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Hans-Christoph von Sponeck
Irak - belagertes Land
Unkorrigierte Mitschrift eines Vortrages am 25.10.2002 im Gewerkschaftshaus München.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die Veranstaltung erfolgte mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Stadtverband München
 
Inhalt:
1. Der Irak als Bedrohung?
2. Die US-amerikanische Politik im Mittleren Osten
3. Die Situation der irakischen Zivilbevölkerung
4. Was können wir tun?

Vielleicht sind Sie überrascht, wenn ich anfange und Ihnen sage, was ich nicht bin. Ich bin kein Wanderprediger. Ich bin auch kein Fanatiker. Ebenso bin ich nicht "in der Tasche von Baghdad", wie mir manchmal nachgesagt wird. Oder "nützlicher Idiot" der Regierung eines Diktators Saddam Hussein - das bin ich auch nicht. Ich bin einfach ein Mensch, den sein Schicksal nach Baghdad versetzt hat für nicht ganz zwei Jahre, und der die überzeugung hat, daß, wenn ich meinen Mund halte, nachdem, was ich gesehen und erfahren habe über den Irak, daß ich mich dann wirklich mitschuldig mache, und das will ich nicht. Und deswegen akzeptiere ich von allen, die mich anhören wollen, und von denen ich überzeugt bin, daß sie es ehrlich meinen - und das ist nicht immer der Fall - (mir, meinen Vorgängern und Anderen werden schlimme Dinge nachgesagt und auch Versuche gemacht, uns auszunutzen, weil wir die Kontakte haben) - jede Kritik.

Aber Eines, und darauf bin ich absolut stolz, und das wird mir oft angehängt, als etwas das zeigt, daß ich nicht objektiv bin, ist die Tatsache, daß ich in 32 Jahren bei den Vereinten Nationen es gelernt habe, mit Allen zu sprechen. Ich glaube, Konfliktlösung kann man nur dann erreichen, wenn man sich an den Tisch setzt und nicht, indem man sich in der Wüste mit Waffen bekämpft. Und das ist der Grund, warum ich weiterhin nach Baghdad fahre, warum ich mit den Kurden spreche im Norden, warum ich mit der Regierung in Baghdad spreche ,und, wenn die englischen und amerikanischen Regierungen mich, wie sie es vorher getan haben, weiterhin empfangen würden, dann würde ich auch dorthin gehen, aber die wollen mich nicht. Ich spreche mit allen, die dieses Thema, dieses schwere Thema, das ich Ihnen in 40 Minuten nicht so darstellen kann, daß Sie nachhause gehen und sagen, "da haben wir wirklich Alles gehört", interessiert. Vieles wird ausgelassen werden, Vieles wird vielleicht nicht ganz richtig dargestellt werden, aber ich werde den Versuch machen, Ihnen über vier Problemkreise etwas zu sagen, so, wie ich es verstehe, so, wie ich es weiß. Und daß da auch eine gehörige Portion Spekulation dabei ist, das bleibt bei diesem Thema nicht aus.

Die erste Frage, über die ich etwas sagen will, ist: Ist dieser Irak eine unmittelbare - die Betonung liegt auf dem Wort "unmittelbare" - Bedrohung?

Dann ein Versuch, die amerikanische Politik, die gegenwärtige Politik gegenüber dem Irak, dem Mittleren Osten kurz zu beleuchten

Und selbstverständlich ist etwas zu sagen über das Thema, wo ich mich wirklich etwas auskenne; das ist die Situation , in der sich die irakische Zivilbevölkerung befindet,

und zum Schluß die Frage: "Was können wir tun? Wir, als einzelne Menschen, wir als Europäer? Wo kann ein Beitrag unsererseits liegen, um diese Kriegsdrohung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Bestrafung einer Bevölkerung für etwas, was sie nicht getan hat - die Sanktionen - zu beenden?

Ist der Irak eine Bedrohung? (Inhalt)

Wenn Sie die Amerikaner fragen, wenn Sie die amerikanische Presse lesen, selbst unsere Presse, dann ist die Antwort jeden Tag dringlicher : Ja, der Irak ist eine Bedrohung. Mächtige Stimmen behaupten das. Aber wenn Sie mal in der Presse nachlesen und nach Beweisen suchen, dann haben Sie Schwierigkeiten, diese Beweise zu finden.

Ich möchte hier einschränken, ich bin nicht antiamerikanisch. Ich bin sehr kritisch gegenüber , nicht nur der Bush-Politik, auch der Clinton-Politik, aber mehr noch natürlich der Bush-Politik. Aber, wenn Sie anschauen, was vor und nach dem 11. September von der amerikanischen Seite, von der Presse und von den Politikern über den Irak gesagt wird, dann stellt sich die Frage, wie die Presse das abdrucken kann, wenn da überhaupt keine Beweise vorliegen, für das, was da so geschrieben wird.

Zum Beispiel: Der erste Versuch, den Irak in ein Licht zu rücken, das nicht korrekt ist, war zu behaupten, daß der Irak etwas mit 1993 und 2001 - Welthandelszentrum - zu tun hatte. Die Beweise wurden nicht erbracht.

Man hat versucht, die Anschläge auf die Botschaften in Dar es Salaam und in Nairobi und auf das amerikanische Kriegsschiff Cole in Aden mit dem Irak in Verbindung zu bringen. Das ging daneben. Es war nicht überzeugend.

Dann kam der Versuch, Anthrax, Milzbrandpulver, und den Irak zusammenzubringen. Aber zum Schluß mußte man seinen Mund halten, weil es immer mehr klar wurde, daß es eine amerikanische Quelle hatte und nicht eine irakische. Also auch das wurde fallengelassen

Dann behauptete man, bis vor zwei Tagen - hoffentlich ist dieses Drama nun wirklich zu Ende - daß Mohammed Atta, einer der Terroristen am 11. September, sich in Prag mit dem irakischen Geheimdienst getroffen habe. Es wurde fast peinlich, und man müßte lachen, wenn die Sache nicht so ernst wäre, wenn man gesehen hat, wie an einem Tag ein tschechischer Politiker gesagt hat " So war es" und am nächsten Tag wurde es revidiert. Vor zwei Tagen habe ich in der Zeitung gelesen, daß der tschechische Präsident gesagt hat: "Es tut mir leid, aber das war eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Geheimdiensten, die miteinander konkurrieren, und der eine wollte eben sagen, wir sind so gut, wir haben da was gefunden. Aber es war nichts,." Also auch da nichts.

