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    Reinhard Kühnl
    Faschismus-Rechtsextremismus
    Ursachen-Nutznießer-Gegenpositionen
     
    «Mitschrift eines Vortrages, gehalten am 23. November 2000 im Gewerkschaftshaus München»

    Guten Abend.
    Vor zwei Wochen hatten wir den Jahrestag des 8. November 1938, und obwohl man das ja alles weiß, zuckt man doch zusammen, wenn man nochmal anschaulich vorgeführt bekommt, wie damals, überall in Deutschland - überall in Deutschland - die Juden durch die Straßen gejagt worden sind, gedemütigt worden sind, mißhandelt worden sind, und da kommt man ja wohl nicht um die Frage herum, was denn das wohl für Menschen waren, die das vollzogen haben. Wir wissen darüber ziemlich gut Bescheid. Das waren, in aller Plattheit gesagt, normale deutsche Bürger. Das waren Geschäftsleute, das waren Angestellte, das waren Bauern, das waren junge Arbeiter, das waren Studenten. Insoweit sehen wir also klar. Ein bißchen komplizierter ist vielleicht schon die Frage, was denn in denen vorging, die das vollzogen haben. Nun, wir hatten seit Jahren gehört, die Juden in Deutschland, die sind eine Gefahr für die Deutschen. Und die Deutschen können ihre Zukunft nur sichern, wenn sie sich von dieser Bedrohung befreien. Und als nun die Naziführung sozusagen "freie Bahn" gegeben hat, da haben sie eben zugeschlagen. Die große Masse der deutschen Bevölkerung hat zwar nicht aktiv mitgemacht, wie die Naziführung eigentlich gehofft hatte, sie mitreißen zu können durch das Vorbild, aber sie hat doch zugesehen. Wir sehen also in diesen Szenen die realen Brandstifter am Werk. Aber wir dürfen natürlich die geistigen Brandstifter nicht vergessen, die ehrenwerten Politiker und Ideologen der Rechtsparteien, konservativen Parteien, der Wehrverbände, die ehrenwerten deutschen Akademiker und Professoren und die Journalisten, die seit Jahrzehnte der deutschen Bevölkerung eingebläut hatten - ich sage es mit dem Satz des berühmten deutschen Historikers Treitschke, der diesen Satz 1878 an der Humboldt Universität geprägt hat - "die Juden sind unser Unglück."
    Rednerpodium_01, 11 kbDieser Satz,hoeren: kuehnl_sv_02.wav, 104 kb, 24 sek, soundkarte benoetigt hoeren: kuehnl_sv_02.mp3, 117 kb, 24 sek, soundkarte benoetigt tausend- und millionenfach variiert, in den Gymnasien transportiert, in den Hochschulen transportiert, in der öffentlichen Meinung transportiert, "die Juden sind unser Unglück", sie sind eine Gefahr für die Deutschen, sie sind schuld an der Arbeitslosigkeit, sie sind schuld am sozialen Elend, sie sind eine Bedrohung für die deutsche Kultur.
    Nun, schon ein Jahr nach diesem Pogrom begann dann Deutschland den großen Eroberungskrieg mit einem Versprechen an die deutsche Bevölkerung. Wenn man nämlich alle diese Länder und Völker unter Kontrolle habe, militärisch unter Kontrolle gebracht habe, könnten alle Deutschen eine gesicherte Zukunft haben, dann könnten alle sozialen Probleme gelöst werden. Das Versprechen also: Lösung der sozialen Fragen durch Imperialismus. Nun, Tschechen und Polen, Serben und Russen, das war in dieser Botschaft ja eingeschlossen, sind Menschen minderer Rassequalität und könnten auch entsprechend behandelt werden. Da stellt sich die vorhin formulierte Frage natürlich in erweiterter Form: Warum haben denn so viele Deutsche mitgemacht? Selbst dann noch, als es ans Morden ging? Ans millionenfache Morden ging gegenüber Juden und Zigeunern, Polen und Russen und Serben. Jetzt handelt es nicht mehr um einige Tausend oder einige Zehntausend, die am 8. November mitgemacht hatten, jetzt handelt es sich, vorsichtig gesagt, um viele Hunderttausend, die da aktiv in diese Mordaktivitäten verwickelt waren. Jetzt könnte man mich natürlich fragen, warum ich das hier alles erzähle, da das doch sechzig, siebzig Jahre her ist, Ich habe ein kleines Gedicht von Erich Fried gefunden, das ich Ihnen gern vorlesen möchte, das uns vielleicht helfen kann, auf diese Frage eine brauchbare Antwort zu finden.

    « Was hast du damals getan, was du nicht hättest tun sollen?»

    Der Erich Fried, als Kind einer jüdischen Familie in Wien aufgewachsen, 38, als die deutsche Wehrmacht kam, dann geflüchtet, als Knabe, Heranwachsender, ist tatsächlich nach London entkommen, und hat uns dann aber bei unserer Entwicklung in der Bundesrepublik seit den Fünfziger-, Sechzigerjahren immer nicht nur aufmerksam sondern aktiv begleitet, bei all den Bemühungen gegen den Militarismus, für mehr Demokratie, usw. Ich hab ihn gut gekannt, den Erich Fried. Das Gedicht heißt: "Gespräch mit einem Überlebenden", einem Überlebenden von der damaligen Generation. Das Gedicht könnte auch heißen: "Gespräch mit einem Mitläufer". Es ist das nämlich keiner, der sich besonders aktiv hervorgetan hat durch Grausamkeiten, sondern einer der vielen, vieler Millionen, die da halt so mitgelaufen sind. Vielleicht könnte man sich denken, ein Beamter der deutschen Eisenbahn, der, pflichtbewußt, mit dafür gesorgt hat, daß in Deutschland weiterhin die Züge pünktlich gingen. Die nach Berlin, die an die Ostfront, die nach Auschwitz, kurzum, der seine Pflicht getan hat. Mit einem solchen Mitläufer, mit einem solchen Überlebenden, führt jetzt also hier einer ein Gespräch und fragt ihn:

      Was hast du damals getan, was du nicht hättest tun sollen? Nichts.
      Was hast du nicht getan, was du hättest tun sollen? Das und das. Dieses und jenes. Einiges.
      Warum hast du es nicht getan? Weil ich Angst hatte.
      Warum hattest du Angst? Weil ich nicht sterben wollte.
      Sind andere gestorben, weil du nicht sterben wolltest? Ich glaube ja.
      Hast du noch etwas zu sagen zu dem, was du nicht getan hast?
      Ja. Dich zu fragen, was hättest du an meiner Stelle getan?
      Das weiß ich nicht. Und ich kann über dich nicht richten. Nur Eines weiß ich: Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder nichts tun.

