolle. Ich habe ein Buch gefunden, von dem Amerikaner Fewsmith, über den Weg der chinesischen ökonomischen Reform; der schildert das Ganze. Es wurde jahrelang darüber nachgedacht und dann hat der Deng Xiaoping gesagt: Jetzt bringt uns eure Vorschläge; wir werden darüber diskutieren. Es gibt eine relativ offene Debatte unter Akademikern, auch über die Frage Kapitalismus oder Sozialismus. Das lesen wir bei uns nicht, aber das gibt es doch. Und die Frage, was ist der nächste Schritt, was macht die Regierung falsch - das finden wir in den Debatten der Wissenschaftler, wir finden es zum Teil auch hier in der Peking Rundschau. Ich habe einen Artikel gefunden über die Überhitzung: Tun wir nicht zu viel des Guten? Müssen wir nicht bremsen beim Produktionsausstoß?. Ich finde, alle diese Fragen werden diskutiert, von den Wissenschaftlern, von der Kommission für wirtschaftliche Entwicklung usw. Die Sache ist relativ offen. Es gibt aber Dinge, die werden noch nicht offen diskutiert.
 
 

   
 
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