Der nächste Versuch wird noch aufrechterhalten. Vor zwei Wochen hat der Verteidigungsminister der Amerikaner in Warschau gesagt: "Wir haben handfeste Beweise, daß Al Quaida und Irak eng zusammengearbeitet haben. Und auch da fehlen die Beweise. Ich bin im Juli (2002) im Irak gewesen und auch über die Kontrolllinie in die kurdischen Gebiete gefahren, wie ich das immer tue - aber ich komme korrekt, nicht von der Türkei sondern durch Baghdad dorthin - und die kurdischen Führer haben mir gesagt:" Ja, es gibt bei uns in Sulaymaniyah, in dem Teil, der an den Iran angrenzt, ein paar versprengte Al Quaida Leute, die aus Afghanistan entkommen sind und die sich an eine fundamentalistische Gruppe, "Ansar al Islam" angeschlossen haben. Die sind dort, das stimmt. Wie viele es sind, weiß kein Mensch, vielleicht ein paar Dutzend. Aber das ist doch kein institutioneller Zusammenhang zwischen Baghdad und Al Quaida. Also auch da fehlen Beweise. Da kommen dann so tolle Formulierungen - im Englischen kann man ja viel mehr diese sogenannten "sound bites" erfinden, die auch tagtäglich erfunden werden, gerade in der Irak-Diskussion. Einer stammt vom Verteidigungsminister der Amerikaner. Sie werden jetzt sicher lächeln, wenn ich Ihnen das sage, Es klingt gut, aber was dahinter steht, ist nichts....."Die Abwesenheit von Beweisen ist kein Beweis der Abwesenheit. "Das wurde vom Verteidigungsminister gesagt, und damit wollte man sagen, "ja, also, da ist ja was, aber wir haben die Beweise noch nicht." Und das finde ich einfach unglaublich, wenn man das anführt im Zusammenhang mit einer Diskussion, ob man gegen den Irak Krieg führen will oder nicht.

Der nächste Versuch, den Irak in Zusammenhang zu bringen mit schlimmen Dingen war, daß der Verteidigungsminister und andere Politiker sagten, der Verbund zwischen Technologie Irak und Terrorismus Al Quaida existiert, das müssen wir weiter verfolgen, und da wir gegen den Terrorismus sind, und da der Irak mit dem Terrorismus zusammenarbeitet, ist das ein Grund, gegen den Irak Krieg zu führen".

Ich habe immer bei mir die UNO-Charta. Die bedeutet mir sehr viel. Nach Artikel 51 dieser Charta kann man einen Krieg führen im Verteidigungsfall. "Selfdefense". Dieser Artikel ist in der Irakdiskussion, meine Damen und Herren, nicht anwendbar.

Im übrigen: Einen Präventivkrieg gibt es im internationalen Recht gar nicht. Er wird nicht anerkannt. Tatsache ist, daß in acht Jahren der kontrollierten Abrüstung der Irak - man kann sich streiten ob das 90% oder 85% sind - weit gehend abgerüstet worden ist. Und ein Kollege von mir, Scott Ritter, behauptet, daß 95% abgerüstet wurde, daß der Irak qualitativ abgerüstet war. Qualitativ heißt, daß die Systeme zerstört worden waren, und die UNSCOM Berichte, die ich gesehen habe, bestätigen das. Quantitative Abrüstung zu fordern, wo man nach jeder militärischen Schraube sucht, ist sowieso unrealistisch. Paßt aber gut in die Strategie, wenn der Ansatz ein Strafansatz ist, wie er es im Falle der amerikanischen Politik durchaus ist

Also, acht Jahre kontrollierte Abrüstung und Wirtschaftssanktionen, von denen eine Gruppe von englischen Parlamentariern, die aufgefordert wurden, im Jahr 2000 einen Bericht zu erarbeiten über die Folgen der Sanktionen gegen den Irak, zu dem Schluß kamen, daß sie hoffen, daß nie wieder ein Land mit so umfassenden Wirtschaftssanktionen belegt wird wie der Irak.

Das heißt also: Die Abrüstung, die Zerstörung des Militärpotentials des Iraks und die Wirtschaftssanktionen - man kann absolut sagen und das begründen, daß im Jahr 2002 der Irak nicht das darstellt, was er im Jahre 1990 darstellte, als der Golfkrieg stattfand.

Jetzt gibt es drei sehr wichtige Berichte. Der eine ist datiert 9. September (2002), der nächste 12. September, der dritte 24. September.

Der erste Bericht ist ein Bericht des Internationalen Instituts für strategische Fragen, der zweite ist ein Papier, das Bush herausgegeben hat am 12. September, als er die Rede in der Generalversammlung der Vereinten Nationen hielt, der dritte ist das lang erwartete Blair-Dossier der britischen Regierung. Alle drei befassen sich mit der Frage der Massenvernichtungswaffen - Situation im Irak, und alle drei sind interessante Dokumente, historisch auch ein überblick über die Entwicklung der Waffensituation im Irak. Sie sind aber in keiner Weise ein Beweis für die Gefährlichkeit des Irak, die einen Krieg, einen Präventivschlag, begründen würde.

Ich bin 1999, als ich noch der "humanitäre Koordinator" - schlimmer Titel, den mochte ich nie, aber so war´s halt, "United Nations Humanitarian Coordinator for Irak" - in dieser Funktion bin ich also 1999 in einer Impfstoffanlage gewesen in der Nähe von Baghdad, weil Maul- und Klauenseuche ausgebrochen war und die Vereinten Nationen helfen wollten, daß der Irak sich schützt. Die Engländer haben das gehört und haben sofort die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen aufgefordert, das aufzuhören, die Anlage sei zerstört worden, die dürfe man nicht wieder aufbauen. Ich wollte diese Anlage sehen, weil Geheimdienste in Europa und in Amerika immer wieder behauptet hatten, daß diese Anlage wieder produziert. Darüberhinaus auch eine zweite Anlage, die Rizinusöl herstellt und ein Nebenprodukt liefert, das Ricin heißt, sehr toxisch ist und das auch zur Herstellung biologischer Waffen benutzt wurde.

Ich war mit dem Deutschen Fernsehen dort, mit der ARD. Wir haben uns diese Anlagen angeschaut. Die erste, die ich schon 1999 gesehen hatte: Absolut keine Chance, daß da irgendetwas hergestellt werden könnte, friedlich oder nicht friedlich. Sogar die Luftschächte waren mit Zement gefüllt, die Apparate, die airconditioner, waren zerhackt, wirklich zerhackt. Das war die Formel, die man bei den Abrüstungsexperten der Vereinten Nationen benutzte. Wenn von einer Anlage vermutet wurde, daß sie irgendetwas hergestellt hatte, das nicht akzeptabel war, weil es gegen die Konventionen verstieß, dann wurde sie zerstört. Selbst, wenn man die Geräte in einem Krankenhaus gebrauchen hätte können oder in einem Labor oder wo auch immer. Und diese Anlage war immer noch genauso zerstört, wie ich sie vorher gesehen hatte.

Auch die zweite Anlage, Al - Faludscha, die einfach zerstört, verrostet ist, wo die Röhren abgeschnitten sind, kann keine Anlage sein, über die man sich Sorge machen muß.

Wenn Sie aber die drei Berichte anschauen, von denen ich Ihnen erzählt habe, was da drin steht über diese Anlagen, dann sehen Sie:" 25% der Produktionskapazität wieder aufgenommen", "sie arbeiten wieder", "sie sind gefährlich" "facility of concern", "production resumed". - All das steht da drin. Und da muß man wirklich Angst bekommen, wenn das die Basis der Beweisführung ist, auf der man dann den Krieg führen will. - Ich glaube, dann macht man sich sehr sehr schuldig gegen eine Bevölkerung, die so leiden würde bei einem weiteren Golfkrieg.

