Prof. Ulrich Albrecht, Politologe, FU-Berlin
    Alternative zivile Sicherheitspolitik
     
    (Dank für die Einladung.) Ich soll etwas über alternative Konzepte sagen, will das aber nicht nur abstrakt machen, sondern auch schauen, (wir haben ja jetzt Halbzeit Rot-Grün) was vor zwei Jahren diese neue Regierung sich in dieser Richtung vorgenommen hatte. Aber ich habe zugleich die Chance wenigstens an drei kleine Punkte bei Schmähling anzuknüpfen, mit zwei positiven und einem halbpositiven Kommentar.

    Es hat da nicht nur das Tribunal gegeben, sondern ich erinnere mich auch an einen harten Brief, den er unterschrieben hat, an Bundestagsabgeordnete, mit dem Kernsatz: "Wenn Sie für den Bundeswehreinsatz gestimmt haben, dann betrachten Sie Sich als Angeklagten". Das hat gesessen. 2. Zur Wahrheitskommission ( es gibt weltweit inzwischen 19, und teilweise sind sie erfolgreich) : Mein Eindruck ist, die amtliche Politik hat davon im Falle Jugoslawiens nicht geredet. Auch dort sind wir tatsächlich wieder ,,Vor dem Krieg", denn Aussöhnung als politische Aufgabe scheint niemand anzugehen. 3. Das 94er Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Out-of-Area-Einsätzen ging 4 zu 4 aus. Nach den Regeln des Gesetzes ist dann der damalige Antrag abgelehnt worden. Deshalb erscheint die Klage der PDS in Teilen für aussichtsreich. Das Gericht hat aber auch betont, daß der Einsatz der Bundeswehr vom Parlament und nicht von der Regierung zu beschließen ist (Die Engländer haben diesen Schritt bei der Revolution unter Cromwell getan: Nicht der König sondern das Parlament entscheidet über das Heer. Dies haben die amerikanischen Verfassungsväter Ende des 18.Jahrhunderts aufgenommen: Nominell erklärt der Kongreß und nicht der Präsident den Krieg. Die praktische Politik hat allerdings dazu geführt, daß die USA höchst selten den Krieg erklärt haben.)

    Zum Systematischen: Prävention - Alternativen.

    Es gibt immer Alternativen in der Politik. Nicht in eine Situation zu geraten, wo es keine Alternativen mehr gibt, ist gerade Aufgabe von Politik. (Zur Illustration an der amerikanischen Politik:

    Derselbe Präsident Clinton hat 1993 mit aller Macht darauf gedrungen, ein Mandat der Vereinten Nationen zu bekommen für den Einsatz gegen Haiti. Er wollte partout nicht ohne Mandat Aristide helfen. Heute sieht es gerade andersherum aus. 1994 fand nämlich statt, was die Republikaner die neue amerikanische Revolution nennen, sie haben die Mehrheit im Kongreß bekommen, und Gingrich meinte schon, das sei eine Revolution. Sie haben zum Beispiel angefangen, die Gesetze neu zu nummerieren. Besonders beeindruckend das "Gesetz über die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit der USA". Es hat die Nummer 007. Das legt den Präsidenten an die Kette. Er darf US Truppen für UN-Einsätze nur freigegeben. wenn er öffentlich erklärt, das liege im nationalen Interesse der USA. Die Weisheit von Clinton ist es, solche Erklärungen zu vermeiden. Also weg vom UN-Mandat.

    Ein ähnliches Politikmuster: Wir machen uns Sorgen über das neue amerikanische Raketenabwehrsystem. Die Erklärung - es handelt sich ganz simpel um amerikanische Innenpolitik. Da die Republikaner Clinton und Gore vorgeworfen hatten, sie seien "soft on defense" (Weicheier auf dem Gebiet der Verteidigung) hat Clinton rechts an den Republikanern vorbeigegriffen und ihnen das Konzept gestohlen. Das kann man für Prinzipienlosigkeit halten, es ist aber Teil eines anderen, des amerikanischen Politikverständnisses.)

    Alternativen sind da.

    Es ist nur die Frage, welche Alternativen und wie werden sie befördert und umgesetzt.

    Vor 10 Jahren, in der deutschen Wiedervereinigung, gab es die "Charta von Paris". Dort hat die OSZE feierlich ein Dokument verabschiedet, das eine Art europäische Friedensordnung verheißen hat.

    Im Juli 1990 hat die NATO in England eine Erklärung abgegeben, sie würde sich nun politisch entwickeln. Es war von einer 2. Säule, einem politischen Arm der NATO, einem politischeren Bündnis die Rede. Das hat damals die Russen sehr befördert in ihrer Meinung, man könne mit solchen NATO-Partnern doch die deutsche Wiedervereinigung bereden. Präsident Bush hat eine neue Weltordnung angekündigt, und wenn er auch eine konservative Ordnung gemeint hat, so doch sicher nicht Turbulenzen oder gar Kriege.