    Ich halte das Gedicht bei all seiner Einfachheit für wirklich genial. Erstens deswegen, weil es klarstellt, daß es, wenn wir uns mit Vergangenheit befassen, nicht darum geht, moralische Urteile über die damals lebende Generation zu fällen. Zweitens, weil es auf die Frage, "was hättest du an meiner Stelle getan?", die einzig mögliche ehrliche Antwort gibt: "Das weiß ich nicht." Weil nämlich keiner von uns sagen kann, wie er sich verhalten hätte, wenn er damals gelebt hätte, in der damaligen Situation. Und drittens, weil er die Beschäftigung mit der Vergangenheit auf den Punkt bringt, warum wir das machen, nämlich, weil wir darauf angewiesen sind, aus den Erfahrungen vergangener Generationen Schlußfolgerungen zu ziehen, damit wir nicht dieselben Desaster nochmal erleben, dieselben Fehler nochmal machen usw. Es geht also, wenn wir uns mit Geschichte befassen, um die Gegenwart und um die Zukunft. Ja, soweit Erich Fried.

    «Der Stärkere setzt sich durch, und der Schwächere bleibt auf der Strecke. Das ist die Logik des Konkurrenzkampfes»

    Wenn ich allerdings sage, es geht dann darum, aus den Erfahrungen vergangener Generationen Schlußfolgerungen zu ziehen, genügt es natürlich nicht, Ereignisse aus der Vergangenheit nachzuerzählen. Sondern ist es notwendig, Geschichte so zu durchdringen, daß sie begreifbar wird. Und begreifbar kann nur heißen, daß es gelingt, Kausalbeziehungen offenzulegen. Das heißt, offenzulegen, welche Ursachen es denn waren, die zu diesen Schlußfolgerungen geführt haben, zu diesen Folgen geführt haben. Ja, also, wie soll man sich nun diesem Problem nähern, wenn man etwa die Ereignisse im Deutschland der damaligen Zeit betrachtet, wenn man nicht auf den Biologismus ausweichen will und sagen will, offenbar gab es in Deutschland überdurchschnittlich viele böse Menschen, was ja wohl keine Antwort ist. Also zunächst einmal dazu einen Versuch, ob es vielleicht gelingt, tiefere Schichten von Ursachen offenzulegen, von denen es dann leichter begreiflich wird, was sich in diesem 20. Jahrhundert ereignet hat. Nun, unsere bürgerliche Gesellschaft der letzten zweihundert Jahre, seit es sie gibt, seit der Französischen Revolution, ist durch einen tiefen Widerspruch gekennzeichnet, damit sage ich für Viele eine Banalität. Wir haben auf der einen Seite die großartigen Ideen der Philosophie der Aufklärung, die dann auch in der Proklamation der allgemeinen Menschen und Bürgerrechte formuliert werden, die großartigen Ideen der Befreiung des Menschen von Zwang und Unterdrückung, die großartigen Ideen von Volkssouveränität und der Freiheit des Individuums, und und und. Auch schon die großartige Idee bei Immanuel Kant, daß ein Konzept zu finden sei, das gewährleistet, daß die Völker in Frieden miteinander leben können, also die Abschaffung von Krieg und Militarismus. Einerseits haben wir das. Wir haben mit dieser bürgerlichen Gesellschaft aber auch ein neues gesellschaftlich-ökonomisches System, das, wie jeder weiß, und wie es auch tagtäglich in der Zeitung steht, das gekennzeichnet ist dadurch, daß der Konkurrenzkampf der eigentliche Motor ist für das ökonomische und gesellschaftliche Geschehen. Es ist kein Zweifel, daß damit gewaltige Energien freigesetzt worden sind, es ist aber auch kein Zweifel, daß diese Erfahrung die Menschen härter gemacht hat. Denn die Botschaft, die tagtägliche Botschaft des Konkurrenzkampfes lautet, in ganz einfacher Form:
    Der Stärkere setzt sich durch, und der Schwächere bleibt auf der Strecke. Das ist die Logik des Konkurrenzkampfes und das ist auch der Sinn des Konkurrenzkampfes. Wenn das für Millionen von Menschen und schließlich für Generationen von Menschen zur Alltagserfahrung wird, dann bedeutet das, daß die Menschen sich unter dem Druck sehen, sich entsprechend zu verhalten, nämlich, sich so zu verhalten, daß sie nicht zu denen gehören, die unter die Räder kommen. Sondern, daß sie zu denen gehören, die sich durchsetzen in diesem Konkurrenzkampf. Daß sie also in der Lage sind, die nötige Härte aufzubringen, was auch heißt, den nötigen Egoismus aufzubringen, und wenn denn die Situation so ist, daß die Frage lautet: "Er oder ich?", und so ist das oft im Konkurrenzkampf, wenn die Frage so lautet: "Er oder ich?", daß man dann in der Lage ist, die Härte, wenn es sein muß auch zur Brutalität zu steigern. Und wenn das für Millionen von Menschen über Generationen hinweg zur Alltagserfahrung wird, dann bildet sich leicht, sozusagen als übergeordnete Weltanschauung' heraus: "Offenbar ist das ein Naturgesetz," daß der Stärkere sich eben durchsetzt, und der Schwächere eben auf der Strecke bleibt. Als Nebenaspekt möchte ich nur kurz erwähnen, daß dieses Prinzip vom Konkurrenzkampf sich ja schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausweitet auf die Beziehungen zwischen den Nationalstaaten, auf die Frage also der Verteilung und Beherrschung der Welt. Und daß aus dieser Logik des Konkurrenzkampfes dann eine Serie von grausamen Kolonialkriegen hervorgeht, gegen die Völker in Afrika und in Asien, und daß dann, mit einer gewissen Logik, schließlich auch im 20. Jahrhundert zwei große Kriege hervorgehen, wo die großen Nationalstaaten gegeneinander kämpfen und Millionen von Menschen gegeneinander auf die Schlachtfelder treiben. Wo es um nichts anderes geht als um die Frage von Verteilung und Beherrschung der Welt. Das ist die eine Linie, die seit dem 19. Jahrhundert sich aus den gesellschaftlichen Grundlagen dieser bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft herausbildet.