Was die Nukleargefahr anbelangt, so kann ich nur hinweisen auf das, - die Amerikaner tun es tunlichst nicht - was die Internationale Atomenergiebehörde schon vor längerer Zeit gesagt hat: "Da ist nichts". Die sind auch regelmäßig in den Irak gefahren und haben sich die Anlagen angeschaut. Die Technologie und die Zeit für den Wiederaufbau der Anlagen die zerstört worden sind, fehlen. Also, da ist nichts, was einem Sorge machen sollte. Jetzt, nachdem Korea sich geöffnet und gesagt hat, "wir haben", - und über den Irak weiß man, daß er nichts hat - müßten die Amerikaner eigentlich jetzt mit ihrem politischen Auto in eine andere Richtung fahren und sich über Korea mehr Sorgen machen als über den Irak. Das geschieht nicht. Aber, was ich im Augenblick noch sagen will, ist: Wir müssen jetzt als Bürger, als Parteien, als politische Führer darauf dringen, daß die Spekulation darüber, was der Irak darstellt, aufhört und die Inspekteure endlich zurückgehen können. Das ist das Thema, das im Augenblick ansteht und nicht ein weiteres Tauziehen und ein Zurückhalten des Teams von Hans Blix, dem Leiter der Abrüstungsbehörde, der seit Wochen bereit ist, in den Irak zurückzukehren.

Zweite Frage: Wie erklärt man sich diese Politik der Amerikaner? Warum ist das heute alles so viel explosiver, als es noch vor ein paar Jahren war?(Inhalt)

Erstmal glaube ich - aus Gründen, die ich noch erklären werde - es ist wie ein Kartenspiel. Man hat das eine Spiel gespielt, und jetzt mischt man die Karten neu und versucht, sie neu zu verteilen. Das steht sicher als Oberbegriff hinter dem, was wir aus Washington sehen, aber meiner Ansicht nach gibt es eine ganze Reihe von Faktoren. Ich möchte hier drei nennen. Der eine Faktor ist der offensichtliche. Das ist öl.. Dazu möchte ich Ihnen drei Zitate nennen. Das eine: Herr Kissinger hat vor vielen Jahren gesagt: " öl ist viel zu wichtig, als daß man es in den Händen der Araber lassen kann." Das war schon mal eine deutliche Erklärung dafür, warum man sich im Mittleren Osten so interessierte.

Der Verteidigungsminister der Amerikaner in der Reagan Administration hat 1979 Folgendes gesagt - ich lese es Ihnen vor: "Schutz der ölversorgung aus dem Mittleren Osten ist Teil unseres lebenswichtigen Interesses. Zum Schutz dieses lebenswichtigen Interesses sind wir bereit, alles zu tun, einschließlich des Gebrauchs militärischer Gewalt." Also auch ein deutliches Wort.

Vor kurzem, am 31. Juli (2002), hat es im amerikanischen Senat Anhörungen über den Irak gegeben. 18 Zeugen wurden geladen. Niemand meiner Art wurde geladen, obwohl Druck ausgeübt worden war von verschiedenen Gruppen in Amerika, - ich war in Amerika in den Tagen - daß mein Vorgänger, Scott Ritter, Botschafter Ekeus aus Schweden, der erste Leiter der Abrüstungsbehörde der Vereinten Nationen, und ich, daß wir auch eingeladen würden. Keine Chance! Aber was man dort sagte - der höchstplazierte Republikaner der in diesem Komitee sitzt, der sagte - und so hat er es gesagt ( das ist also nicht, was ich sagen würde, so hat er's gesagt: "Nach dem Krieg werden wir das ölgeschäft in die Hand nehmen. Wir werden es gut führen, und wir werden Geld machen. Es wird für den Wiederaufbau Iraks benutzt werden." Und dann hat er wiederholt: "Weil es dort Geld gibt."

Das heißt also, man zerstört mich, und dann gibt man mir durch die Hintertür die Rechnung für den Wiederaufbau meines Landes. Das ist so die Logik, aber, was hier eben sehr gut herauskommt, ist die Tatsache, daß es ohne Frage um eine Energiequelle geht. Es geht darum, auch jetzt, nach der Afghanistansache, einen Korridor herzustellen. Wenn erst mal der Irak weg ist, dann kommt wahrscheinlich der Iran auch noch dran, und dann hat man´s schön zusammen. Dann hat man den Einfluß auf die gesamte Region.

öl ist ein Faktor. Der andere Faktor ist ohne Frage die Tatsache, daß wir hier ein Bush Team haben, das sich sehr stark mit dem letzten Golfkrieg identifiziert: Wolfowitz, Richard Pearle, Cheney. Ich glaube, der Sohn Bush, der damals noch nicht wußte, daß er mal Präsident würde, hat sicher beim Frühstück morgens von seinem Vater viel über den Golfkrieg gehört und wird damals schon eingeweiht worden sein. Also die ganze mentale Situation, in der sich die Verwaltung in Washington befindet, hat etwas mit dem Golfkrieg zu tun. Man erinnert sich auch daran, daß der amerikanische Kongress im Oktober 1989 eine sogenannte Irak Liberations Akte verabschiedet hat, in der zweimal drin steht, daß es die erklärte Politik der Amerikaner ist, das Regime auszuwechseln. --also, das hat man erinnert, als man die Regierung übernahm im Jahr 2001, und nach dem 11. September ist das natürlich alles in den Vordergrund gerückt.

Der dritte Faktor, mit dem man die Bush Regierung charakterisieren kann, würde ich sagen, ist die Vermischung, diese üble Vermischung von Terrorbekämpfung, die wir ja alle unterstützen, mit einer Bekämpfung von Regimen, die uns nicht wohlgesonnen sind, die "antiamerikanisch" sind.

Es kommt noch etwas Anderes hinzu. Das, was die Sache gerade jetzt so interessant macht für die Amerikaner, so dringend, ist - ich habe keinen anderen Vergleich - die Tatsache, daß der "Vermieter" Saudi Arabien dem "Mieter" Amerika ziemlich klar gemacht hat: Der Mietvertrag, den wir da mit euch haben, der wird nicht verlängert. Die saudi-arabische öffentlichkeit ist immer kritischer geworden. Es gibt eine offensichtliche Spaltung im saudischen Königshaus zwischen den Wahabis, den Traditionalisten, und den Modernen, und das Endresultat ist, daß man in Saudi Arabien heute nicht mehr so bereit ist, wie man das noch vor zehn, zwölf Jahren war, die amerikanische Militärpräsenz weiterhin zu akzeptieren. Das ist ein Faktor der neuen, veränderten politischen Landschaft im Mittleren Osten. Dann kommt dazu - und manchmal sage ich so ein bißchen leichtfertig dahin: Sharon sollte ein Ehrenbürger von Baghdad werden, weil er nämlich durch seine Politik in Palästina mehr für die Einigung des arabischen Camps und dessen Unterstützung des Irak getan als jeder Andere - das, was wir heute in Palästina sehen, hat zu einer Einigung der arabischen Gruppe geführt und man ist müde, will keinen weiteren Krieg im Irak. Daher auch am 29. März dieses Jahres das Endkommuniqué der Arabischen Liga in Beirut, aus dem hervorgeht: Man will keinen Krieg gegen das Brudervolk Irak. Das wurde unterschrieben von Kuweit und von Saudi Arabien. Es gibt also eine andere Konstellation im Mittleren Osten, und ich glaube, das erklärt besser, als die anderen Sachen, die ich erwähnt habe, warum da heute so eine Dringlichkeit ist. Daß da noch Anderes hinzukommt, ein in gewisser Weise missionarischer Fanatismus der Amerikaner, die Werte, die sie mit Demokratie verbinden, weiterzugeben, will ich nicht ausschließen.

