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Mario Candeias

Neoliberalismus - Hochtechnologie - Hegemonie
Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise


Unkorrigiertes Manuskript zur Präsentation des Buches "Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie" am 12.01.2005; Zwischenüberschriften von uns

INHALT:
Ideologie als organisierendes Element des neoliberalen Wandels
Konjunkturen des Neoliberalismus
1. Nachkriegsmodell und Neoliberale Reformen
2. Die Sozialdemokratie und ihre Verallgemeinerung des Neoliberalismus
3. Innere Widersprüche
4. Nocheinmal Gramsci
5. Bearbeitung der Krise

Mitten in der Krise des Sozialen wird landauf, landab wieder oder vielmehr immer noch über das Ende des nationalen Sozialstaates oder des tradierten Normalarbeitsverhältnisses debattiert und lamentiert. Dabei wird von links meist defensiv an der Verteidigung ihrer fordistischen Form festgehalten - das gilt nicht nur für Gewerkschaften, die in den Medien als altbackene Blockierer karikiert werden, sondern für den größten Teil der politischen und wissenschaftlichen Linken (einschließlich neuer Gruppierungen wie der Wahlalternative). Diese verbreitete retronormative, rückwärtsgewandte Blickrichtung verfehlt dabei, dass dafür nach 30 Jahren Neoliberalismus die Grundlagen weggebrochen sind, transnational erweiterte Wettbewerbsstaaten und flexibilisierte Arbeitsverhältnisse von heute nicht mehr viel mit den alten Formen zu tun haben. Die Verteidigung mühselig ertrotzter Errungenschaften ist natürlich nicht falsch, erschöpft sich aber allzu oft darin.

Damit verbunden sind Probleme der Theorie, die das Neue nur als Dekonstruktion des Alten begreifen, nicht seine eigene Qualität ins Zentrum rücken - was sich schon am verbreiteten Begriff des 'Postfordismus' zeigt, der sich eben nur durch das "nicht mehr" bzw. seine zeitliche Nach-Ordnung vom Fordismus unterscheidet. Bislang, so der linke Tenor, sei es keiner Koalition gesellschaftlicher Gruppen gelungen, dem sich herausbildenden postfordistischen Akkumulationsregime (oder der herrschenden Wirtschaftsform) eine entsprechende Regulationsweise zur Seite zu stellen, gesellschaftliche Widersprüche "stillzustellen".

Symptomatisch ist die implizite Vorstellung von gleichgewichtiger, stabiler, krisenfreier kapitalistischer Entwicklung - obwohl bspw. sog. regulationstheoretische Ansätze das immer zurückweisen würden. Tatsächlich zielen Ansätze wie die Regulationstheorie gerade auf die Regulation von Widersprüchen ohne sie eliminieren zu wollen - in der Praxis läuft das aber meistens darauf hinaus, Widersprüche, Konflikte, Kämpfe und Krisen als Ausdruck von Inkohärenzen, von verfehlter Politik zu interpretieren. Kohärenz wird dann hinten herum doch zur Widerspruchslosigkeit. Eine derart enge Kohärenz zwischen Kapitalverwertung und Reproduktion der Arbeiterklasse, zwischen Produktivitätsfortschritten und Lohnsteigerungen, der Sozialpartnerschaft wie sie im Fordismus teilweise zu finden war, ist eine in der historischen Entwicklung des Kapitalismus seltene Konstellation - und doch bildet sie die Folie, vor der das Neue bislang kategorisiert wird. Von rechts wie von links werden wir bombardiert mit Bildern einer vermeintlichen Dauerkrise, die das eine mal als rasante Veränderung daher kommt, das andere mal als andauernder Stillstand. [Hegemonie ist dabei nur eine redundante Kategorie, Ergebnis der Regulation - gesellschaftliche Auseinandersetzungen kommen kaum vor. Hegemonie wird entweder auf Herrschaft reduziert (v.a. wenn es um die internationale Position der USA geht) oder auf Konsens (wobei Zwangselemente im letzten Fall dann wieder als Inkohärenzen gefasst werden). Das Verhältnis und Zusammenspiel von Zwang und Konsens kommt kaum in den Blick.]