    «Die Arbeiterbewegung setzt entgegen: das Prinzip des Internationalismus und der Abschaffung von Kriegen»

    Aber es gibt natürlich auch die andere. Die Französische Revolution hatte eigentlich menschheitsgeschichtlich zum erste Mal gezeigt, daß Volksmassen sich zum Subjekt des historischen Geschehens machen können und tatsächlich Geschichte machen können. Tatsächlich Politik und Gesellschaft umgestalten können, hatte also die Wirkungsmacht dessen gezeigt, was im Prinzip der Volkssouveränität dann ja auch formuliert ist, nämlich, daß das Volk der Souverän ist. Das ist dann, wie Sie wissen, es sind ja auch viele Gewerkschafter hier, von der Arbeiterbewegung aufgenommen worden, die sich von Anfang an definiert hat, als eine Alternative zu dieser Logik des Konkurrenzkampfes, und dieser Logik, daß der Stärkere eben siegt. Die Arbeiterbewegung definiert sich als politische und moralische Alternative zu dieser Realität, indem sie erstens sagt, daß sie dieses Prinzip des Konkurrenzkampfes mit seiner Logik: "der Stärkere setzt sich durch" nicht akzeptiert, sondern an seine Stelle das Prinzip der Solidarität setzt, und daß sie zweitens auch nicht akzeptiert das Prinzip des nationalen Egoismus und die Weltanschauung, daß Geschichte eben nichts anderes ist als der ewige Kampf der Völker um ihr Daseinsrecht, daß sie auch das nicht akzeptiert, sondern an seine Stelle das Prinzip des Internationalismus und der Abschaffung von Kriegen setzt. In den europäischen Ländern hat sich dann bei der arbeitenden Bevölkerung eine ungeheuer starke Sehnsucht herausgebildet; gegenüber diesem real existierenden Kapitalismus zu einer Gesellschaft zu kommen, die man vielleicht eine wirkliche Gemeinschaft nennen könnte, das heißt, eine solche Gemeinschaft, in der die Menschen keine Angst mehr vor dem Morgen haben müssen, in der die Menschen in sozialer Sicherheit leben können in der sie frei von Angst leben können, in der sie - ja - hoffnungsfroh in die Zukunft blicken können. Und die politischen Projekte dieser Arbeiterbewegung besagen, daß eine solche Gesellschaft möglich ist, daß sie aber Kampf voraussetzt, wahrscheinlich sehr lange Kämpfe, daß aber dann die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft möglich ist. Nun, hierauf mußten natürlich diejenigen antworten, die an der Verteidigung der bestehenden Gesellschaftsordnung, auch mit ihren Diskrepanzen zwischen Arm und Reich, ihren sozialen Privilegien usw interessiert waren. Und zugleich mußten sie in einer Art und Weise antworten, die auf diese Sehnsucht eingeht, denn von dieser Sehnsucht waren - ich würde sogar sagen überwältigende Mehrheiten der Bevölkerung ergriffen.

    «Wie geht jetzt die Antwort der Rechten mit dieser Frage um? »

    Und die Antwort der Rechten sieht nun so aus, daß sie sagt, ja, eine solche Sehnsucht ist berechtigt, eine solche Gemeinschaft, die wollen wir auch, aber, die muß nicht erst geschaffen werden, durch Kämpfe, sondern, genau betrachtet, gibt es die schon. Das ist nämlich die Nation. Die Nation ist diese Gemeinschaft. Die gemeinsame Sprache verweist auf gemeinsame Abstammung, in dieser Gemeinschaft der Nation sind die Individuen aufgehoben, da können sie sich sicher fühlen, die Nation ist eine Schicksalsgemeinschaft all derer, die dieser Nation angehören. Du und ich und der Sozialhilfeempfänger und der Direktor der Deutschen Bank, wir bilden gemeinsam die deutsche Schicksalsgemeinschaft. Da aber, das Leben nun mal Kampf ist, das ist wieder die Logik des Konkurrenzkampfes, und da dieser Kampf auch stattfindet zwischen den Nationen und den Völkern, die eigene Nation auch kampffähig zu machen, durchsetzungsfähig zu machen in diesem ewigen Kampf der Völker um ihr Daseinsrecht. Das heißt, die Nation als Schicksalsgemeinschaft, in der alle sich aufgehoben fühlen können, kann nur funktionieren, wenn sie zugleich eine durchsetzungsfähige Kampfgemeinschaft ist. Das setzt allerdings voraus, daß sie nach innen auch wirklich eine Einheit bilden muß, und daß da quertreiberische Elemente, die die Einheit der Nation stören, nicht geduldet werden können, das ist gemeinschaftsschädlich, oder, wie es Bismarck im Sozialistengesetz formuliert: "Das sind gemeingefährliche Elemente". Die müssen entsprechend behandelt werden. Die Formulierung der Hitlerschen Gesetze 33, fast genauso wie bei Bismarck: "gemeingefährliche Elemente" müssen eliminiert werden. Also, nach innen hin harmonisch, und zur Not muß die Homogenität und Harmonie eben hergestellt werden, mit Staatsgewalt, und nach außen hin stark und kampffähig und mit der gehörigen Rücksichtslosigkeit. Das ist sozusagen das Gegenprojekt der Rechten, das antwortet auf die realen Probleme und Sehnsüchte in breiten Teilen der Bevölkerung. Da gibt aber noch ein Problem. Innerhalb der eigenen Gesellschaft, wenn man die Dinge so läßt, wie man sie vorfindet, ist ja nun eklatant, daß die Diskrepanzen zwischen Oben und Unten und zwischen Arm und Reich ziemlich groß sind. Wie geht jetzt die Antwort der Rechten mit dieser Frage um? Da greift jetzt ein anderes ideologisches Element, nämlich der Rassismus, der Rassismus, der ursprünglich zu ganz anderen politischen Projekten entwickelt worden ist, und instrumentalisiert worden ist, nämlich, um die Unterwerfung der farbigen Völker durch die weiße Rasse zu legitimieren. Also mit der These: Die Natur hat eben Menschensorten unterschiedlicher Qualität geschaffen, höherwertige und minderwertige, und deswegen ist es begründet, daß die höherwertigen sich auch durchsetzen gegenüber minderwertigen. Ursprünglich ist das massenhaft verbreitet worden, in erster Linie zu diesem Zweck, aber findige Ideologen haben dann sehr rasch die Variante gefunden, daß der Rassismus auch für die Legitimation von Unterschieden zwischen Oben und Unten innerhalb der eigenen Gesellschaft sehr gut brauchbar ist. Es liegt der Gedanke nahe, zu sagen, schaut euch doch die Realität an, innerhalb der eigenen Gesellschaft, die einen haben´s zu was gebracht, und die andern haben zu nichts gebracht, ja, da sieht man das doch auch, wie in der Beziehung zwischen den Völkern, das heißt, es gibt Tüchtige und weniger Tüchtige, Leistungsstarke und Leistungsschwache, also Höherwertige und Minderwertige auch innerhalb der eigenen Gesellschaft. Und im nächsten Schritt lautet die Logik dann: wer oben ist, hat damit also bewiesen, daß er zu den Leistungsstarken gehört. Und wer da unten rumhängt, na ja, hat halt bewiesen, daß er nicht viel bringen kann. Wenn sie das brilliant formuliert nachlesen wollen, lesen sie zwei berühmte Hitlerreden, die er vor den deutschen Unternehmern gehalten hat, vor allen Dingen die Rede vor dem Düsseldorfer Industrieclub, 20. Januar 32, da hat er den deutschen Unternehmern diese Logik entwickelt, ihr, als Unternehmer habt doch damit bewiesen.. usw. und daraus folgt doch ... und, ja.