Aber im Mittleren Osten sind das meiner Ansicht nach entscheidendere Faktoren, die erklären, warum es die Amerikaner jetzt so eilig haben. (Hinweis aus dem Publikum auf die Lobbyarbeit in Amerika).- Richtig, aber ich habe Ihnen am Anfang gesagt, man kann in einer Stunde nicht alles darstellen. Genauso gut hätte ich auch sagen können, daß das amerikanische Verteidigungsministerium in einem schwachen Moment der Ehrlichkeit vor einem Jahr gesagt hat: "Wir werden eine Abteilung für strategische Falschinformation einrichten." Eine Woche später hat man das dann umbenannt in "Abteilung für strategische Information". Aber der erste Titel war "Abteilung für strategische Falschinformation". Also wir, die wir "1984" gelesen haben von George Orwell, werden sehen, daß er in Vielem recht hatte. Das ist "Double Speak". Das ist das übelste, was man überhaupt tun kann. Und wenn da die Menschen schweigen, Gott helfe uns dann in der Zukunft! Wenn man bewußt von einer Regierung aus systematisch Falschinformationen in die Politik einflechten kann, dann wird es wirklich übel. Und Leute, so naive Typen wie ich, die werden es dann noch schwerer haben, weiter zu geben - in aller Unzulänglichkeit - das, was wir wirklich glauben. Hinter mir steht nur mein Schatten, keine große Organisation, keine Truppen, die mich unterstützen, nur der Versuch, weiterzugeben, was ich im Irak gesehen habe, was ich analysiert habe, was mir Andere gesagt haben, was ich gelesen habe. Also: eine schwierige Situation.

Wer - und das ist meine dritte Frage - wer zahlt den Preis für all das?(Inhalt)

Das sind genau die, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, die Iraker. Zwölf Jahre der Bestrafung einer Bevölkerung - ich hab's schon gesagt - für etwas, was sie nicht getan hat. Dafür, daß sie eine Diktatur erdulden muß. Eine seltene Logik!

Der Gedanke, den man hatte, als man die Sanktionen unterstützte - die Hardliners hatten, glaube ich von vorneherein andere Motive - aber die Anderen haben so gedacht - Professor Galtung nennt es "die naive Theorie" - der Gedanke war, daß man ein Fließband hat von Wirtschaftsdruck, und auf dem Fließband kommt sehr schön heraus politischer Wandel. Das hat sich als falsch erwiesen, denn eine der stabilsten Regierungen im Mittleren Osten ist die von Saddam Hussein.

Aber wie sieht's mit den Menschen aus? Prinz Sadruddin Aga Khan ist 1991, zwei Wochen vor dem Golfkrieg, im Irak gewesen und kam zu dem Schluß, daß die Situation im Irak apokalyptisch ist, daß der Irak schon damals am Ende war. Und wie ist es dann zwölf Jahre danach? Sie können es sich vorstellen.

Ich will Ihnen jetzt ein paar Zahlen nennen. - Wenn ich zu langatmig bin, ein Finger, und ich laufe schneller. Aber ich bin noch nicht am Ende. Sie müssen noch mit mir Geduld haben. -

Eine Zahl , die nur ein paar Tage alt: In den ganzen Jahren des "öl-für-Nahrungsmittel-Programms" ( des Programms, das ich geleitet habe, und das ein Versuch der internationalen Gemeinschaft war, - wie ein Feigenblatt des Gewissens - die Bevölkerung zu schützen vor den besonders schweren Strafen, die durch die Wirtschaftssanktionen entstanden sind) - in den Jahren von Dezember 96 bis zum 10. Oktober 2002 hat die Bevölkerung des Irak erhalten an sogenannten humanitären Dingen (da ist nichts "humanitär", das, was in den Irak kommt, wird vom Irak bezahlt, aus irakischem ölgeld. Das ist das größte Programm der Vereinten Nationen, das sie je gehabt haben und gleichzeitig das billigste. Die Vereinten Nationen machen sogar Profit daraus, denn meine Gehälter, alle unsere Gehälter, alles, was da an Kosten entsteht, wird von den Irakern bezahlt. Also, humanitär ist da nichts. Das sind keine "humanitären Dinge". Aber so wird's halt genannt.).

Also, was in all den Jahren an Waren ins Land kam, um der Bevölkerung die Folgen der Sanktionen zu lindern, hat einen Wert von 188 Euro - oder Dollar - pro Jahr und pro Person. 188 Dollar. Das ist alles. Damit mußten bezahlt werden: Medikamente, Nahrungsmittel, Wasser, Abwasserentsorgung, Elektrizität, landwirtschaftliche Dinge wie Saatgut und Düngemittel, Bildung. Alles wurde damit abgedeckt. 188 Euro oder Dollar ist alles, was sie bekommen haben, pro Kopf, pro Jahr.

Das ist ein Beweis für, einer - ich könnte Ihnen darüber einen separaten Vortrag halten - für den Strafansatz bei allem, was gegen den Irak unternommen wurde, ob das die Bereitstellung von Finanzen ist, ob das Resolutionen sind, die unsauber formuliert werden - die Amerikaner nennen das "konstruktive Ungenauigkeit", ein wunderbares Wort - "constructive ambiguity" - damit konnte man nämlich immer alles entsprechend auslegen: Die Sanktionen gegen den Irak sollten aufgehoben werden in dem Augenblick, wo der Irak in jeder Beziehung zusammengearbeitet, kooperiert hatte. Ja was heißt denn "in jeder Beziehung kooperiert"? Das war also auslegbar. Und da gibt es viele andere Dinge, die man anführen kann. Unser Botschafter bei den Vereinten Nationen hat eine Studie durchgeführt, die zeigte, daß sich das Prozedere im Sicherheitsrat gegenüber dem Irak im Laufe der Jahre so geändert hat, daß die Iraker an den Diskussionen über den Irak im Sicherheitsrat nicht teilnehmen durften. Ich habe das nie verstanden. Ich bin nach New York gefahren, sollte den Sicherheitsrat unterrichten über die Situation im Irak. Da standen vor der Tür irakische Diplomaten, und als das Gespräch anfing, über den Irak, wurden die Türen geschlossen und die irakischen Diplomaten durften nicht in die Vereinten Nationen. In dem Haus, das geschaffen wurde, um Konflikte am Konferenztisch zu lösen statt auf dem Schlachtfeld, durften die Iraker nicht Stellung nehmen, als ihr Land diskutiert wurde. Unglaublich! Und wir schweigen dazu! Das ist einfach schlimm, und es gäbe noch viel viel Anderes zu sagen, wofür die Zeit nicht da ist.