Ideologie als organisierendes Element des neoliberalen Wandels   INHALT

Damit verbunden ist eine linke Neigung Neoliberalismus auf ein reines "Überbauphänomen" zu reduzieren, auf einen ›Mythos‹, ›Lüge‹ oder ›falsches Bewusstsein‹. Verfehlt wird, dass die neoliberale Ideologieproduktion als das organisierende Element einer krisenhaften Transformation aller gesellschaftlichen Verhältnisse fungiert: vom Geldverhältnis, über Arbeits- und Produktionsverhältnisse, Geschlechter- und Klassenverhältnissen bis hin zu staatlichen und raum-zeitlichen Verhältnissen. Ideologie meint dabei eben nicht ›falsches Bewusstsein‹, ist vielmehr eine "Form der Rationalisierung", in der gesellschaftliche Realität neue Definitionen erfährt (Hauser), Ideologie bezeichnet also eine Realität der verkehrten gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich im Alltagsverstand einnistet, damit Teil der "gegenständlichen Wahrheit" (Marx) wird. Eine neue Produktions- und Lebensweise ist also mit veränderten Subjektivitäten verbunden: Der geschichtliche Block des Neoliberalismus kann sich trotz seiner antisozialen Politik auf aktive und passive Zustimmung stützen, weil er die Interessen untergeordneter Gruppen aufnimmt, ihre Ziele allerdings ver-rückt. Seine schmalere gesellschaftliche Basis und seine geringere Kohärenz oder Zusammenhalt verleiht zugleich dem Zwang größere Bedeutung.

Konjunkturen des Neoliberalismus   INHALT

Obwohl Sozialabbau und anderes v.a. als nationale Probleme behandelt werden und auch Vorstellungen vom gesellschaftlichen Zusammenhalt am Nationalstaat kleben handelt es sich dabei um einen transnationalen Prozess. Der Begriff des Transnationalen ist dabei kein Synonym für international. Transnationale Prozesse sind vielmehr solche, die simultan in subnationalen, nationalen und internationalen Arenen stattfinden. Das erfordert eine Erweiterung des Blicks, um die entscheidenden Elemente einer transnationalen Produktions- und Lebensweise, der damit verbundenen gesellschaftlichen Verschiebungen und Formen, in ihrem Zusammenwirken zu analysieren, um das Gemeinsame und die Wechselwirkungen der Veränderungen kenntlich zu machen. Mit Marx versuche ich dabei die Widersprüchlichkeit und Krisenhaftigkeit der Verhältnisse heraus zu stellen, mit Gramsci die Art und Weise ihrer hegemonialen Regulation über Zwang und Konsensproduktion. Entscheidend ist nicht die Stilllegung oder Lösung von Widersprüchen, als vielmehr sie in einer Weise "bearbeitbar" zu machen, so dass sie beherrschbar bleiben. Ein solcher Begriff von Hegemonie fragt also nicht nach der Stabilität einer bestimmten Ordnung als vielmehr nach der bestimmenden Entwicklungsrichtung der Bearbeitung von Widersprüchen. Ich versuche im Folgenden kursorisch entsprechende Konjunkturen des Neoliberalismus zu unterscheiden, die umkämpfte Reartikulationen des herrschenden Projekts repräsentieren.

1. Nachkriegsmodell und Neoliberale Reformen   INHALT

Die erste Konjunktur ist gekennzeichnet durch einen molekularen Prozess der Zersetzung des alten Nachkriegsmodells und der Durchsetzung neoliberaler Reformen. Es handelt sich in erster Linie um einen Prozess der Verschiebung von Kräfteverhältnissen, der Begrenzung der Macht kollektiver gesellschaftlicher Organisationen und der Freisetzung von Marktkräften. Er zielt auf eine Restauration und Revolution des gesamten Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse, einschließlich der Subjektivitäten. Ganz wesentlich werden in dieser Periode die Grundlagen für eine Transnationalisierung des Kapitals befördert, nationale Kompromisse aufgelöst. Diese erste Phase des Neoliberalismus ist von Instabilitäten und revolutionären Umwälzungen geprägt. Die sozialen, ökologischen und ökonomischen Verwerfungen, die sie nach 10/15 Jahren produziert hat, führte zur Abwahl konservativ-liberaler Regierungen in nahezu allen bedeutenden Industrieländern und machte somit letztlich das Scheitern eines konservativ-orthodoxen Neoliberalismus deutlich. Zu deutlich schien der enge ökonomisch-korporative Charakter des herrschenden Machtblocks durch, zu deutlich die strukturelle und klassenspezifische Selektivität oder Einseitigkeit, die auffällig mit den Interessen des Kapitals korrespondierte. Dies offenbarte sein legitimatorisches Defizit. Zu schmal blieb die gesellschaftliche Basis. Der konservativ-liberale Block versuchte zwar sein Projekt dauerhaft als das der gesamten Gesellschaft darzustellen und durchzusetzen - es gelang ihm aber nur teilweise einen realen Prozess der Verallgemeinerung von Interessen, der die Beherrschten miteinschließt, im Sinne einer passiven Revolution anzustoßen (Demirovic).