    Wenn wir Bilanz der letzten zehn Jahre ziehen, so ist es im wesentlichen bei leeren Worten geblieben. Die EU hat zwar laut Maastrichter Vertrag eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, aber, wo ist das Gemeinsame, wo ist die Außenpolitik und wo die Sicherheitspolitik dieses Europa? Es steht auf dem Papier, aber es ist nicht existent. Fairerweise muß man sagen, die EU ist im Übergang, sie bildet sich heraus. Wohin, da haben manche von uns Zweifel. Zunächst heißt es mal:
    Sie ist nicht sehr handlungsfähig. Der Begriff "Sicherheitsarchitektur" suggeriert Klarheit, aber wir haben - liebenswürdig ausgedrückt -eine Situation mit fragmentierten Institutionen: Die WEU, die OSZE, die NATO, die EU und noch die Vereinten Nationen....
    Ein politischer Gestaltungswille, zumindest einer, der nicht nur schöne Sprache, wie mit der Charta von Paris, erzeugt, der ist nicht am Werk. Aber es hat auch - wenn man etwa die SPD betrachtet, Konzepte gegeben. Egon Bahr hat mit dem Hamburger Institut ein Konzept vorgelegt: "Europäische Sicherheitsgemeinschaft" (auch in Buchform veröffentlicht, sehr durchdacht). Die stellen sich eine Art "europäischer UN" vor, mit den Leitideen der Vereinten Nationen: Oberstes Prinzip von Konfliktregelung ist friedliche Streitbeilegung. Das soll umgesetzt werden in eine Art europäisches Grundgesetz und in eine Sicherheitsstruktur. Stützle, jetzt Verteidigungsstaatssekretär, hat etwas Ähnliches erfunden, als er noch nicht beamteter Staatssekretär war. Er nannte das ERATO, eine europäisch- atlantische Vertragsorganisation. Immerhin wird schon im Titel sichtbar der Schritt weg von reiner militärischer Sicherung. Der Auswärtige Ausschuß des Bundestages hat in seiner 99. Anhörung 1994 sich zum ersten Mal über nichtmilitärische Interventionen in Konflikte unterhalten. Die Abgeordneten waren ganz high, weil sie ein neues Thema entdeckt hatten: Man kann über Interventionen reden ohne Soldaten. Einige machten dicke Versprechungen. Uta Zapf, eine aufrechte linke SPD Abgeordnete, sagte, sie mache das zum Inhalt ihrer politischen Arbeit in dieser Legislaturperiode. Aber auch auf dieser Ebene ist dann nichts gekommen. Aber immerhin: Wenn wir gefragt werden nach Alternativen, (und ich komme jetzt zu dem, was politisch vielleicht sogar eingeleitet worden ist,) läßt sich das so zusammenfassen:

    Es beruht auf explizitem Rechtscharakter, es werden Verträge geschlossen, vertragliche Strukturen, die auch Konflikte lösen sollen. Sie sind beitrittsoffen in einer Region (also wenn wir eine europäische Struktur machen und er klopft an, kommt auch Milosevic rein.) Die Verpflichtung für die Mitglieder ist, nicht militärisch gegeneinander anzutreten, sondern sich einer Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen. Es wird Schiedsstrukturen geben, und an die Stelle von Interventionsrecht soll Ordnungsrecht treten. Es wird erwartet, daß in einer solchen Sicherheitsgemeinschaft weitere Abrüstung möglich ist.

    Was auch in die "Geburtstagsbilanz" von Rot-Grün hinein muß (nicht, um sie zu ärgern, sondern, um sie an ihre Versprechen zu erinnern): Im Koalitionsabkommen (12 Kapitel) beziehen sich 10 auf Innenpolitik, aber im 11. geht es um Frieden, um Außenpolitik. Und da steht immerhin: Die neue Bundesregierung "wird sich mit aller Kraft um die Entwicklung und Anwendung von wirksamen Strategien und Instrumenten zur Krisenprävention und der friedlichen Konfliktregelung bemühen." Sie verspricht nicht, daß sie es erreicht, aber sie verspricht, sich dafür einzusetzen. Das wäre durchaus ein im internationalen Vergleich auffälliger Friedensbeitrag der Deutschen, wenn diese Bundesregierung ihre Partner quälte und sagte, wir müssen aber etwas für wirksame Strategien für Krisenprävention und friedliche Bearbeitung von Konflikten machen. Es steht auch im Koalitionsabkommen, daß die Bundesregierung sich zur Stärkung der Vereinten Nationen verpflichtet sieht. (Das war ja nun im letzten Jahr wirklich nicht der Fall). Man will auch die Herrschaft des Rechts voranbringen - dazu hat Elmar Schmähling ja schon das Nötige gesagt.