Aber noch mal: Strafansatz. Ein wichtiges Beispiel: Bis zum Juli dieses Jahres (2002) wurden - und bitte, nur von zwei Ländern, Amerika und England, - wurden sogenannte "humanitäre Güter" im Wert von 5 Milliarden Dollar blockiert. Was waren das für Dinge? Das hat sich laufend geändert, auch die Zahl hat sich laufend geändert - sie ist jetzt Gott sei Dank aus Gründen, die ich erklären kann, falls es interessiert, auf 2,2 Milliarden abgesunken. Ein Beispiel nur, um zu zeigen, wie das da aussieht: Als ich im Irak war, bin ich im Norden nach Mossul gefahren, und da standen große Bewässerungsanlagen auf Rädern. Und die funktionierten nicht. Da habe ich gefragt, warum stehen die da und es tut sich nichts? Da wurde mir gesagt:" Ja, diese Bewässerungsanlagen wurden geliefert, aber die Amerikaner haben die Motoren und Generatoren zurückbehalten". Das heißt also, man hat die Anlagen, aber man kann den Rest nicht bekommen, und damit sind sie nicht benutzbar.

In meiner Zeit ging es um Impfstoff und Nadeln. Die Nadeln für die Impfungen wurden geliefert, aber der Impfstoff wurde nicht geliefert. Pausenlos gab es solche Beispiele. Das extremste, das immer wieder zitiert wird - aber das gibt's Gott sei Dank seit ein paar Jahren nicht mehr - war, daß Bleistifte zurückgehalten wurden, weil sie Graphit enthalten, und weil man mit Graphit Bomben bauen kann. Wie viele Bleistifte muß man verarbeiten, um eine Bombe zu machen? Das frage ich Sie.

Also, es war ein Strafansatz. Pausenlos wurde der Irak bestraft. Die Bevölkerung. Und das Ganze wurde klassifiziert - elegant - als "Kollateralschaden". Das muß man eben in Kauf nehmen, wenn man Wirtschaftssanktionen gegen ein Land verhängt. Es wurde fast primitiv. Ich habe eine Sicherheitsratssitzung mitgemacht, wo der holländische Vorsitzende, der Botschafter, im Sicherheitsrat das Sanktionskomitee geleitet hat. Der hat fast seinen Geist aufgegeben, weil man drei Stunden lang diskutierte, ob ein Brief an den Botschafter Iraks persönlich adressiert werden sollte oder anonym, ob er mit der Post oder durch ein Auto geschickt werden sollte. Worum ging's da? Es ging um 240 Dollar pro Pilger von Irak nach Mekka. Die Amerikaner und Engländer wollten nicht, daß Cash, Bargeld in die Hände der Iraker kommt. Und damit hat man verhindert, daß die Iraker ihre Pilger nach Saudi Arabien schicken konnten. Selbst auf so eine Ebene ging das herunter.

Und auch das, meine Damen und Herren sehe ich als Strafansatz: Was meinen Sie, wie das mit dem Trauma der Kinder, der Mütter, der Väter, der Bevölkerung ist, wenn man jeden Tag glaubt, in der nächsten Woche fängt der Krieg an? Die psychischen Erkrankungen von Kindern unter 14 Jahren waren schon vor der Kriegsdrohung sehr hoch, sie sind angestiegen nach Aussagen der Weltgesundheitsorganisation: 1990 waren 200000 Kinder, 1998 520000 Kinder. Das sind nur die, die man erfaßt hat, die zum Arzt gegangen sind. Da gibt es viele andere. - Also , hier zeigt sich eine Tragik, die man als völkerrechtlich anfechtbar ansehen und verwerfen muß.

Erlauben Sie mir jetzt ein paar Statistiken, um das zu untermalen, was ich gesagt habe über die Bestrafung, über die Situation, in der die Iraker sich befinden.

1990 starben im Irak 56 Kinder unter fünf Jahren pro Tausend. Das ist eine Basiszahl. 1999 war diese Zahl von 56 auf 131 Kinder pro Tausend angestiegen. Der Irak ist nach Aussage von UNICEF, nicht meiner, sondern von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, unter 188 Ländern das 188. in Bezug auf Kindersterblichkeitsanstiegsraten in den Jahren 1990 bis 1999. In der Bundesrepublik, in unserem Land, sterben vier Kinder pro Tausend. Im Irak 1999 131! Ein gewaltiger Unterschied.

Der Irak - derselbe brutale Diktator Saddam Hussein - bekam 1987 von UNESCO, der Bildungseinrichtung der Vereinten Nationen, einen internationalen Preis, weil die Iraker es fertiggebracht hatten, das Analphabetentum auf 20% zu senken. Heute ist das Analphabetentum nach Aussagen meiner Kollegen schon wieder bei ungefähr 50%. Im Augenblick werden 68 Millionen Schulbücher gebraucht. Es gibt eine Presse, die jahrelang nicht funktioniert hat, die heute wieder Bücher druckt, aber viel zu wenige. Das Bildungsbudget: Ich habe im UNO Bericht 2000 nachgeschaut. Bhutan hat mit 7% des Budgets für Bildung den zweitniedrigsten Betrag aller Länder, die dort aufgeführt sind. Der Irak ist an unterster Stelle. 4,6 % werden für Bildungsaufgaben zur Verfügung gestellt. Nicht, weil sie nicht mehr ausgeben wollen, sondern , weil sie nicht mehr haben. Das Hauptgeld geht in Nahrungsmittel und, natürlich, in Medikamente. - Im Mittleren Osten gibt es ein Sprichwort: "Die ägypter schreiben gern, die Libanesen drucken gern, und die Iraker lesen gern. Aber sie haben nicht viel zu lesen. Es gibt ein Gesetz in Amerika und ein ähnliches in England, das sogar verbietet, daß man Musiknoten in den Irak schickt. Die werden zurückgeschickt. - Also Bücher. Ich war in der juristischen Fakultät in Baghdad. Das jüngste Buch war von 1988/89. Gerade vor dem Golfkrieg. Es wird nichts mehr eingeführt, es darf nichts eingeführt werden. Ist es dann überraschend, daß man mir in Mossul sagte: Erst haben sie uns wirtschaftlich ruiniert, jetzt wollen sie unseren Geist ruinieren, unsere Fähigkeiten, unsere Kompetenzen. - Wer ist in dieser Situation das größte Opfer? Das größte Opfer sind die Kinder. Und in der Gruppe der Kinder sind die jungen Mädchen das aller größte Opfer.