Zahlreiche Autoren folgerten daraus, der Neoliberalismus sei »eine vorübergehende dominante Ideologie kapitalistischer Restrukturierung, aber als hegemoniales Projekt [...] gescheitert« (Krebs), unfähig, ein kohärentes Modell der Akkumulation und des wirtschaftlichen Wachstums mit entsprechender Form von Regulation zu etablieren. Neoliberale Umbaupolitiken werden als Ausdruck einer fortgesetzten Krise des Fordismus betrachtet (vgl. Kisker, Bischoff). Die Abwahl der konservativ-liberalen Regierung von Major, Bush, Kohl etc. galt als Beleg dieses Scheiterns - »als Tod des Neoliberalismus« (Hobsbawm). Es habe sich erwiesen, dass der freie Markt auf »markt-unabhängige Institutionen« angewiesen bleibt, dass eine »Politik des extremen Laissez-faire-Kapitalismus« nicht funktioniere (Bischoff/Detje). Diese Positionen waren und sind in mehrfacher Hinsicht verkürzt:
1. Sie verfehlen, dass der Neoliberalismus die Existenz außer-ökonomischer Institutionen in den Mittelpunkt seiner Theoriebildung stellt und Institutionen selbst als marktförmige reartikuliert;
2. Sie übersehen, dass in diesem Sinne neoliberale Praxis immer schon über Formen des Laissez faire hinaus ging; dass es
3. gelang, solche Praxisformen im Sinne einer ›transnationalen Herrschaftssynthese‹ (Röttger) zu institutionalisieren: ich nenne hier nur kurz die Schaffung global-liberalisierter Geld- und Kapitalmärkte, der WTO (zur Sicherung des Freihandels), der Bedeutungswandel des IWF zur Strukturanpassung nicht-liberalisierter Wirtschaftssysteme und das europäische Binnenmarktprojekt sowie den Vertrag von Maastricht, der für Europa eine bestimmte Form monetaristischer Stabilitätspolitik mit harten Konvergenzkriterien und die starke Unabhängigkeit einer Europäischen Zentralbank zementiert;
>4. wird unterschätzt, dass die damit verbundene Einschränkung von Handlungsspielräumen das Terrain und die Richtung der Bearbeitung von gesellschaftlichen Widersprüchen eingrenzt - alle gesellschaftlichen Kräfte müssen sich auf dieses Terrain begeben, sich auf die vom Neoliberalismus geschaffenen Grundlagen beziehen, sofern sie Anteil an der Macht erringen wollen; 5. schließlich wird der Neoliberalismus als statisches Programm, eine Art Blaupause, konzipiert, ohne die dynamischen Formen der Reartikulation mit und durch andere gesellschaftliche Gruppen zu beachten. Insofern erweist sich erst nach dem Scheitern des orthodoxen Blocks, wie hegemonial der Neoliberalismus im Alltagsverstand der Menschen und in der politischen Praxis des jeweiligen Blocks an der Macht verankert ist.