    «Der Staat und die aktive Bürgerschaft müssen das aktiv besorgen.»

    Also, der Faschismus ist dann diejenige Ideologie, diejenige politische Bewegung, und dann auch diejenige Herrschaftsform, in der die Logik des Konkurrenzkampfes, oder ich könnte auch sagen die Logik des Sozialdarwinismus und diese Logik vom Gesetz des Stärkeren und vom Recht des Stärkeren mit aller Konsequenz, mit aller Konsequenz, das ist der Unterschied zu anderen Varianten, konservativen, bürgerlichen, liberalen usw. mit aller Konsequenz oder, wie Hitler besonders gern gesagt hat, "rücksichtslos" - Lieblingsvokabel von Hitler - rücksichtslos durchsetzt.
    Also zwei Prinzipien: das Recht des Stärkeren, aber auch schon das Prinzip Kosten und Nutzen. Daß Menschen danach bewertet werden, ob sie Nutzen bringen, oder ob sie womöglich mehr oder weniger nutzlos sind. Bei dieser ganzen Logik stellt sich dann natürlich die Frage "was soll denn werden aus den Schwachen?! Aus denen, die in diesem Lebenskampf nicht so richtig mithalten können? Was soll aus denen werden?" Nun, wie sie wissen, gibt es auch hier, wenn Sie so wollen, eine gemäßigte und eine radikale Antwort. Die gemäßigte Antwort sozusagen die liberale Antwort, die lautet: Das erledigt der Markt. Der Markt sorgt schon dafür, daß die Schwachen ausgesondert werden. Na ja, was dann aus denen wird, das ist dann ja eigentlich nicht mehr das Problem der Gesellschaft, sondern das Problem dieser Menschen, die halt nicht richtig mithalten können. Und da sagt nun aber der Faschismus: Nein, nein. Das genügt nicht, daß man das dem Markt überläßt, sondern der Staat und die leistungsfähigen Bürger selber müssen aktiv dafür sorgen, daß die für den Lebenskampf Untauglichen ausgesondert werden. Der Staat und die aktive Bürgerschaft müssen das aktiv besorgen. Also nochmal, und damit kann ich dann diesen Argumentationsschritt erstmal abschließen; Es gibt eine breite und verständliche und ich würde sogar sagen selbstverständliche Sehnsucht großer Menschenmassen nach einem Leben mit gesicherter Zukunft, nach einem Leben in Sicherheit, und die faschistische Antwort lautet: Wir schaffen die wirkliche Gemeinschaft, die das gewährleistet, wir schaffen sie, indem wir die Nation schaffen, als Kampfgemeinschaft, was einschließt, daß die störenden Elemente, die da quertreiben, ausgesondert werden, die gesamte Linke. Zweitens: Wir schaffen die Gemeinschaft auch dadurch, daß wir sie als eine rassische Einheit begreifen, was dann auch einschließt, daß diejenigen, die nicht zu dieser Rasse gehören, ausgesondert werden müssen, und, was die sozialen Probleme betrifft, die damit verbunden sind, wenn man eine gesicherte Zukunft schaffen will, so lösen wir sie durch Krieg und Imperialismus.

    «Nun, die Antifaschisten:»

    Als dann 1945 am 8. Mai, dieses System durch die gemeinsame Anstrengung der Völker zu Boden geworfen war, und als jetzt die Antifaschisten aus den Konzentrationslagern kamen, aus den Zuchthäusern, aus dem Untergrund, aus der Emigration, haben die sich natürlich gefragt, welche Folgerungen sind denn jetzt zu ziehen? Daß die Gesellschaft nicht noch einmal in eine solche Bahn geraten kann. Da wäre viel dazu zu sagen. Das sind äußerst kluge Reformprogramme gewesen, die damals entwickelt worden sind. In unserem Zusammenhang sind vielleicht nur zwei besonders wichtig. Und zwar zwei solche, die dann auch breit artikuliert worden sind, sowohl in den Programmen der damals neu gegründeten Parteien, einschließlich der CDU, da stand das auch alles drin, damals, wie auch in den Länderverfassungen, die in den Jahren 46/47 verabschiedet worden sind, und in einigen Ausläufern geht das auch noch ein ins Grundgesetz, das 49 verabschiedet wird. Die beiden Momente, die für unseren Diskussionspunkt vielleicht besonders wichtig sind, sind die folgenden: Erstens - wenn man Demokratie absichern will, so muß gewährleistet sein, daß der Volkssouverän tatsächlich Volkssouverän ist. Das heißt tatsächlich die Kompetenzen hat, um die Gesamtheit seiner eigenen Lebensbedingungen zu gestalten. Und dazu gehört dann selbstverständlich auch, daß der Volkssouverän den Zugriff haben muß, oder die Gestaltungsfreiheiten haben muß in Angelegenheiten der Wirtschaft. Wenn die Wirtschaft dem Volkssouverän entzogen ist, und die Wirtschaft ist nun mal die materielle Grundlage der gesamten Gesellschaft, dann fehlt sozusagen dem Volkssouverän das eigentliche - die eigentliche Handhabe, tatsächlich die Lebensbedingungen der eigenen Gesellschaft umfassend zu gestalten. Darum finden Sie in all diesen Parteiprogrammen und in all den Länderverfassungen Sozialisierungsartikel. Und noch im Grundgesetz, im Artikel 15. Grund und Boden, Bodenschätze und Produktionsmittel können in Gemeineigentum überführt werden. Mit diesem Projekt sind die Antifaschisten damals nicht durchgekommen, das hängt aber mit dem Votum der Besatzungsmacht zusammen, der amerikanischen Besatzungsmacht, und der Herausbildung inzwischen der Systemkonfrontation mit der Sowjetunion, aber es bleibt als prinzipielle Einsicht natürlich richtig. Auch wenn es damals nicht gelungen ist, es politisch umzusetzen.