Ich war im Oktober 2000 mit dem Schweizer Fernsehen im Irak, um einen Film zu machen. Ich wollte einen Tag im Leben eines Mädchens unter Sanktionen einfangen. Wir haben uns frei bewegen können. Wir haben eine Schule gefunden, ungefähr 80km außerhalb von Baghdad. In dieser Schule bin ich gewesen. Der Schulleiter hat mir gesagt, 1998 waren in dieser Schule 250 Kinder, 50 waren Mädchen. Ein Jahr später, 1999, waren es 20 Mädchen. Im Jahr 2000, als wir gefilmt haben, acht. Also die ersten Opfer sind wieder die Mädchen. Sie müssen zuhause bleiben, man braucht sie im Haushalt, man hat kein Geld, was immer die Gründe sind, aber Tatsache ist, daß dieses Erlebnis in der Schule vergleichbar ist mit der allgemeinen Situation im Irak.

Und dies in dem Land, das so stolz darauf ist, daß es die Keilschrift erfunden hat, daß die Gesetzgebung Hammurabis dort entstanden ist, ein Kulturland. Immer wieder hört man von der "fünftausend Jahre alten Kultur". Sie sind stolz darauf. Und dieses Land heute? Es gibt ein nationales Orchester. Erbärmlich. Die Instrumente sind nicht gepflegt. Wenn etwas kaputt geht, dauert es lange, lange, bis man die Ersatzteile hat. Selbst bei den Künstlern spielen die Sanktionen die Hauptrolle. Ich kenne einen Künstler, der in Baghdad sehr bekannt ist, der die großen Skulpturen in Baghdad gemacht hat. Man geht in sein Studio hinein und sieht als Erstes sieben große Steine und auf jedem Stein ist ein Tag der Woche. Wenn man etwas genauer hinschaut, sieht man unter jedem Stein eine Frau mit einem Kind. Der Stein liegt schwer auf der Mutter und dem Kind. Und der Künstler sagt mir: "Sieben Tage Sanktionen". Das ist ein Beispiel. Ein anderes: Ich bekam eine Einladung zu der Ausstellung eines jungen Künstlers aus dem Südirak. Mein Fahrer fand das Gebäude nicht, weil wieder einmal - zu meiner Zeit war manchmal 14, 16, 18 Stunden keine Elektrizität da, und das in großen Gebäuden bei 50 Grad Hitze, das ist etwas anderes, als wenn man in einem Dorf lebt - also, es war kein Strom da und wir fanden das Gebäude lange nicht. Schließlich fanden wir es in der Dunkelheit. Da waren ein paar Gäste, vielleicht 40, 50 Personen, und man konnte nichts sehen. Zwei Leute kamen auf den Gedanken, die Autos so an das Gebäude heranzufahren, daß man mit den Scheinwerfern den Ausstellungsraum beleuchten konnte und da sah man dann die Bilder. Und was sah man? Dieser junge Mann, etwa dreißig Jahre, hatte nur einfaches Papier und Kugelschreiber für seine Skizzen. Es waren alles traurige Themen und auf jeder Skizze war eine Träne. Das war seine Reaktion auf das Leben im Irak. Also auch die Kultur ist beeinflußt von der falschen Politik der Sanktionen.

Jetzt zu der letzten Frage: Was können wir denn tun? Was können wir in Europa tun?(Inhalt)

Und da wollte ich Ihnen drei Daten nennen und ganz kurz einige Vorschläge anreißen. Das eine Datum ist der 26. Februar letzten Jahres. (2001). Da war ich eingeladen zum Europaparlament in Brüssel. Eine Irak - Anhörung. Mit mir waren der ehemalige Vorsitzende der Menschenrechtskommission in Genf, mit mir war der Präsident von Caritas Europa, mit mir war der Direktor des Büros der Weltgesundheitsorganisation in Brüssel und Viele von der irakischen Opposition.

Wir haben versucht, das Bild, so wie ich es Ihnen darstelle, darzustellen und den Ernst der Situation zu erörtern. - Ein paar Monate später bekam ich den Bericht, den Entwurf. Da stand nicht ein Satz über die Folgen der Sanktionen für die Bevölkerung. Die britische Abgeordnete, die für den Bericht zuständig war, hat sich nur ausgelassen über ein Thema, über das ich heute abend viel zu wenig spreche, und das ist die Diktatur Saddam Husseins. Darüber muß man sprechen. Da gibt es Einiges zu sagen. Aber interne Gesetzlosigkeit ist doch keine Freikarte für internationale Gesetzlosigkeit. Und mir ging es darum, das zu diskutieren, worauf wir, im Ausland, Einfluß haben. Also in dem Bericht war nichts. Es war eine Ideologisierung. Es war eine gescheiterte Anhörung.

Am 22. Oktober (2002), vor ein paar Tagen, war ich in Straßburg. Dieses Mal wieder beim Europaparlament. Wieder eine Anhörung. Die lief besser. Aber sie war initiiert worden von nur den linken Parteien im Europaparlament. Kein einziger Abgeordneter der rechten Parteien war anwesend. Ein paar Assistenten von Abgeordneten der Rechten waren dort, aber die Abgeordneten selber waren nicht dabei.

Ich habe mich nie an eine Partei angepaßt, weil ich bewußt, bewußt nicht ideologisiert dastehen will, weil ich meine Freiheit behalten will. Ich habe die Sache einfach so dargestellt, wie ich sie sehe, ohne dabei Rücksicht zu nehmen auf die Rechte oder die Linke oder das Zentrum. Aber wenn man sieht, daß das Gewissen anscheinend nur auf der linken Seite zu stehen scheint, dann muß man sich schon einige Fragen stellen.

Das dritte Datum ist der 25. Januar dieses Jahres (2002). Der bedeutet für Sie wahrscheinlich gar nichts. Das war das Datum, an dem die so genannte Irak-Debatte im Deutschen Bundestag stattfinden sollte. Was da stattfand, war eine übergabe von Parteipapieren, wo man einfach Stellung nahm zum Irak. Die einzige Partei, die darauf bestand, eine Diskussion zu führen im Deutschen Bundestag, war die PDS. Niemand anderes. Die anderen haben einfach ihre Papierchen abgegeben, und was in den Papieren drin stand - da übe ich keine Zurückhaltung - alle Parteien haben mir damit gezeigt, daß sie das Irakproblem nicht verstehen. Da sind faktische Fehler drin, da wäre grundlegende Aufräumarbeit zu leisten und erstmal die empirische Basis vorzubereiten, auf der man überhaupt eine Diskussion führen kann. (Aus dem Publikum: "Vielleicht dürfen die das gar nicht verstehen?") - Ich glaube, wenn man das sagt, dann lebt man nicht in einer Demokratie, in der wir leben wollen in Deutschland.

Im November wird in Berlin ein Irakkongress stattfinden, der jetzt schon boycottiert wird. Keine politische Partei hat sich bereit erklärt, da mitzumachen. Man will der Diskussion aus dem Wege gehen. Und das kann ich nur zurückweisen, das ist ein großer Fehler.