2. Die Sozialdemokratie und ihre Verallgemeinerung des Neoliberalismus   INHALT

Sozialdemokratische Parteien traten an, um die schlimmsten Folgen rechts-konservativer Politik sozialverträglich abzufedern, um die Funktionsfähigkeit nationaler Wettbewerbsstaaten auf globalisierten Märkten in einer etwas langfristigeren Perspektive zu gewährleisten und die Umverteilung von oben nach unten zumindest zu verlangsamen. Über die Einbeziehung größerer sozialer Gruppen in einen Klassenkompromiss der ›neuen Mitte‹ bei weiterer Marginalisierung schwächerer Gruppen, über eine stärker Orientierung auf Innovationen, Produktivitätswachstum und Requalifizierung wurde zunächst die Stabilisierung und größere Kohärenz des Systems angestrebt. Freilich ohne die herrschende ökonomische Logik zu hinterfragen. Mit der ideologisch-politische Wende der new democrats, von new left und neuer Mitte gelang dem Neoliberalismus während der 90er Jahre die Einverleibung oppositioneller Gruppen in einen neuen herrschenden Block. Ehemals mehr oder weniger gegen-hegemoniale Gruppen wie eben die Sozialdemokratie, große Teile der 68er Bewegung, der Öko-Bewegung und von NGOs, Teile der Gewerkschaften und die Klassenfraktionen der gut entlohnten Arbeiter wurden in den herrschenden Machtblock integriert. Die Linke wurde Richtung Zentrum verschoben und mit ihr rückt das gesamte politische Spektrum nach rechts. Der verbleibende Rest linker "Traditionalisten" oder radikaler "Extremisten" wurde marginalisiert. Erst durch seine sozialdemokratische Form wurde der Neoliberalismus hegemonial verallgemeinert.

Denn schließlich ist der Neoliberalismus mitnichten als reine Destruktivkraft (Bourdieu) oder ›konservative Restauration‹ (Bischoff u.a.) zu begreifen. Er entfaltet durchaus produktive Kräfte: die Rücknahme extremer (tayloristischer) Arbeitsteilung in der Produktion kann die Arbeit der Beschäftigten von Monotonie befreien, neue Produktionsformen können deren Wissen integrieren, Computerisierung und Automatisierung uns von schwerer körperlicher Arbeit entlasten; die Internationalisierung von Kultur- und Warenwelt kann uns vor nationaler Borniertheit bewahren, Entstaatlichung uns von Bevormundung retten und die Suche nach neuen kollektiven Formen befördern. Beispielsweise Forderungen der Frauenbewegung aufgreifend ›befreit‹ der Neoliberalismus die Hausfrauen aus patriarchalen Familienverhältnissen und zwingt sich auf den Arbeitsmarkt. Die Früchte dieser Kräfte werden jedoch ungleicher verteilt als jemals zuvor im 20. Jahrhundert.

3. Innere Widersprüche   INHALT

Die Kohärenz war allerdings angesichts der Widersprüche zwischen dem Primat ökonomischer Liberalisierung und dem Begehren halbwegs sicherer Existenz- und Arbeitsbedingungen nicht dauerhaft herzustellen. Die Zustimmung zum radikalen gesellschaftlichen Umbau basiert in erster Linie auf einem Versprechen zukünftiger gesellschaftlicher Prosperität bzw. auf die Positionswahrung im verschärften globalen Wettbewerb. Eine solche Position kann jedoch niemals gewahrt werden ohne fortgesetzte Mobilisierung aller Ressourcen im Wettlauf nach unten. Das Ziel wird nie erreicht, während die Konkurrenz und generische Krisen immer weiteren Verzicht, neue Einsparungen und Sozialkürzungen erforderlich machen. Die verschärften Ungleichheiten produzieren Verunsicherungen und Unzufriedenheit. Zugleich finden letztere im Moment der hegemonialen Verallgemeinerung des Neoliberalismus keine adäquate Form der Artikulation innerhalb des bestehenden Rahmens. Es kommt zu einem "Zwiespalts zwischen Repräsentierten und Repräsentanten". Eine solche Situation ist auf Widersprüche innerhalb des herrschenden Machtblocks zurück zu führen. Keine seiner Fraktionen ist in der Lage, die anderen Gruppen des Machtblocks unter ihre Führung zu bringen, was "zur charakteristischen Inkohärenz der gegenwärtigen Regierungspolitik (...), zum Fehlen einer deutlichen und langfristigen Strategie des Blocks an der Macht, zur kurzsichtigen Führung und auch zum Mangel an einem globalen politisch-ideologischen Projekt oder einer ›Gesellschaftsvision‹" führt. Sowohl die orthodox-konservativen als auch die sozialdemokratische Form des Neoliberalismus haben sich als nicht ausreichend erwiesen, um den Gegensatz zwischen der Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse und dem Bedürfnis nach Orientierung und Existenzsicherung in für die Mehrheit befriedigender Weise zu bearbeiten. Der orthodoxe Neoliberalismus steht zu deutlich für eine Umverteilung von unten nach oben - der sozialdemokratische wird unglaubwürdig: an eine Verbindung von neoliberalen Reformen und ›Sozialverträglichkeit‹ glaubt kaum noch jemand. Die neoliberale Ideologie gerät in die Krise, verliert an Überzeugungskraft. Solche Tendenzen sind wie gesagt noch nicht unmittelbar gleichbedeutend mit einem Hegemonieverlust. Es kommt auf die wirksame Bearbeitung der Widersprüche an. Die Durchsetzung eines hegemonialen Blocks hängt nicht nur von der ideologischen Anziehungskraft bestimmter Ideen und der durch sie geschaffenen Artikulationsräume für unterschiedliche Interessen, oder von ›materiellen Zugeständnissen‹ an untergeordnete Gruppen ab. Vielmehr, so Antonio Gramsci, gewinnt ein hegemonialer Block seine besondere Stärke in den Perioden, in denen die ihn tragende "gesellschaftliche Gruppe wirklich progressiv ist, das heißt, die ganze Gesellschaft wirklich vorantreibt, indem sie nicht nur ihren existenziellen Erfordernissen nachkommt, sondern ihre eigenen Kader durch eine fortwährende Inbesitznahme neuer produktiv-ökonomischer Tätigkeitsbereiche erweitert" - im Falle des Neoliberalismus konkret durch das Management des Übergangs zur hochtechnologischen Produktionsweise und die Transnationalisierung der gesellschaftlichen Verkehrsverhältnisse. Hinter die damit gesetzten Bedingungen kann kein zukünftiges Projekt mehr zurückfallen. "Sobald die herrschende gesellschaftliche Gruppe aber ihre Funktion erschöpft hat, neigt der ideologische Block zum Zerfall, und die Spontaneität kann dann ersetzt werden durch den Zwang in immer weniger verhüllten und indirekten Formen." (Gef.7, 1949) In solchen Momenten deuten sich Risse in der hegemonialen Apparatur an.