    «Was hat sie denn bewegt, schlicht sagen: Ich hasse Neger»

    Das Zweite ist vielleicht von unmittelbar anwendbarer Aktualität. Diese Antifaschisten haben ein zweites Prinzip formuliert, das man so ausdrücken kann: Diese Ideologien, mit denen der Faschismus die Massen mobilisiert hat, Rassismus, Antisemitismus usw., das sind nicht einfach Meinungen neben anderen Meinungen, sondern die tragen in sich das Potenzial zu mörderischen Konsequenzen. Die tragen in sich sozusagen Handlungsaufforderungen, und die Erfahrung hatte ja nun tatsächlich gezeigt, daß aus diesen Ideologien, aus diesen Aussagen über minderwertige Rassen, und aus diesen Aussagen über minderwertige Juden dann auch massenhafter Mord gefolgert worden ist, und zwar theoretisch und praktisch. Und ich denke, daß man auch bei den Vorfällen, die wir in den letzten Monaten und Jahren so hatten, daß man da diesen Zusammenhang unmittelbar erkennen kann. Also es kommt immer wieder vor, daß diejenigen, die jetzt vor Gericht gestellt werden, die irgendwelche dunkelhäutigen Menschen halbtot oder auch ganz tot geschlagen haben, vor Gericht befragt, was sie denn bewegt hat, schlicht sagen: Ich hasse Neger. Ja. Er haßt Neger, und wenn ihm dann ein Neger in die Quere kommt, fühlt er sich berechtigt, ihn totzuschlagen. So einfach ist der Zusammenhang. Also, wenn Rassismus und Antisemitismus nicht einfach politische Meinungen sind, sondern in sich das Potenzial zu mörderischen Konsequenzen haben, können sie nicht zugelassen werden in der freien Meinungsäußerung, im Meinungsdiskurs. Aufforderungen zum Mord können nicht zugelassen werden.

    «Seit dem Anschluß der DDR ist es ganz offensichtlich, daß die Bundesrepublik in Europa eine klare Hegemonialstellung hat»

    Ich mach jetzt mal ´nen Sprung - wir haben uns jetzt ein bißchen aufgehalten in den Jahren 45 - 47 - ich mach jetzt mal ´nen Sprung und sage: Seit den siebziger Jahren ist die Bundesrepublik wieder die stärkste Macht in Europa, seit den Siebziger Jahren schon - sie ist es ökonomisch, sie ist es militärisch, mit einer für das Militär sehr schmerzhaften Ausnahme, nämlich, sie dürfen nicht über atomare Waffen verfügen, aber in allen übrigen Bereichen, stärkste Militärmacht und wer ökonomisch und militärisch die stärkste Macht ist, ist es natürlich auch politisch. Denn die politische Machtstellung ist sozusagen die Resultante aus diesen beiden Komponenten. Nun, und seit dem Anschluß der DDR ist es ganz offensichtlich, daß die Bundesrepublik in Europa eine klare Hegemonialstellung hat. und wir könnten jetzt vielleicht, obwohl die Zeit natürlich furchtbar knapp ist, oder müssen ein bißchen darüber raisonnieren, ob das politische und ideologische Folgen hatte. Ich kann wirklich nur in Stichworten jetzt versuchen anzudeuten, und ich bitte sie, daß sie nachher in der Diskussion all das auf den Tisch bringen, was sie intensiver diskutieren möchten. Man könnte erst einmal die Frage stellen, was eigentlich in dem Schlagwort, in dem immer aufs Neue strapazierten Schlagwort vom Standort Deutschland der gestärkt werden müsse, alles drinliegt. Da liegt sicher sehr Verschiedenes drin, aber erstensmal liegt da gewiß auch wieder drin, daß es ein Faktum ist, oder offenbar ein Lebensgesetz oder ein Naturgesetz, daß die Völker und Nationalstaaten in einem Kampf miteinander liegen. Das Zweite aber, was uns immer stärker aufgedrückt wird, als eine angeblich unausweichliche Konsequenz, ist, daß bei diesem harten Konkurrenzkampf im Rahmen der Globalisierung soziale Rechte hinderlich sind, weil sie die Produktion verteuern, weil sie die Exportchancen mindern, weil sie die Durchsetzungsfähigkeit des deutschen Kapitals auf internationalen Märkten behindern. Kurzum, man versucht, uns immer drastischer klarzumachen, daß soziale Rechte ein Standortnachteil sind. Und, daß man da jetzt flexibilisieren muß, ein bißchen runtergehen muß, um den Standort Deutschland zu sichern und zu stärken. Aus der Vergangenheit der deutschen Rechten wissen wir, daß solche Überlegungen auch noch ein paar Schrittchen weiter gehen können. Ich nenne vielleicht mal ein Symptom aus einer berühmten Münchner Firma, BMW hat, wie sie wissen, vor einigen Jahren neue Fabriken aufgebaut in den Vereinigten Staaten, und die Frage war, wo sollen die Fabriken stehen? Und dann wurde ein Standort gewählt, und als der Chef, ich glaube es war Herr Kühnheim damals, gefragt wurde, nach welchen Kriterien das entschieden worden ist, hat er ganz umverblümt gesagt, wir haben uns in den USA einen Staatgesucht, der gewerkschaftsfrei ist. Gewerkschaftsfrei - das heißt: Gewerkschaftsfreiheit ist ein Standortvorteil.

    «Was wird denn mit den Opfern dieser Globalisierung?»