Ich sage manchmal, man kann die Position einnehmen ::"Die Iraker sind mir egal". Das wäre schlimm, aber man kann die Position einnehmen. Was man nicht tun kann, auf keinen Fall tun kann ist, daß man sagt: "Das Völkerrecht ist mir egal, das interessiert mich nicht. Die Vereinten Nationen und die Zukunft der Vereinten Nationen interessieren mich nicht". Was aber tatsächlich im Augenblick ansteht, ist die Frage der Zukunft unseres Völkerrechts, ist die Frage der Zukunft der Vereinten Nationen und ist natürlich die Situation der Zivilbevölkerung im Irak.

Meine erste Forderung ist also, daß wir wirklich die Sache besser verstehen und mehr darüber wissen müssen. Wie kann man denn, wenn man die Fakten nicht kennt, diesen organisierten Falschdarstellungen entgegentreten. Und wir haben es mit sehr, sehr mächtigen Gruppen zu tun, die Geld haben, die viele Personen haben, die eingezwängt werden in diese Sache - manche, meine Damen und Herren, die gar nichts davon wissen. - Meine Frau ist Amerikanerin, sie hat eine Verwandte, die bei Boeing arbeitet. Diese Dame hat uns in Genf besucht und mir eine erschreckende Sache gesagt: "Bei uns arbeiten 60% an Kriegsmaterial, und weniger als die Hälfte wissen, daß sie das tun". - Es ist ein kleiner Teilbereich, an dem sie arbeiten, aber die Umsetzung ist eben später das, was wir in Afghanistan und anderswo zu spüren bekommen. - Also: Man muß eine Wissensbasis schaffen, sonst kann man nicht argumentieren. Dazu gehört auch - und das habe ich im Europaparlament auch gesagt, - daß endlich einmal eine Gruppe von Abgeordneten in den Irak fährt und sich das mal anschaut und sicherstellt, daß sie das, was gesagt und behauptet wird, mit den Realitäten am Ort vergleichen kann.

Es sollte, wie ich schon angedeutet habe , eine Debatte geben im Deutschen Bundestag. Ich glaube, in der für mich manchmal komischen Auseinandersetzung zwischen Herrn Stoiber und Herrn Schröder hat es dann doch eine Annäherung gegeben zwischen den Beiden. Darauf sollte man jetzt aufbauen und im Deutschen Bundestag versuchen, das, was da so gesagt worden ist, politisch wirklich umzusetzen. Und man sollte nie vergessen, daß es bei uns, Gott sei Dank, einen Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes gibt, der verbietet, an einem Präventivkrieg irgendwelcher Art, irgendwo, teilzunehmen.

Ja, und man sollte sich auch an dieses Dokument erinnern - wir sind erst 1973 Mitglied der Vereinten Nationen geworden, viel später als die meisten anderen Länder - aber wir sollten uns daran erinnern, daß es den Artikel 2 der Charta gibt, der verbietet das zu tun, was die Amerikaner vorhaben. Und wir dürfen keine Unterstützung leisten, in keiner Form. Und ich hoffe, daß die deutsche Friedensbewegung, und daß aufrechte Bürger die Sache weiterverfolgen, und daß vielleicht auch die Parteien, die wir gewählt haben, sicherstellen, daß kein deutscher Boden und kein deutscher Luftraum benutzt wird für irgendwelche Angriffe, die die Amerikaner vorhaben.

Ich habe dem Auswärtigen Amt gesagt, daß ich mich jedes Mal ärgere, daß die Bekanntmachungen über die Angriffe der Amerikaner und der englischen Luftwaffe in den irakischen Flugverbotszonen immer aus Stuttgart kommen. Im arabischen Raum ist deshalb der Eindruck entstanden, die Deutschen mischen da mit, während das eine amerikanische Stelle in Stuttgart ist, die das sagt. Das sollte nicht erlaubt sein. Keine überflugsrechte! All das muß deutlich von unseren Politikern gesagt werden, bestätigt werden.

Und wenn wir wirklich Freunde der Amerikaner sind, dann müssen wir jetzt auch den Amerikanern was sagen. Für mich ist das ein Test der Freundschaft, ihnen zu sagen: Alles spricht für eine politische, nichts spricht für eine militärische Lösung im Irak."

Der Irak stellt keine unmittelbare Bedrohung dar. Die Dossiers, die ich erwähnt habe, zeigen das auch an. Und es ist eine unglaubliche Falschdarstellung, wenn behauptet wird: "Seht ihr, unter Druck machen die Iraker ja das, was wir von ihnen erwarten, jetzt lassen sie die Inspekteure ins Land zurück". Das ist eine Falschdarstellung. Die richtige Darstellung ist, daß sich am 26. Februar im letzten Jahr (2001) der Generalsekretär mit den Irakern in New York getroffen hat. Die Iraker haben ein Dossier vorgelegt, in dem über alle Fragen, inklusive der Rückkehr der Inspektoren, gesprochen werden sollte. Nach diesem eintägigen Gespräch haben die englische und die amerikanische Regierung dem Generalsekretär gesagt: "Nichts mehr. Ihr sprecht nicht mehr miteinander, bis wir unsere bilaterale Irakpolitik definiert haben." So verlor man ein ganzes Jahr. Und dann zu behaupten, jetzt erst, auf den Druck hin, seien sie bereit, die Inspekteure zurück zu lassen......Ich glaube, die einzige Konzession, die sie erst auf den Druck hin gemacht haben, war, daß sie sagen:" Wir bestehen nicht mehr darauf, daß die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden, wenn die Inspekteure zurückkommen, wir bestehen nicht auf einem zeitlich begrenzten Raum, in dem die Inspektionen zu Ende geführt sein sollen - also da, glaube ich hat der Druck sicher mitgeholfen. Aber die grundsätzliche Einstellung, die Inspekteure zurückzulassen, die existierte vorher. Ich stimme völlig dem französischen Außenminister zu, der vor ein paar Tagen in Luxemburg gesagt hat: "Das Ziel der ganzen Diskussion im Sicherheitsrat ist die Rückkehr der Inspekteure und nicht der Regimewechsel, wie von den Amerikanern gefordert."

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal betonen, was Robert Fisk, der englische Journalist, viel besser gesagt hat, als ich das kann. Er hat neulich darauf hingewiesen, daß er Angst hat, wenn er die Verknüpfung der amerikanischen Medien und der amerikanischen Regierung sieht, und daß es da keine unabhängige Berichterstattung mehr gibt.

Wir müssen auch das wissen und das aufnehmen, um dann richtig zu reagieren. Richtig reagieren heißt für mich, daß wir eine Stimme der Besonnenheit entwickeln, die es den Amerikanern schwer, wenn nicht - hoffentlich - unmöglich machen wird, in den Irak einzumarschieren.

Ich reiße noch ein paar andere Dinge an, die wir in Europa auch noch bedenken sollten.

Ein weiterer Punkt ist: Wenn jetzt die Waffenexperten zurückkommen, entsteht eine ganz kritische Phase, denn im Hintergrund steckt ja der amerikanische Wunsch nach Regimewechsel. Man will eine Provokation erzeugen. Deshalb müssen Abrüstungsexperten in den Irak geschickt werden, die absolut integer sind, wo Ehrlichkeit, Anständigkeit und Fachwissen eine Rolle spielen und keine - meine Damen und Herren - Geheimdiensttätigkeit.