4. Nocheinmal Gramsci   INHALT

"An einem bestimmten Punkt ihres geschichtlichen Lebens lösen sich die gesellschaftlichen Gruppen von ihren traditionellen Parteien, das heißt, die traditionellen Parteien in der gegebenen Organisationsform, mit diesen bestimmten Männern, die sie bilden, vertreten oder führen, - sie werden von ihrer Klasse oder Klassenfraktion nicht mehr als ihr Ausdruck anerkannt." (Gramsci) Zum einen manifestiert sich darin eine Krise traditioneller Ideologieelemente und Werte wie (Industrie)Arbeit, Familie, Nation, Geschlecht, ohne dass eine neue Artikulation gesellschaftlicher Formen eine vergleichbare identitäre Sicherheit böte. Der subjektiv erfahrenen Ungerechtigkeit kann individuell nicht begegnet werden, was Ohnmachtsgefühle verstärkt. Da die Funktion jeder Ideologie darin besteht, gesellschaftliche Individuen als Subjekte zu konstituieren, verwandelt sich diese ideologische Krise notwendig in eine ›Identitätskrise‹ der sozial Handelnden (Laclau). Es erwächst eine Sehnsucht nach Selbstkohärenz, die sich zum Teil gewaltsam äußern kann. Je stärker die Überforderung, desto heftiger der Affekt. Die mangelnde Repräsentation ihrer Interessen bringt wachsende Teile der Bevölkerung, insbesondere die bedrohten ›Mittelschichten‹ in Gegnerschaft zur vorhandenen Form der Vergesellschaftung [auch mittelständische Unternehmer]. Diese diffusen ›Mittelschichten‹, weisen trotz ihrer unterschiedlichen Stellungen in den ökonomischen Beziehungen« (98) einen gemeinsamen Grundzug auf, ihre Trennung von den zentralen Positionen im herrschenden Machtblock. Nach Heitmeyer u.a. (2002) glauben z.B. 57% der deutschen Bevölkerung, dass eine politische Einflussnahme als Bürger nicht möglich ist. Auch an der abnehmenden Wahlbeteiligung und dem Wegbrechen der Mitgliederbasis von Parteien und Verbänden zeigt sich die Krise der politischen Repräsentationsmechanismen. Und natürlich an den verbreiteten Protesten.