    Die Existenz von Gewerkschaften ist also ein Standortnachteil, in dieser Logik. So, also solche Elemente liegen da auch drin. Aus den Vorfällen in Chile von 73 wissen wir, daß damals von vielen Konzernen auch die Existenz von parlamentarischer Demokratie als ein Standortnachteil aufgefaßt worden ist. Und als dann endlich die Diktatur errichtet worden war, die großen Anzeigenserien erschienen: Jetzt lohnt es sich wieder, in Chile zu investieren. - Jetzt, wo die Diktatur errichtet war. - Man muß überlegen, was sich an Interessenartikulation darin ausdrückt, wenn auch, zunächst noch, in zurückgenommener Form. Daß die Diskrepanzen zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik in den letzten 20 Jahren - wie soll ich das nennen - obszöne Ausmaße angenommen haben, das werden Sie auch alle wissen, daß die Zahl von Millionären und Milliardären zunimmt, und zugleich 20% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, und dieser Anteil verstärkt sich, ja - da stellt sich jetzt natürlich die Frage, die sich in der deutschen Geschichte in der Vergangenheit schon öfter gestellt hat, was wird denn mit den Opfern dieser Globalisierung? Mit den Opfern dieser Modernisierung, mit den Opfern dieser Effektivierung? Es sind beträchtliche Zahlen. Wachsende Zahlen auch. Und dadurch, daß man sie Modernisierungsverlierer nennt, hat man ja das Problem noch nicht gelöst. Hat man noch keine Antwort auf dieses Problem. Was die neuen Bundesländer betrifft, habe ich mir eine Zahl mal ´rausgeschrieben. Die Leipziger Forschungsstelle Sozialanalysen hat seit 89 regelmäßig bestimmte Fragen gestellt, besonders an die junge Generation, die dort lebt. Ich nenne Ihnen jetzt nur eine Vergleichszahl: Im Jahr 1990, also dem Jahr, als der Anschluß real vollzogen wurde, an die Bundesrepublik, haben 94% der jungen Leute gesagt, sie seien überzeugt davon, daß sie in dieser Bundesrepublik eine gesicherte Zukunft haben werden. 94% im Jahre 1990. Im Jahre 1999 waren das nur noch 14%, die das gesagt haben. Oder, umgekehrt gesagt, 86% glauben nicht mehr, daß sie in dieser Bundesrepublik eine gesicherte Zukunft haben werden.

    «Wer ist denn schuld?» hoeren: kuehnl_sv_03.wav, 104 kb, 24 sek, soundkarte benoetigt hoeren: kuehnl_sv_03.mp3, 94 kb, 23 sek, soundkarte benoetigt

    So viele enttäuschte Hoffnungen, auf ein sinnerfülltes Dasein, auf ein Leben in Sicherheit und Würde, da entsteht natürlich bei diesen Leuten die Frage: hoeren: kuehnl_sv_03.wav, 104 kb, 24 sek, soundkarte benoetigt hoeren: kuehnl_sv_03.mp3, 94 kb, 23 sek, soundkarte benoetigt Wo ist denn da vielleicht ein Ausweg? Und natürlich auch die Frage: Wer ist denn schuld? Und natürlich auch die Frage: Was kann man denn da machen? Es scheint mir sehr verständlich zu sein, wenn erhebliche Teile, und das geht mittlerweile auch in die Millionen bei diesen jungen Leuten, das Vertrauen zu den etablierten politischen Parteien verloren haben, von denen nichts mehr erwarten, sich von denen abwenden, sich vielleicht aber auch vom politischen System abwenden. von dem sie auch nichts erwarten. Damit ist natürlich noch nicht entschieden, wohin sie sich dann wenden. Und das hängt dann von einer ganzen Reihe von Komponenten ab, das hängt vielleicht auch von Komponenten ab, die wir selber beeinflussen können. Es hängt erstens davon ab, wie die eigene Problemlage interpretiert wird, denn die Frage: Wer ist schuld daran? läßt ja unterschiedliche Aussagen zu, hängt aber auch davon ab, welche Lösungen überhaupt in den Blick kommen, in den eigenen Horizont kommen, und hängt auch davon ab, welche Denkmuster vielleicht schön in den Köpfen sind, durch jahrelang oder jahrzehntelange politische Information oder auch Desinformation Oder - und ich muß nochmal auf einen Punkt kommen, den ich ganz am Anfang genannt habe - ich würde auch sagen, welche Erfahrungen im Alltag gemacht werden, die mir dann gewissermaßen evident erscheinen, weil sie aus dem Alltag notwendig zu entspringen scheinen. Und ich muß auch nochmal auf diese Grunderfahrung kommen, im kapitalistischen Alltag, das Leben ist Kampf, und es ist tatsächlich so, daß der Stärkere sich durchsetzt, und es stellt sich tatsächlich oft so dar: Er oder ich, und ich muß mich entsprechend verhalten. Meine These wäre, daß diese Weltsicht, mit allen praktischen Konsequenzen dann auch, die Tendenz hat, zur herrschenden Ideologie zu werden, wenn es nicht eine starke politische und geistige Gegenmacht gibt, die erfahrbar macht, ich sag jetzt schonmal vorab mit diesem Stichwort, die erfahrbar macht, daß es auch Solidarität gibt, und daß dadurch, daß ich mich an solidarischen Bewegungen beteilige, auch etwas erreicht werden kann. Nur, wenn diese Gegenerfahrung tatsächlich im Alltag spürbar ist, kann die Dynamik und die Macht der anderen Weltanschauung eingedämmt werden. Diese Frage, wie soll die eigene Lebenslage denn interpretiert werden, und welche Antworten kann es denn da geben, wird auch dadurch beeinflußt, daß die etablierte Politik, daß die etablierten Medien, Reizworte in die Debatte werfen, die dann als Signale wirken.