Eine kleine Anekdote: Als ich dort ankam, habe ich festgestellt, daß ich 800 Kollegen hatte und die Abrüstungskollegen 200, und daß ich keinen Krankenwagen hatte, aber die 200 hatten zwei Krankenwagen. Ich ging dann zum medizinischen Dienst und zur Verwaltung der Abrüstungskollegen und hab' gefragt, ob wir nicht die Krankenwagen teilen können, weil wir ja viel mehr Leute hier haben. Mir wurde gesagt: "Nein, das ist nicht möglich." Ich sagte: "Das verstehe ich nicht. Wir sind doch beide Vereinte Nationen, und wir brauchen sicher irgendwann mal einen Krankenwagen." Nach drei Monaten wurde mir dann konzediert, daß wir in Notfällen diese Krankenwagen mitbenutzen können. Ein bißchen später ist mir dann durch Gespräche klargeworden, warum da dieser Widerstand war: Weil in diesen Krankenwagen Abhörgeräte eingebaut worden waren, die nur den amerikanischen Kollegen zugänglich waren. Das ist keine Geschichte. Das ist eine Wahrheit.

In dem Gebäude, in dem wir untergebracht waren, die Abrüstungsleute und wir, gab es einen Raum, in den nur amerikanische Kollegen hinein durften. Das war der Raum mit den Instrumenten, wo Daten übermittelt wurden. Und was da geschah, wußten wir alle auch, nämlich, daß die Daten gefiltert wurden. Die einen gingen nach Bahrain, zur CIA, die anderen gingen zu den Vereinten Nationen. Das heißt also: Man hat da schon manipuliert. Das muß diesmal verhindert werden, denn wenn das jetzt wieder geschieht.....Und da verstehe ich die Iraker völlig. Die wollen nicht Spione ins Land lassen, die sich anschauen, was da so läuft, und dann wird provoziert und man fängt einen Krieg an und hat den Vorteil, daß man schon weiß - oder noch genauer weiß, denn sie wissen's schon ziemlich genau - wo sie hinzuschießen haben.

Also: Es müssen Leute von bewiesener Integrität in dieses Team der Abrüstungsexperten.

Ich meine auch, wenn es einen Krieg gibt, dann wird das nicht nur zu einer enormen Eskalation des Konflikts im Mittleren Osten führen, es wird auch zu einer Vertiefung der Vertrauenskrise zwischen Europa und Amerika führen. Und niemand darf überrascht sein, wenn es zu einer Vertiefung des Antiamerikanismus führen wird. Auf jeden Fall. Ich bin auch überzeugt davon - und das müßte uns wirklich Anlaß zur Sorge geben - daß die Antiterrorkoalition zusammenbrechen wird. Unter den Bedingungen ist man nicht mehr bereit, zu kooperieren.

Deutschland wird in ein paar Monaten (01.01.03) im Sicherheitsrat sein. Für zwei Jahre, auf Rotationsbasis. Deutschland wird wahrscheinlich von Norwegen das Sanktionskomitee übernehmen. Ich glaube, das ist eine Herausforderung und eine Chance für uns, auf die Amerikaner einzuwirken, ein Gespräch auf drei Ebenen wirklich ehrlich zu unterstützen. Das wird wahrscheinlich nicht so kommen, aber die Deutschen müssen den Versuch machen. Diese drei Ebenen sind: Konfliktlösung auf der Ebene des Sicherheitsrates- das ist offensichtlich - , die zweite, ein Gespräch auf der Ebene der Arabischen Liga zu fördern - das hat angefangen und hat gute Resultate erzeugt- man darf das nicht negativ beeinflussen, wie die Amerikaner das tun, und die dritte Ebene; Ja, es gibt ein Gespräch, das ist nicht bekannt, aber es gibt ein Gespräch, ein schwieriges Gespräch zwischen den Kurden im Norden und Baghdad. Eine der beiden Faktionen, KDP und PUK, die Kurdische Demokratische Partei, hat in Baghdad sogar einen Vertreter. Einen informellen Vertreter. Das muß auch unterstützt werden, denn die Kurden im Irak und die Regierung in Baghdad müssen miteinander auskommen. Die Kurden sind auch bereit, das ist mir immer wieder gesagt worden, sich zuerst als Iraker und zweitens als Kurden anzusehen. Das heißt, sie sehen ihre Zukunft in einem geeinigten Land. Das muß man unterstützen, und nicht, wie es im Augenblick geschieht, mit Geheimdiensten im Norden agieren. Dort sind alle Geheimdienste der westlichen Welt und auch andere vertreten, die da in der Giftküche heftig mitrühren und eine Friktion zwischen Baghdad und dem kurdischen Norden aufrechterhalten.

Mein letzter Punkt, der hat nicht nur mit dem Irak zu tun. Er hat was damit zu tun, daß wir im Lauf der letzten fünfzig Jahre international eine Agenda geschaffen haben, Strukturen geschaffen haben, Gesetze geschaffen haben. Die großen Konferenzen haben uns Klarheit darüber verschafft, wie ein friedlicher Entwicklungsprozeß auszusehen hat. Ob es da um Gleichberechtigung der Frauen ging in Beijing, oder um soziale Fragen in Kopenhagen, und Bevölkerungsfragen in Kairo oder um Wasser in La Plata, in Südamerika, um Umweltfragen in Rio de Janeiro - heute sollten wir eigentlich stolz sein, daß wir die Gesetze haben, daß wir die Strukturen haben, daß wir den Inhalt haben. Worauf wir nicht stolz sein können, ist, daß wir bisher als internationale Gemeinschaft den politischen Willen nicht gehabt haben, das umzusetzen, daß wir immer geiziger werden. Die OECD zeigt, wie immer weniger Geld für die internationale Zusammenarbeit zusammenkommt.

Ich glaube, man kann heute den Terrorismus nicht bekämpfen, wenn man nur an die Symptome denkt, wenn man nicht an die Ursachen denkt, wenn man nicht an die Armut denkt, wenn man nicht an die Ungleichheit denkt, wenn man weiter mit der Kastenmentalität denkt, denn das ist es, wenn man über eine "first world", "second world" und eine "third world" spricht. "Dritte Welt"! Das muß aufhören. Wir sind eine Welt, wo man die Ressourcen so verteilen muß - nicht, daß Jeder gleich ist, nie wird es eine Situation geben, in der Jeder gleich ist - daß Jeder die gleiche Chance hat, sich umzusetzen, im Sinne des Artikels 26 der Deklaration der Menschenrechte, wo drin steht:" Jeder hat das Recht, seine persönliche Kompetenz voll ausschöpfen zu können". Darum geht es. Und da muß Einiges geschehen. Wenn das die Basis unserer Gedankenwelt wird, ich glaube, dann wird es auch solche Konflikte wie im Irak nicht mehr geben.

Sie haben viel Geduld gehabt. Es hat mir Spaß gemacht. Ich hoffe, Ihnen auch.

 
 
   
 
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