Werden diese Verunsicherung und Interessen nicht von links aufgegriffen - was angesichts der Schwäche der radikalen Linken und der neoliberalen Durchdringung der gemäßigten durchaus fraglich ist - wird diese Situation schnell nach rechts umschlagen. In Deutschland ist der Neofaschismus bisher nur partiell in parteiförmig organisierter Form aufgetreten - in vielen anderen europäischen Ländern kann er erhebliche Erfolge aufweisen (von seinen gewaltsamen und terroristischen Formen ganz zu schweigen). Der Neoliberalismus produziert Rechtsextremismus (wobei beide ein durchaus kooperatives aber auch konfliktives Verhältnis haben).

5. Bearbeitung der Krise   INHALT

Die herrschenden Gruppen reagieren mit einer Beschleunigung des immer gleichen. Krisen wurden schon in der Vergangenheit genutzt, um den neoliberalen Umbauprozess zu vertiefen - eine Form der Politik, die die Krise absorbiert, indem sie sie organisiert (Demirovic). Immer wieder wird sich auf vermeintlich fortbestehende Rigiditäten des alten bezogen: auf verkrustete unflexible Arbeitsmärkte, staatliche Überregulierungen, die Kostenexplosion des Sozialstaates, staatliche Haushaltskrise etc.pp. - die tatsächlichen Ursachen der Probleme werden entnannt. Die Gültigkeit der Diagnose wird kaum noch in Frage gestellt, womit dann die Richtung der vermeintlichen Therapie bereits vorstrukturiert wird. Die Vermittlung von Bildern des Stillstand angesichts einer dynamischen Entwicklung der sog. Globalisierung verdeckt zugleich den rasanten Umbau der Gesellschaft, inklusive der Form des Sozialstaates. Solche allgegenwärtigen Krisenideologien dienen zur Einschränkung des Terrain gesellschaftlicher Auseinandersetzung und zur Produktion von aktivem Konsens zum vermeintlich notwendigen Umbau. Proteste im Sinne einer einfachen Negation der Umbauprozesse, bleiben relativ wirkungslos, weil eine Rückkehr zu den alten Formen als unmöglich erscheint. Die Anerkennung der Vorstellung, dass keine Alternativen zur jeweiligen Form der Vergesellschaftung existieren, ist dabei eines der entscheidenden Momente von Hegemonie.

Darüber hinaus werden Zwangselemente stärker betont, Sicherheitsdispositive in den Vordergrund gerückt, Nationalismus und Standortkonkurrenz hervor gekehrt. Besonders sichtbar bei Asylgesetzgebung und Migrationsregime, Schengen-Abkommen, polizeilicher Aufrüstung und allgemeiner Ausdehnung der staatlichen und privaten Sicherheitsapparate, der Militarisierung von Außenpolitik bis hin zu Angriffskriegen. Aber eben auch bei der Verschärfung von Zumutbarkeitskriterien und Zwang zu Niedriglohnarbeit, Abbau von Sozial- und Arbeitsrechten, Leistungskürzungen, Haushaltszwängen, Entdemokratisierungstendenzen. Wohlgemerkt sind dies keineswegs Prozesse, die einfach von ›oben‹ kommen, sondern von großen Teilen der Bevölkerung in höchst widersprüchlicher Weise passiv und aktiv gestützt werden (etwa durch Ressentiments gegen Ausländer, Asylanten, Arbeitsfaule, Sozialschmarotzer).

Der Mangel an alternativen Projekten erhält dabei noch einen brüchigen passiven Konsens. Die Frage ist, ob es einem autoritären Neoliberalismus im Zuge einer leichten Konjunkturerholung im kommenden Jahr gelingt, diesen brüchigen Konsens populistisch zu erhalten, gar neue Konsensangebote zu unterbreiten, oder sich bereits Elemente eines ›Post-Neoliberalismus‹ andeuten. Völlig unklar ist dabei, ob es gelingt von links Bearbeitungsformen des Widerspruchs zwischen Regierten und Regierenden zu entwickeln, die über den neoliberalen Rahmen und sozialdemokratische Symbolpolitik hinausweisen. Oder ob der Widerspruch gewaltförmige Lösungen provoziert. Das ist, wie ich finde, die brennende Frage zur Zeit. Das Potenzial des Neoliberalismus, möglichst alles und jedes in eine Ware zu verwandeln, ist noch nicht ausgeschöpft. Diesen Prozess hegemonial zu verfolgen gelingt dem Neoliberalismus nur unzureichend, aber nach wie vor setzt er die Maßstäbe.
 
 

   
 
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