    «Ungeheuer suggestive Bilder, wenn dann noch sehr präzise unterschieden wird zwischen nützlichen und unnützen Ausländern»

    Wenn z. B. der damalige Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff sagt, "die Ausländer belasten unseren Arbeitsmarkt", ist das natürlich keine faschistische Hetze. Das wird man nicht sagen können. Aber es hat Folgen. Denn diejenigen, an die sich das richtet, die übersetzen sich das ja. Die sagen sich, ach so ist das also Es sind die Ausländer, die schuld sind an der Arbeitslosigkeit, und dann vollziehen sie den nächsten Schritt und sagen, ja und? Und was tut der Staat, um mit diesem Problem der Ausländer fertig zu werden, wenn die es sind, die schuld sind? Und dann der nächste Schritt: Dieser Staat tut nichts, diese etablierten Parteien tun nichts, Versager, Feiglinge. Müssen wir wohl selber anpacken. Das hat eine gewisse Logik, das wird man nicht bezweifeln können. Und wenn dann die terroristischen Aktivitäten kommen, dann wird der Graf Lambsdorff natürlich sagen: Damit habe ich nichts zu tun. Aber da gibt es natürlich schon eine gewisse Kausalbeziehung. Oder wenn dann von Überfremdung des deutschen Volkes die Rede ist, als Gefahr für die Deutschen, wenn von Asylantenflut die Rede ist, Flut heißt bei mir wir sind in der Bedrohung, überflutet zu werden, überwältigt zu werden, ersäuft zu werden, das sind ja ungeheuer suggestive Bilder, wenn dann noch sehr präzis unterschieden wird zwischen nützlichen Ausländern und unnützen Ausländern, die unterschiedlich behandelt werden müssen, wenn dann, darüber müßten wir vielleicht dann in der Diskussion noch ein bißchen genauer reden, diese vage und vielfältig interpretierbare Formel von der deutschen Leitkultur in die Debatte geworfen wird, die, wie man sie auch interpretiert jedenfalls schon eine deutliche Aussage enthält, nämlich: Die hier Zugewanderten, in den letzten 30,40 50 Jahren, von denen wollen wir mal eins klarstellen, kollektiv und dauerhaft, werden die in der zweiten Reihe stehen, weil sie nicht die deutsche Leitkultur repräsentieren. Die deutsche Leitkultur, das ist die erste Linie. Und in er zweiten Linie mögen die dann vielleicht stehen. Also sozusagen eine dauerhafte Ausgrenzung, oder ein dauerhafter Verweis in die zweite Linie ist damit auf jeden Fall gegeben. Die Schlußfolgerung kann ich relativ kurz machen: Auf diese Weise wird ein Klima mit beeinflußt, in dem rechtsextreme Schläger durchaus die Überzeugung haben können, daß sie etwas vollziehen was von Vielen gewünscht wird, oder ihnen zumindest akzeptabel erscheint. Und viele Bürger werden damit bestätigt, die sich vielleicht sagen, na ja, wir haben das ja eigentlich schon immer gewußt, es ist gut, daß das jetzt wieder mal in solchen Begriffen klar ausgedrückt wird.

    «Wozu brauchen wir jetzt Militär? Wir brauchen jetzt Militär, um unseren Wohlstand zu verteidigen»

    Ich muß aber noch einen dritten Punkt nennen, der vielleicht der bedrohlichste von allen ist, und wo ich selber ziemlich deprimiert bin, weil ich da in den letzten fünf Jahren, seit das klar angelaufen ist, gesehen habe, daß es da überhaupt keine Gegenbewegung gibt, ich meine, daß eine Politik wieder aufgenommen wird, und zwar in aller Öffentlichkeit, die in Deutschland auch schon Jahrzehnte und Jahrzehnte mehrfach probiert wurde, mit verheerenden Wirkungen, für uns und für den Rest der europäischen Völker, nämlich die politische Linie, die besagt, anstehende soziale Probleme lösen wir durch Imperialismus. Was zugleich ein Versprechen beinhaltet, für diejenigen, die auch wollen, daß die sozialen Probleme gelöst werden. Im Jahr 95 hält der damalige Bundespräsident Herzog eine öffentliche Rede, die auch in den Zeitungen abgedruckt war, in der er sagt, ich verkürze jetzt ein bißchen, aber ich habe den Inhalt der Rede gut in Erinnerung, weil die mich sehr beeindruckt hat, da sagt er, in der Vergangenheit haben wir Militär gebraucht, weil wir bedroht waren. Das sind wir nicht mehr. Weit und breit keine Bedrohung. Dazu brauchen wir nicht mehr. Wozu brauchen wir jetzt Militär? Wir brauchen jetzt Militär, um unseren Wohlstand zu verteidigen, und unseren Wohlstand zu verteidigen heißt, daß auch mit militärischen Mitteln sichergestellt werden muß, daß wir die Rohstoffe und die Exportmärkte, die wir brauchen für unseren Wohlstand, auch sichern können. Ja. Das war die Ankündigung: Künftig wird die Bundesrepublik wieder imperialistische Kriege führen. Begründung: Wir müssen unseren Wohlstand verteidigen. In beliebigen Teilen der Welt. Wo das eben nötig ist. Das ist dann im Weißbuch der Bundeswehr auch relativ klar ausgeführt worden, was das alles heißt.
    Rednerpodium_02, 13 kbAlso, ich sage so: Da gibt es vielfache Signale, von Seiten der etablierten Politik und der etablierten Medien, die in die Richtung gehen, wir haben vielerlei große Probleme, aber wir wollen die Lösung dieser Probleme politisch nach rechts suchen. Und jetzt könnten wir oder müßten wir natürlich fragen, auch dazu nur ein paar Stichworte noch, was wären denn jetzt die Aufgaben einer Linken. Und gibt es Anhaltspunkte dazu, daß das nicht ganz aussichtslos ist. Das Erste wäre natürlich, so etwas wie eine geistige Gegenmacht zu etablieren, denn der Streit geht schon zunächst einmal um die Frage, welches denn die Ursachen der sozialen Misere sind. und da wäre es sehr wichtig, daß es uns gelingt, im öffentlichen Raum deutlicher präsent zu machen, welches die wirklichen Ursachen sind. Und daß es damals nicht die Juden waren, und daß es heute nicht die Ausländer sind, Zweitens aber auch Lösungen aufzuzeigen, oder konkrete Schritte aufzuzeigen, die anzupacken wären, damit da eine Veränderung eingeleitet werden kann. Drittens aber auch, und das ist natürlich vor allen Dingen eine Aufgabe von uns Gewerkschaftern, deutlicher sichtbar zu machen, daß die Gewerkschaften und all die anderen, die an diesem Projekt mit interessiert sind, ich rede jetzt mal als Gewerkschafter hier, daß die Gewerkschaften die Resolutheit aufbringen, die sozialen Rechte tatsächlich auch energisch zu verteidigen, und damit sichtbar zu machen, daß sie eine Kraft sind, auf die man auch Hoffnung setzen kann. Daß sie eine Kraft sind, die auch in der Lage ist, etwas zu bewirken. Daß sie also tendenziell zu einem Hoffnungsträger werden könnte, was sie zwei Jahrzehnte lang für Millionen von Menschen in der Bundesrepublik auch gewesen ist. ich sehe das also auch so - daß alle die vielen Menschen, die sich jetzt abwenden von den bestehenden Parteien, und die auch in Resignation versinken oder orientierungslos nach Antworten suchen, viele auch derer, die vielleicht jetzt schon rechtsextremen Aktivitäten nachlaufen, ich sehe viele von denen als Suchende an. Ich würde davor warnen, von vorneherein zu sagen: Das sind halt hoffnungslose Faschisten, das ist nichts zu machen.