    In meiner Disziplin - Friedens- und Konfliktforschung - haben wir schon gemeinsame Nenner für eine europäische Sicherheitskonstruktion.

    Es geht erstens darum, Konflikte zu erkennen, so rechtzeitig zu erkennen, daß man auch politisch handeln kann. Hier sind sich bemerkenswerter Weise fast alle einig, daß das heute nicht mehr das Problem ist. Der Generalsekretär der OSZE hat bei dieser Bundestagsanhörung gesagt: "Konfliktfrüherkennung, das beherrschen wir inzwischen." Soll sagen, Konflikte, die sich in einer Phase befinden, wo Gewalteskalation droht. - Es geht ja nicht darum, Konflikte zu vermeiden. (Da wird auch viel gesündigt. Die OSZE hat in Wien ein "Zentrum zur Konfliktverhütung" - welch stolzer Name - mit 8 Beschäftigten.) Konflikte gehören zu einer offenen Gesellschaft, auch Konflikte zwischen Gruppen. Die Frage ist, wie wird mit ihnen umgegangen. Werden sie Rechtskörpern vorgelegt, oder geraten sie politisch aus der Hand und eskalieren in Gewalt.

    Zweitens geht es darum, erstmal Fakten zu bestimmen. Was ist nun wirklich los. Wenn Konflikte eskalieren, treten verzerrte Wahrnehmungen, Feindbilder ein. Dieser Wahrheitsfindungskommissionen machen das ex post, aber man kann das eben auch vorher machen. Und da hat die OSZE mit ihren sogenannten Langzeitmissionen etwa im Kaukasus doch Befürchtungen widerlegen können, daß da Konflikte weiter eskalieren. Einfach, indem gefragt wird, was sind denn nun die Tatbestände. Und es ist auch interessant zu sehen, wo die Langzeitmissionen nicht hindürfen, also, wo man nicht will, daß Fakten gefunden werden.

    Der dritte Punkt ist, daß man schon vertrauensbildend agieren muß. Da gibt es eine ganze Palette von Konzepten seminaristischer Art. Die große Frage ist, macht man das nur mit den politischen Eliten oder auch auf niederer Ebene. Die Beobachtung von Wahlen ist inzwischen von einem einfachen Kontrollinstrument fast zu einer Art Demokratisierungsmittel geworden, also daß von dritter Seite, von NGOs, vielleicht auch regierungsoffiziell, EU-offiziell, Wahlen daraufhin beobachtet werden, ob sie tatsächlich halbwegs akzeptabel verlaufen. Und die sind sozusagen der originäre Machttest. Also, wenn einer meint, er spricht für diese Bevölkerungsgruppe oder der Opponent sagt, nein, ich spreche dafür, dann sind die Wahlen, und zwar faire Wahlen, das verläßlichste Instrument. Wenn man präventiv agieren will, geht es wieder darum, daß man da, wo Spannungen schon eskaliert sind, besondere Gebiete einrichtet, besondere Zonen, und die aber auch unterstützt und etwa militärisch, vor allem aber polizeilich absichert. Es stellt sich heraus, daß die Masse der Friedenswahrungsaufgaben - also auch etwa im heutigen Jugoslawien, Sicherung von Hilfsgütertransporten -keine genuin militärische Aufgabe ist sondern eher eine polizeiliche. Wenn hier irgendwo ein LKW unautorisiert entladen wird, dann holen wir ja auch nicht die Bundesluftwaffe, sondern das ist eher etwas für Polizei oder Bnndesgrenzschutz. Also. Es geht auch schon um eine Umdefinition: Wenn schon Soldaten, dann müssen das andere, Friedensfachkräfte sein, mit einem anderen Ausbildungsprofil. Und dann geht es dort, wo sich Kerne von Gewaltaustrag bilden - alle diese militärischen Auseinandersetzungen begannen mit Scharmützeln -, daß dann präventiv auch Soldaten stationiert werden. Angeblich wissen die Soldaten hinreichend genau, was, in welcher Größenordnung, mit welcher Ausrüstung dann nötig ist.

    Zusammengefaßt:
    Wir haben schon entsprechendes Vorwissen. In einem Papier aus der Friedrich-Ebert-Stiftung (da gibt es immer noch ein paar, die meinen, der große Tanker SPD könne sich vielleicht noch ein wenig drehen) habe ich den Satz gefunden - und zwar immerhin vom Leiter des Forschungsinstituts - "an einem internationalen Bereitschaftsdienst zur Krisenbewältigung führt nichts vorbei". Aber diesen internationalen Bereitschaftsdienst - nicht mal den haben wir!

    Aber das wären vielleicht ein paar Punkte, mit denen Rot-Grün dann beim nächsten Bundestagswahlkampf den anderen Parteien, so sie realisiert werden, ein bißchen die Butter vom Brot, das heißt die Wechselwähler gewinnen kann. - Vielen Dank.

     
     
 
 
 
          
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