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Sabine Morgenroth (hbv):
"Kampagnen als Arbeitskampfmittel"

Mein Name ist Sabine Morgenroth. Ich bin Gewerkschaftssekretärin bei einer der 5 ver.di-Gewerkschaften, der HBV. Genau genommen bin ich Projektsekretärin im Projekt ‘Neue Vertriebswege bei Finanzdienstleistern und Direktbanken’ und betreue Call-Center. Der IT-Bereich spielt für meine Arbeit noch keine bedeutende Rolle, was darin begründet ist, dass der Dialog zwischen Gewerkschaften und den Beschäftigten in diesem Bereich gerade erst begonnen hat. Auslöser für diese Annäherung ist die Krise der ‘New Economy’. Wie einst die Call-Center als Job-Maschine der Zukunft gepriesen wurden, sah man auch in der IT-Branche einen sicheren Arbeitsplatz mit Zukunft. Nun folgt jedoch die Ernüchterung. Die WAZ Essen schrieb z.B. in ihrer Ausgabe vom 17.April 2001:"Aus der Traum: In den USA sind 73 000 Jünger der IT-Branche erstmals arbeitslos". Doch auch in Deutschland hat es bereits Entlassungen gegeben: z.B. 22 bei Vitago in München, 53 bei Teamwork in Paderborn oder 50 bei der Hamburger Popnet Crossmedia GmbH. (einblick 23/00, Seite 3) Bei den Beschäftigten der IT-Branche führt das zu einem verstärkten Interesse an gewerkschaftlichen Themen. Galten vor noch gar nicht allzu langer Zeit traditionelle Arbeitzeitmodelle oder Tarifverträge auch unter den Beschäftigten als unzeitgemäß und unflexibel, da sie nicht mit dem Wunsch in Übereinstimmung gebracht werden konnten, rund um die Uhr zu arbeiten, da der Job ja Spass macht, wird jetzt der Ruf nach Absicherung und Regelung immer lauter. Die Beschäftigten wenden sich zunehmend an die Gewerkschaften und bitten um Unterstützung bei der Einrichtung von Betriebsräten. Eine Entwicklung, die bei den Arbeitgebern natürlich nicht gerne gesehen wird. So untersagte der Software-Hersteller ‘Softline’ z.B. den Vertretern der Gewerkschaft IG Metall den Zutritt und die Teilnahme an einer Betriebsversammlung. Die IGM klagte daraufhin das Zugangsrecht gerichtlich ein.

Neben diesen klassischen Problemen werden Gewerkschaften und Betriebsräte im Bereich neue Vertriebswege jedoch auch mit ganz neuen Widrigkeiten konfrontiert, auf die es mit neuen Methoden zu reagieren gilt. Ich möchte Ihnen dies am Beispiel der Kampagne Citi-Critic erläutern, zu deren Mitgründerinnen ich gehöre. Es handelt sich hierbei zwar um den Call-Center-Bereich, für den IT-Bereich gibt es jedoch eine ähnliche Kampagne nicht und das Beispiel ist durchaus geeignet, um Interessenvertretung und Arbeitskampf im Bereich Informationstechnologie darzustellen.

Die Kampagne Citi-Critic hat ihren Ursprung in einer Entscheidung der Citibank vom Sommer 1998, ihre Call-Center-Tätigkeiten in Duisburg zu zentralisieren und dazu bundesweit 6 Call-Center zu schließen. Betroffen von dieser Entscheidung waren auch die Citifinanzdienstleistungs GmbH Bochum, besser bekannt als Citiphonebanking Bochum, und der Fachhändlerservice in Duisburg. Während man den Bochumer Beschäftigten ihre Kündigung zum 30.06.1999 mitteilte, erklärte man den Duisburgern, dass es sich bei ihnen nur um einen Umzug handeln würde, jedoch unter Verlust des Tarifvertrages. Die unterschiedliche Behandlung erklärt sich aus dem unterschiedlichen Status der Call-Center. Das Bochumer Call-Center war eine outgesourcte, eigenständige, tariflose GmbH, das Duisburger Call-Center gehörte zur Citibank AG und unterlag dem Bankentarifvertrag.