    «Plötzlich ist eine ganz breite Front da, die sagt: Jetzt müssen wir aber wirklich resolut durchgreifen mit Verbotsmaßnahmen"»

    Meine Forschungen haben mir gezeigt, daß auch von den 13 Millionen Naziwählern aus dem Jahr 32, daß nicht 13 Millionen unverbesserliche Faschisten gewesen sind, sondern, daß viele davon Suchende gewesen sind, die ansprechbar gewesen wären auch für andere Lösungen und andere Angebote, wenn es überzeugende Angebote damals von Seiten der Linken gegeben hätte. Das ist die eine Seite der Sache. Andererseits aber, wenn es sich um den organisierten, für terroristische Aktivitäten offenen, Rechtsextremismus handelt, dann habe ich keine Bedenken, an die Überlegungen der Antifaschisten von 45/46 anzuschließen, und zu sagen, solche Organisationen und auch solche Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus sind zu verbieten. Ich habe vorhin schon versucht, entsprechende Begründungen zu geben. Die Rechtsordnung hat das seit 45 nicht nur zugelassen sondern eigentlich auch verlangt. und daß dem die Behörden und die maßgeblichen Kräfte nicht nachgekommen sind, - das wäre eine zweite Frage, warum das Jahrzehntelang geduldet worden ist. Und es wäre eine dritte Frage, die wir dann vielleicht auch in der Diskussion behandeln können, wie denn das so urplötzlich kommt, nachdem sie Jahrzehntelang zugeschaut haben, plötzlich eine breite Front, von dem Bundeskanzler Schröder bis zur Bayrischen Landesregierung, unter Einschluß der Unternehmerverbände, plötzlich eine ganz breite Front da ist, die sagt: Jetzt müssen wir aber wirklich resolut durchgreifen mit Verbotsmaßnahmen, und die gesamte Macht des Staates und, und, und. Also, wie das so plötzlich gekommen ist. Ob das so eine Art, wie war das an Pfingsten? - so eine Art Pfingsterlebnis, eine Erleuchtung gewesen ist, eine plötzliche, oder ob man das vielleicht auch sozialwissenschaftlich oder politisch erklären könnte.

    «Was ist des Unschuldigen Schuld?» hoeren: kuehnl_sv_04.wav, 138 kb, 32 sek, soundkarte benoetigt hoeren: kuehnl_sv_04.mp3, 123 kb, 31 sek, soundkarte benoetigt

    Nach wie vor halte ich auch daran fest, daß der Antifaschismus eine politische und moralische Alternative zum real existierenden Kapitalismus formuliert, nämlich auf der Basis der allgemeinen Menschenrechte. Und die allgemeinen Menschenrechte setzen die Gleichheit der Rechte für alle Menschen voraus, und sind eine Negation dieses anderen Prinzips: Naturgesetz ist, daß der Stärkere sich durchsetzt, und der Schwächere auf der Strecke bleibt. Im Grunde sind das natürlich uralte Sehnsüchte, in der Geschichte der Menschheit seit dreitausend Jahren immer und immer wieder artikuliert. Das Alte Testament ist voll. Wenn die Propheten anfangen zu predigen im Alten Testament, dann geht das in diese Richtung. Nämlich, daß eine Welt zu schaffen ist, in der der Mensch dem Menschen ein Bruder ist, und eine Schwester, Während, wie der Hobbes sehr präzis sagte, im Kapitalismus der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Zwei Gedanken noch in aller Kürze: Wenn es uns gelingt, uns schrittweise an eine solche Gesellschaft anzunähern, in der wirklich Selbstbestimmung existiert, und in der alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, und dann in eine gemeinsame Kommunikation einzubringen, wenn sie also auch die reale Alltagserfahrung machen, daß sie als Subjekte sich einbringen können und ihre Lebensverhältnisse aktiv mitgestalten können, dann verschwindet auch die Sehnsucht nach einem mächtigen Führer, dem man sich unterordnen kann, und dann braucht man auch keine Feindbilder mehr. Und ich bin auch dafür, daß wir uns nicht ausreden lassen, nicht ausreden lassen, daß eine Gesellschaft möglich ist, in der Arbeit für alle vorhanden ist, daß soziale Sicherheit für alle möglich ist, und daß ein Menschenwürdiges Dasein für alle möglich ist. Letzter Satz: Die Verantwortung des Einzelnen fängt natürlich im Alltag an. Also, es genügt nicht, daß wir diese längerfristigen Projekte ins Auge fassen und daran zu arbeiten beginnen, sondern in den alltäglichen Situationen fängt natürlich an, z.B. wenn Alte oder Behinderte oder Ausländer angepöbelt werden, oder auch, wenn die Bundesrepublik wieder einmal daran geht, sich an einem Angriffskrieg zu beteiligen, das wäre auch so eine Situation, also, die Verantwortung des Einzelnen fängt im Alltag an, und dazu möchte ich lhnen auch noch ein kleines Gedicht vorlesen von der Gerti Spieß. Die Gerti Spieß war inhaftiert im Konzentrationslager Theresienstadt, hat das überlebt und hat sich nachträglich natürlich auch über dies und das Gedanken gemacht. Und das Gedicht heißt:

      Was ist des Unschuldigen Schuld? hoeren: kuehnl_sv_04.wav, 138 kb, 32 sek, soundkarte benoetigt hoeren: kuehnl_sv_04.mp3, 123 kb, 31 sek, soundkarte benoetigt
      Was ist des Unschuldigen Schuld? Wo beginnt sie? Sie beginnt da, wo er, gelassen, mit hängenden Armen, Schulter zuckend, daneben steht, den Mantel zuknöpft, die Zigarette anzündet, und spricht: "Da kann man nichts machen".
      Seht, da beginnt des Unschuldigen Schuld.

    Schönen Dank.

     
     
 
 
 
          
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