Die Bochumer und Duisburger Beschäftigten stiegen nach Bekanntgabe der Citibankpläne gemeinsam in eine Auseinandersetzung über die Erhaltung des Standortes Bochum und den Abschluss eines Haustarifvertrages für das neue Call-Center ein und traten, nachdem die Bank sich wochenlang weigerte, Verhandlungsgespräche zu führen, in den Streik. Die Citibank reagierte blitzschnell. Bereits beim 2.Streik hatte sie eine zweite Mannschaft geschult, die auf Abruf die Call-Center-Tätigkeiten erledigte, so dass keinem Kunden auffiel, dass die beiden Call-Center eigentlich bestreikt wurden. Um den Call-Center-Betrieb aufrecht zu erhalten, war es nicht einmal nötig, Leute nach Bochum oder Duisburg zu schicken. Telefonanrufe wurden einfach in andere Call-Center, in andere Abteilungen usw. umgeleitet. Fehlt jedoch die Möglichkeit mittels Streik Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, wie will man dann seine Interessen noch durchsetzen? In Bochum und Duisburg nutzten wir hierzu von Anfang an die Öffentlichkeit. Das Verhalten der Citibank, die z.B. eine Streikbrecher-Party organisierte, erleichterte es dabei ungemein, den Konflikt in alle Medien zu tragen. Erfolgreich waren wir damit jedoch auch nur bedingt. Beide Call-Center wurden letztlich geschlossen und nur den Beschäftigten wurden neue Arbeitsverträge angeboten, die sich an keinerlei Arbeitskampfaktionen beteiligt hatten. Also eine klare Abstrafung von Arbeitnehmern, die ihre Rechte in Anspruch genommen hatten. Erreicht wurde der Abschluss eines Sozialplanes für Bochum, der auch Abfindungen vorsah, die die Bank vorher nicht bereit war zu zahlen. Es war seitens unserer Geschäftsführung zunächst argumentiert worden, man habe nur 50.000 DM Eigenkapital und könne davon keine Abfindungen zahlen. Ferner sind wir nicht sang- und klanglos geschlossen worden, sondern laut protestierend und kämpfend! Und als endgültige Niederlage empfanden wir unsere Entlassungen auch nicht, denn für uns war mit dem 30.Juni ‘99 nicht Schluss. Es wurde vielmehr der Entschluss gefaßt, auch weiterhin gegen das ‘Model Citibank’ zu kämpfen. Wir wollten nicht, dass es in Deutschland Schule macht, dass kritische Belegschaften einfach ausgetauscht werden können und dass dies dann auch noch mit Fördermitteln des Landes oder Bundes gefördert wird. Die Citibank wollte z.B. mehr als 7 Mio. DM an Fördermitteln für die Errichtung ihres neuen Büroturmes in Duisburg einstreichen! Wir waren uns bewußt, dass wir nur weiter kämpfen könnten, wenn wir Verbündete gewinnen würden, die sich unseren Forderungen und Zielen anschließen. So kam es zur Gründung der Kampagne Citi-Critic.

Das soziale Netzwerk der Kampagne Citi-Critic besteht heute aus dem Kirchlichen Dienst der Arbeitswelt, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, der Bundesgemeinschaft Schuldnerberatung, der Arbeitsloseninitiative AHA des ev. Familienbildungswerkes, der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft in der CDU, der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, den Jungsozialisten in der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen, der PDS, dem DGB, dem IG Metall Vertrauenskörper Thyssen Krupp Stahl, den IG Metall Vertrauenskörper Eisenbahn und Häfen und der Interessengemeinschaft ehemaliger Beschäftigter der Citibank. Diese Bündnis hat zum Boykott der Citibank aufgerufen, um so Druck auf die Bank auszuüben und die Erfüllung unserer Forderungen durchzusetzen. Die Forderungen lauten: Sofortige Wiedereinstellung der zu Unrecht Entlassenen, Sofortige Wiederaufnahme der Tarifverhandlungen und Tariflohn statt Billiglohn.

Unterstützt wurden wir während des Arbeitskampfes und auch während der daran anschließenden Kampagnentätigkeit von der Gewerkschaft HBV, die damit ganz neue Wege beschritt. Es ist jedoch nötig, neue Wege zu beschreiten. Call-Center und auch Betriebe im IT-Bereich sind kaum oder gar nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Gründe hierfür sind vielfältig: fehlende gewerkschaftliche Traditionen in diesen Bereichen, fehlendes Interesse der Beschäftigten, massiver Druck seitens der Arbeitgeber sind nur 3 davon. Des weiteren sind in den Unternehmen jeweils nur wenige Personen beschäftigt. Hier gehen, wenn gestreikt wird, keine 10.000e auf die Straße wie in der Stahlindustrie, hier sind es nur ein paar Dutzend bis einige Hundert im Idealfall. Das schafft aber nur wenig Aufmerksamkeit und erzeugt dadurch nur wenig Druck. Hinzu kommt, dass wie beschrieben, die neuen Techniken zahlreiche Möglichkeiten bieten, die klassischen Arbeitskampfmethoden auszuhebeln. In Zukunft werden Belegschaften und Gewerkschaft verstärkt auf Kampagnen zurückgreifen müssen, um ihre Interessen noch durchsetzen zu können. Um welche Form von Kampagne es sich dabei handeln wird, hängt vom ‘Gegner’ und dessen Verhalten ab. Und ver.di wird sich dieser Arbeitskampfmethode widmen, was der neue ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in seinen Reden und Interviews immer wieder hervorhebt.

Kampagnen leben aber nur von der Beteiligung Aussenstehender! Wenn sich nicht die breite Öffentlichkeit beteiligt und Arbeitgeber auch extern unter Druck setzt, verlieren Kampagnen ihre Wirkung. Es ist an der Zeit, dass wir wieder Solidarität zeigen und erkennen, dass z.B. mit der Schaffung von tariffreien Zonen in Call-Center- und IT-Bereichen der erste Schritt getan wird, um auch klassische Tarifbereiche zu kippen. Und Druck von aussen ist extrem wichtig. Den Beschäftigten stehen nicht mehr viele Druckmittel zur Verfügung. Wie ein Streik im Internet aussehen soll, vermag ich mir momentan nicht vorzustellen. Aber über die Schwachstelle Image sind Unternehmen angreifbar und das nutzen Kampagnen.

Kampagnen sind nur eine Möglichkeit, im Bereich der Informationstechnologie Arbeitskämpfe zu führen. Es ist sicher notwendig hier auch zukünftig nach weiteren neuen Methoden zu suchen oder sie zu erfinden. Wichtig für mich ist jedoch die Aufforderung an Sie, beteiligen Sie sich an Kampagnen. Unterstützen Sie Arbeitnehmer in ihrem Kampf um soziale und menschenwürdige Arbeitsplätze, um Tarifverträge usw.. Schreiben Sie Protestbriefe an Geschäftsführungen und Vorstände, tragen Sie sich in Unterschriftenlisten ein, verschicken Sie Protestpostkarten, nutzen Sie die neuen Kommunikationsmöglichkeiten wie e-mail oder Fax, um Ihren Unmut zu äußern, schicken Sie Solidaritätsschreiben an Betriebsräte, erzählen Sie Ihren Bekannten, Verwandten usw. von Kampagnen wie Citi-Critic, unterstützen Sie Kampagnen durch Spenden, nehmen Sie an Aktionen teil. Glauben Sie mir, Aktionen machen viel Spass und setzen unübersehbare Signale in Richtung Arbeitgeber.

Wenn Sie mich fragen, was die Kampagne Citi-Critic bis heute erreicht hat, könnte ich noch gut eine weitere Stunde lang reden. Wir haben zwar unsere Primärziele noch nicht erreicht, haben aber z.B. verhindert, dass die Citibank für ihre neue Dienstleistungs GmbH in Duisburg mehr als 7 Mio. DM Fördermittel erhält. Wir haben auch erreicht, dass andere Banken nicht dem Vorbild der Citibank gefolgt sind. Wir haben erreicht, das andere Unternehmen lieber Tarifverhandlungen aufnehmen, als die Gefahr einzugehen, sich mit einer eigenen Kampagne nach dem Muster von Citi-Critic auseinandersetzen zu müssen. Wir haben erreicht, dass die Öffentlichkeit den Konflikt und die Problematik nicht aus den Augen verliert. Und wir haben erreicht, dass die Arbeitsbedingungen innerhalb der neuen Dienstleistungs GmbH immer wieder verbessert werden, um intern nicht auch noch Unmut aufkommen zu lassen.

Doch wir geben uns mit dem Erreichten noch lange nicht zufrieden. Wir haben vielmehr festgestellt, dass der Tarifkonflikt nur ein Teilbereich unserer Arbeit sein kann. Umweltfragen und Schuldnerproblematik sind nur zwei Themenbereiche, die sich lohnen genauer betrachtet zu werden. Wir werden daher in absehbarer Zeit die Kampagne Citi-Critic in einen Verein umwandeln, der sich die Förderung von Demokratie in Arbeitswelt und Gesellschaft zur Aufgabe machen wird und außer der Citibank auch die übrige Bankenwelt genau beobachten wird.

(V.i.S.d.P.: Sabine Morgenroth, Gewerkschaft hbv in ver.di, Kanzlerstr.8, 40472 Düsseldorf)

 
 
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